AfD nach den Landtagswahlen: Vorwärts nach Absurdistan
Das geplante AfD-Grundsatzprogramm lässt Frauen, Flüchtlinge und sozial Schwache im Regen stehen. Bei der Abstimmung wird es hoch hergehen.
Noch freut sich die AfD über ihre Erfolge bei den drei Landtagswahlen am Wochenende. Doch schon bald könnte der Partei neuer Streit ins Haus stehen. Auf ihrem Parteitag in Stuttgart Ende April will die AfD sich ein Grundsatzprogramm geben, das sie bislang nicht hat. Der 74-seitige Entwurf, den das Rechercheportal Correctiv gerade veröffentlicht hat, ist ein Angriff auf viele Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik und den Islam, raus aus dem Euro, Förderung der traditionellen Kleinfamilie, mehr Bürgerentscheide, das sind bekannte Positionen.
Andere aber sind neu – und werden für Streit in der Partei sorgen. „Da werden wir noch über vieles reden müssen“, sagte AfD-Vize-Chef Alexander Gauland der taz. Gauland, nationalkonservativ und einflussreich, wollte sich zu einzelnen Punkten nicht äußern. Doch zu seiner Leidenschaft für Bismarck und dem Anspruch, die AfD sei eine „Partei für die kleinen Leute“, passen die Passagen zur Sozialversicherung jedenfalls nicht.
Die AfD will das Arbeitslosengeld I „privatisieren“. Die Arbeitnehmer sollen allein für ihre Absicherung zuständig sein, der Arbeitgeberbeitrag wird abgeschafft. Jeder hat, so steht es in dem Entwurf, drei Möglichkeiten: privat eine Versicherung abzuschließen, sich auf die Familie zu verlassen oder auf Absicherung schlicht zu verzichten.
Die AfD will zudem die Unfallversicherung, die Bismarck 1884 eingeführt hat, abschaffen und das Renteneintrittsalter erhöhen. Den Mindestlohn aber will die AfD überraschenderweise beibehalten. Ob das den wenigen Wirtschaftsliberalen gefällt, die nach Abspaltung des Lucke-Flügels in der Partei geblieben sind, darf bezweifelt werden.
Noch in der Diskussion
Auch bei den Steuern ist die AfD nicht zimperlich. „Bund, Länder und Kommunen brauchen eigene Finanzierungsquellen, aus denen sie ihre Tätigkeiten selbst finanzieren“, steht im Programmentwurf. Soll heißen: Der solidarische Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Ebenen soll beschnitten werden. Gleichzeitig will die AfD die Gewerbesteuer abschaffen, die zentral für die Kommunen ist und diesen die Möglichkeit geben, eigene Steuern zu schaffen. Auch die Grunderwerb- und die Erbschaftsteuer sollen gestrichen werden, zwei Steuern, die den Ländern zugutekommen. Der Länderfinanzausgleich soll überarbeitet werden, um „Blüten wie etwa die Subventionierung Berlins mit derzeit 3,5 Milliarden Euro verhindern zu können“. Außerdem will die AfD die Einkommensteuer mit einem Stufentarif neu regeln. Das klingt nach FDP.
Der Programmentwurf ist noch in der Diskussion, der Bundesvorstand – in dem das Spektrum von wirtschaftsliberal-konservativ bis völkisch-nationalistisch reicht – hat ihm seinen Segen noch nicht gegeben. Federführend in der zuständigen Bundesprogrammkommission sind die beiden Vizechefs Beatrix von Storch und Albrecht Glaser.
AfD-Vize-Chef Alexander Gauland
Von Storch, bekennende Lebensschützerin, dürften die Einlassungen zum „Lebensrecht: Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“ gefallen. Darin spricht die AfD vom Grundrecht auf Leben „von der Zeugung bis zum natürlichen Tod“ und will das Abtreibungsrecht verschärfen. Die Schulen sollen die „ethische, biologische und rechtliche Stellung als Mensch ab der Verschmelzung von Ei und Samenzelle thematisieren“.
Auch das Gendermainstreaming, eines der Lieblingsthemen von von Storch, will die AfD abschaffen, die Genderstudies an den Universitäten streichen. Zudem will die AfD das Schuldprinzip bei der Scheidung wieder einführen. Ob das Parteichefin Frauke Petry gefällt? Immerhin hat sie sich wegen einer Liebschaft mit Parteifreund Marcus Pretzell von ihrem Mann getrennt, mit dem sie gemeinsam vier Kinder hat.
Alle dürfen abstimmen
Die AfD will die Wehrpflicht für Männer wieder einführen und um „eine allgemeine Dienstpflicht gleicher Dauer für Frauen“ ergänzen. Sie will alle Asylbewerber in Zentren in afrikanischen und nahöstlichen Transitstaaten zurückschicken, die Grenzen dicht machen, das Grundrecht auf Asyl abschaffen, Altfall- und Bleiberechtsregelungen streichen und den Standard der Genfer Flüchtlingskonvention senken. Das dreigliedrige Schulsystem soll ebenso erhalten bleiben wie Förder- und Sonderschulen. Bachelor- und Masterabschlüsse dagegen will die AfD abschaffen und zu Diplom und Magister zurückkehren.
Kinder sollen ab zwölf Jahren strafmündig sein, muslimischen Schülerinnen das Kopftuch zu tragen verboten werden. Die AfD ist gegen Tempolimits und fordert „Freie Fahrt für freie Bürger“. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk will sie privatisieren, ab 2018 soll er sich selbst finanzieren. Stattdessen will die AfD einen Staatsrundfunk einführen. Polen lässt grüßen.
Vom Klimawandel hält die Partei nicht viel. „Kohlendioxid ist kein Schadstoff, sondern unverzichtbarer Bestandteil des Lebens“, so heißt es im Entwurf. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll ersatzlos gestrichen, erneuerbare Energien nicht weiter unterstützt, die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert, Klimaschutz-Organisationen nicht mehr gefördert werden.
Eine interessante Position hat die AfD in der Drogenpolitik. „Süchtigen und sonstigen Konsumenten“ sollen, so heißt es, die Möglichkeit bekommen, „im Wege der kontrollierten Abgabe in den Genuss von Drogen zu gelangen“. So soll der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden.
Nicht nur darüber dürften Ende April die Meinungen in Stuttgart aufeinanderprallen. Zu dem Parteitag Ende April werden keine Delegierten, sondern alle Mitglieder eingeladen. Jeder, der sich anmeldet, darf mitreden und abstimmen. Es verspricht, ein lebhafter Parteitag zu werden.
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