Affäre um schottische Regierungschefin: Gutachten stützt Sturgeon
Hat die Regierungschefin das schottische Parlament getäuscht? Nein, besagt nun ein Gutachten. Doch ein Ausschuss macht ihr heftige Vorwürfe.
Dublin taz | Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon hat das Parlament in Edinburgh in Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen ihren Vorgänger Alex Salmond nicht getäuscht. Zu diesem Ergebnis kam ein unabhängiges Gutachten des früheren irischen Generalstaatsanwalts James Hamilton. Andernfalls hätte Sturgeon wohl zurücktreten müssen.
Hamilton veröffentlichte seinen 61 Seiten starken Bericht am Montagabend. Gegenstand seiner Untersuchung war die Frage, ob Sturgeon gegen den Verhaltenskodex verstoßen und das Parlament darüber belogen habe, wann sie über die Vorwürfe gegen Salmond informiert worden war. Sie hatte vor dem Parlament erklärt, Salmond habe ihr am 2. April 2018 davon erzählt. Tatsächlich hatte Salmonds früherer Stabschef sie jedoch vier Tage zuvor darüber in Kenntnis gesetzt. Dieses Treffen habe sie schlicht vergessen, behauptete Sturgeon.
Hamilton akzeptierte das. Er sehe keinen Grund, warum sie das Treffen verheimlichen sollte, während sie sämtliche Gespräche mit Salmond offengelegt habe, heißt es in dem Bericht. Darüber hinaus hätte sie in Anbetracht des gestörten Verhältnisses zu Salmond damit rechnen müssen, dass sein Stabschef das Treffen bekannt machen würde.
„Ich begrüße das Ergebnis der unabhängigen Untersuchung“, sagte Sturgeon am Montagabend erleichtert. „Es ist umfassend, es basiert auf Beweisen, und es ist eindeutig.“ Sie rief die Oppositionsparteien auf, das Ergebnis zu respektieren und aufzuhören, ihren Rücktritt zu fordern. Die schottischen Tories hielten aber dennoch an einem Misstrauensvotum am Dienstagnachmittag fest, obwohl es keine Aussicht auf Erfolg hatte, weil die Oppositionsparteien nicht mitzogen. So gewann Sturgeon die Abstimmung mit 65 gegen 31 Stimmen. 27 Abgeordnete enthielten sich.
Salmond waren sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden
Salmond war vor drei Jahren von zwei Frauen sexueller Übergriffe beschuldigt worden, darunter versuchter Vergewaltigungen. Die SNP-Regierung begann eine interne Untersuchung, bei der einiges schiefging. So hatte die Staatssekretärin Leslie Evans, die die Untersuchung leitete, bereits vor Beginn mit den beiden Frauen gesprochen. Salmond verlangte daraufhin eine gerichtliche Überprüfung, die ihm recht gab; die schottische Regierung gestand Fehler ein. Der Strafprozess gegen ihn ging aber weiter. Im März vorigen Jahres sprach ihn ein Gericht in sämtlichen Anklagepunkten frei.
Das schottische Parlament beraumte danach zwei separate Untersuchungen an. Neben der Hamilton-Untersuchung prüfte ein Parlamentsausschuss das Vorgehen der schottischen Regierung im Fall Salmond. Dieser Bericht, der gegen die Stimmen der SNP-Ausschussmitglieder verabschiedet worden ist, wurde am Dienstagmorgen vorgelegt, und darin kommt Sturgeon nicht gut weg. Es sei „unangemessen“ gewesen, dass sie Salmond während der laufenden Untersuchung getroffen habe. Darüber hinaus habe sie das Parlament über „die Art des Treffens“ mit Salmond am 2. April 2018 getäuscht.
Der partei-interne Zwist hat der SNP in doppelter Hinsicht geschadet. Noch im Januar konnte die Regierungspartei bei den Regionalwahlen am 6. Mai zum ersten Mal seit 2011 mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Sturgeon wollte bei einem solch guten Abschneiden ein weiteres Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands planen, zumal sich bei Umfragen 57 Prozent für den Ausstieg aus dem Vereinigten Königreich ausgesprochen hatten. Inzwischen ist eine Mehrheit gegen die Unabhängigkeit, und ob die SNP im Mai die absolute Mehrheit erreichen wird, ist ungewiss.
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06438 (Profil gelöscht)
Gast
Mittelalterliches Hexenküchenverfahren. Der neuzeitliche Anti-Christ ist in diesem Fall diejenige, welche in die Nähe eines angeblich schuldhaften Verhaltens in Verbindung mit Sexismus/sexueller Gewalt gerückt werden kann. Die Folterinstrumente sind Vorwürfe, parlamentarische Verhaltensregeln nicht beachtet zu haben. Von diesem Vorwurf spricht sie die Kommission gebildest um James Hamilton frei.
Die schottischen UKIP-Tories um Ruth Davidson im Auftrag des Rechtsradikalpopulisten Boris Johnson spielen derzeit Schmierenkommödie - indem sie neben dem eigentlich ausgelutschten Bonbon, Nicola Sturgeon auf der Schleimspur in Verbindung mit sexueller Gewalt ausrutschen zu lassen, noch einen Misstrauensantrag hinzufügen um die Skandalisierung des Nichts bis zum Wahltag weiter treiben zu können.
Um was gehts? Eigentlich geht es um den Brexit, es geht um die Rechte der Völker im noch bestehenden Nationenverbund der Britischen Union und um deren Grad der Unabhängigkeit, und eigentlich geht es auch um das wenig zeitgemässe und wenig demokratische Mehrheitswahlrecht, welches die SNP in der Koalition mit den Grünen in Holyrood derzeit aushebelt.
Brexit und die Verhandlung über eine mögliche Zukunft der britischen Union als Schmierenkommödie - Part 1223 - diesmal in Schottland. Mehr ekelhaft geht nicht - aber auch Labour glänzt durch Schlingerkurs - weil der Verlust schottischer Labourwählerstimmen nahezu Aussichtslosigkeit bedeutet, jemals wieder Wahlen in UK gewinnen zu können.
Wobei die SNP bei den letzten Umfragen (19.März) von 46% wieder auf 48% gestiegen sind und Labour als auch Tories im Vergleich zu den Vorwochen in Schottland verloren haben.
Momentan gilt: Je stärker die englische Presse Schlammschlacht gegen Sturgeon spielt - und leider ist da auch der guardian dabei - je wiederstandsfähiger reagieren die SNP Wähler. Wählerstimmen für die SNP werden auch als Votum für ein neues Referendum gezählt. Viel Glück an die Schotten.