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AfD und die Frankfurter BuchmesseAttraktiver Behälter ohne Inhalt

Die Bedrohung der Demokratie von rechts ist auch auf der Buchmesse Thema. Auf Veranstaltungen wurden wichtige Fragen zum Erstarken der AfD gestellt.

Leider längst eine Alternative für viele: AfD-Wahlkreisbüro Heiligenstadt, Thüringen Foto: Mike Schmidt/SZ Photo/picture alliance

Frankfurt taz | Der September 2024 könnte ein Monat der Wahrheit für Deutschland werden, und es sollte eigentlich jeden demokratisch denkenden Menschen zutiefst beunruhigen, dass es nur noch elf Monate bis zu den dann stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind.

Für die AfD sehen die Umfragewerte hervorragend aus, eine reale Machtoption ist nicht ausgeschlossen. In Thüringen würde nach jetzigem Umfragestand eine laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei mit Abstand stärkste Kraft. Rund ein Drittel der Bür­ge­r*in­nen würde die AfD – Stand jetzt – in allen drei Bundesländern wählen. Die Ergebnisse in Bayern und in Hessen könnten also nur ein Vorgeschmack gewesen sein.

Einen von vielen alarmierenden Sätzen, die am Donnerstagabend während des FAZ-Talks „AfD im Aufwind: Kippt die Demokratie?“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt fallen, sagt die aus Wismar stammende Schriftstellerin und Allroundkünstlerin Anne Rabe: „Ich sehe derzeit keine politische Kraft, die in der Lage wäre, den Erfolg der AfD im kommenden Jahr zu verhindern“, erklärt sie.

Nun könnte sich das politische Tableau zwar noch mal bedeutend ändern, wenn Sahra Wagenknecht tatsächlich mit einer neuen (vermutlich auch populistischen) Partei antritt, beängstigend sind die Perspektiven so oder so. Die Normalisierung der AfD nehme zu, auch im Westen, konstatiert Rabe, die gerade mit ihrem Wenderoman „Die Möglichkeit von Glück“ auf der Short­list des Deutschen Buchpreises stand.

Nicht „nur“ ein Frust­wäh­le­r*in­nen-­Phänomen

Die Diskussion, an der neben Rabe die FAZ-Feuil­le­to­nis­t*in­nen Sandra Kegel, Melanie Mühl und Patrick Bahners teilnehmen, ist auch deshalb hochinteressant, weil sie alle den Erfolg der Partei nicht „nur“ zu einem Frust­wäh­le­r*in­nen-­Phänomen machen. Sondern fragen, was und wen die Partei richtig adressiert – und wie. Bahners, der gerade ein Buch über die AfD geschrieben hat („Die Wiederkehr.

Die AfD und der neue deutsche Nationalismus“) sagt, die Partei nehme „die Demokratie vielleicht ernster als die Parteien, mit denen sie konkurriert“. Zumindest bekenne sie sich zum politischen Streit. Er führt den AfD-Aufschwung auch auf eine zunehmend pragmatischere Politik in den Merkeljahren und die Rede von der Alternativlosigkeit zurück. Dabei gehe es der AfD natürlich eigentlich nicht um demokratische Werte.

Schon am Nachmittag hatte Bahners bei einer Diskussion („AfD – bald normal?“) mit dem Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel davon gesprochen, dass man die AfD als Container, als Behältnis begreifen müsse, das, unabhängig vom Inhalt, gerade sehr attraktiv sei. Das liege auch daran, dass sich die anderen großen Parteien von der Idee der direkten oder wirklich bürgernahen Demokratie zunehmend verabschiedet hätten.

Beide nannten das Schlagwort „nichtmajoritäre Institutionen“ (NMI) als Problem – also etwa Expertengruppen, Institutionen, Lobbyvereine, deren Einfluss bei der politischen Entscheidungsfindung zunimmt. Bür­ge­r*in­nen fühlten sich so ohnmächtiger, weiter entfernt vom politischen Prozess, sind sich beide einig.

Gauland-Weidel-Partei im Kern undemokratisch

Rietzschel, der mit dem Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (2018) bekannt wurde und Mitglied der SPD ist, sieht Auswege des Demokratieproblems nur in mehr Bürgerbeteiligung. Er macht sich für das Losverfahren stark, durch das Bür­ge­r*in­nen zur Partizipation „verdonnert“ werden – ähnlich, wie es der belgische Historiker David Van Reybrouck seit Jahren fordert.

Rietzschel erkennt eine Schieflage: Einerseits wünschten sich 85 Prozent der Bür­ge­r*in­nen laut einer Studie der Körber-Stiftung mehr Mitbestimmung auf Bundesebene, andererseits hat ein Großteil (54 Prozent) weniger großes oder geringes Vertrauen in die Demokratie. Man könnte aus dieser Umfrage – 71 Prozent glauben, dass „führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben“ – auch ableiten, dass die Erzählung von der Elite verfängt, dass die AfD also erfolgreich mit ihrem Narrativ ist.

Rietzschel ist natürlich klar, dass die Gauland-Weidel-Partei im Kern undemokratisch ist – sie sei ein „aktiver Untergraber unserer demokratischen Ordnung“. So spricht er sich auch für ein Verbot der Partei aus. Ein Demokratieproblem sieht auch Schriftstellerin Anne Rabe, ebenfalls SPD-Mitglied, beim Gespräch am Abend. An dem Gedanken, für viele sei Politik heute einfach eine Serviceleistung, sei etwas dran. Das bürgerliche Engagement nehme allerorten ab – da müsse man an­setzen.

Wie sehr es im Osten brodele, habe die Debatte um und der Erfolg von Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ gezeigt. Allerdings dürfe man den Osten nicht als homogene Masse verstehen, so Rabe, das sei schon bei der Mystifizierung der friedlichen Revolution falsch gewesen und setze sich bis heute fort.

Ein Ostphänomen will – spätestens nach den Wahlerfolgen in Hessen und in Bayern – keiner der hier Diskutierenden mehr aus der Partei machen

Ein Ostphänomen will – spätestens nach den Erfolgen in Hessen und in Bayern – aber auch keiner der Dis­ku­tan­t*in­nen mehr aus der Partei machen. Bahners erinnert daran, dass sie 2013 im Speckgürtel Frankfurts, in Oberursel, gegründet wurde, er stellt zudem die Erzählung von der Radikalisierung der Partei infrage: „Ist es eigentlich wirklich so, dass sich die Partei so weit wegbewegt hat von ihren Anfängen? War die Radikalität nicht schon bei der Gründung angelegt?“

Es ist gut, dass sich die Diskussionen über die AfD dem Phänomen fragend und unideologisch nähern, nur so kann man Schlüsse über den Erfolg der Partei ziehen. Die Journalistin und Autorin Melanie Mühl weist darauf hin, dass viele Menschen den klassischen Medien während der Coronapandemie den Rücken zugekehrt hätten und sich seither nur aus fragwürdigen Quellen informierten – auch das sei ein Faktor.

Dass die AfD Social Media, nun auch Tiktok, beherrscht, dass es ihr gelingt, die Empörungsklaviatur auf allen Seiten zu bedienen, kann man erst mal nur feststellen. Diese Mechanismen sind vielen sozialen Medien immanent. „Die AfD will den Diskurs zerstören“, sagt Anne Rabe – mit den so­zia­len Medien haben sie Plattformen, die wie dafür gemacht scheinen.

Nachdenklich machen entsprechend die Sätze von Patrick Bahners, der sagt, das Habermas’sche Prinzip des Diskurses, nach dem man dem Gegenüber unterstellt, am (besseren) Argument interessiert zu sein, sei im politischen Streit unserer Zeit gewissermaßen aufgekündigt.

Es ist, so viel nimmt man mit, zu kurz gedacht, wenn man nur von einem kleinen konjunkturellen Hoch der AfD in der Mitte der Legislatur spricht. Wir müssen über politische Partizipation, über die Krise der medialen Vermittlung, über neue Politikmodelle nachdenken.

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2 Kommentare

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  • An dem Gedanken, für viele sei Politik heute einfach eine Serviceleistung, sei etwas dran. Das bürgerliche Engagement nehme allerorten ab – da müsse man an­setzen.

    Bei all den sicher zur allgemeinen Demokratiemüdigkeit beitragenden Gründen bleibt der Elefant im Raum von den Diskutant*innen unerwähnt. Ich meine das seit Jahrzehnten unablässig wiederholte neoliberale, oder besser, libertär-kapitalistische Mantra, dass Jede*r seines/ihres Glückes Schmied*in sei und – im Umkehrschluss – Jede*r selbst schuld, wenn er/sie zu den Verlierer*innen des allgemeinen Rat Race zählt, indem der Mitmensch zum Konkurrenten um jedes Stückchen vom Kuchen mutiert. Dieses Dogma führt zwangsläufig zu Entsolidarisierung und Sozialdarwinismus und der Gewissheit, dass Jede*r eben für sich selbst sorgen müsse, weil das ja sonst keine*r tut.



    Wen wundert’s, dass immer mehr Menschen dann den rechtsradikalen Rattenfängern nachlaufen, die die Welt so fein säuberlich in „Die“ und „Wir“ aufteilen, wobei „Wir“ selbstverständlich Jene sind, denen der Kuchen qua Geburt zusteht, während „Die“ gefälligst verschwinden sollen. Übersehen wird dabei, dass „Die“ in der Definition der AfD niemals die oben erwähnten Prediger und Profiteure des Mantras sind, sondern Jene, die sich in scheinbar direkter Konkurrenz mit „Uns“ befinden.

  • Anne Rabe: „Ich sehe derzeit keine politische Kraft, die in der Lage wäre, den Erfolg der AfD im kommenden Jahr zu verhindern“

    Dieses Statement verdeutlicht sehr eindrucksvoll eines der zentralen Probleme unserer Zivilgesellschaft! Selbst Schriftstellerinnen schieben die Verantwortung ab! Selbstkritik - Fehlanzeige! Nicht politische Kräfte können etwas verändern, sondern ausschließlich wir gemeinsam in unserer Zivilgesellschaft! Die Statements zeigen weiterhin, dass unsere Zivilgesellschaft im Prinzip nichts aus der eigenen Vergangenheit gelernt hat! Ursachen, die auf dem Tisch ausgebreitet herumliegen, werden bewusst oder unbewusst negiert und / oder verdrängt! Wenn selbst Intellektuelle in unserer gemeinsamen Zivilgesellschaft nicht mehr in der Lage sind, Ursachen klar zu benennen, dann wirft das kein gutes Licht auf unsere Zivilgesellschaft!



    Was bringen Verbote? Eine sehr weit verbreitete Gesinnung lässt sich nicht verbieten!