AfD-Kandidatenwahl: Verfassungsfeindliche Positionen
Die AfD-Bewerber für das Europaparlament werden vom Verfassungsschutz genau beobachtet. Das Bundesamt erkennt rechtsextremistische Verschwörungstheorien.
Vertreter des ehemaligen gemäßigteren Lagers hätten bei der Aufstellung an diesem Wochenende so gut wie keine Rolle mehr gespielt. „Vielmehr äußerten diverse Wahlbewerber rechtsextremistische Verschwörungstheorien, wie beispielsweise die vom sogenannten ‚Großen Austausch‘“, sagte Haldenwang. Er fügte hinzu: „Die bisherige Europawahlversammlung der AfD, die wir als Verdachtsfall bearbeiten, belegt einmal mehr unsere Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt.“
Die AfD hatte am Samstag und Sonntag in Magdeburg ihre ersten 15 Kandidaten für die Europawahl gewählt. Am Sonntagabend wurde die Versammlung unterbrochen, ab Freitag sollen rund 15 weitere Kandidaten gewählt werden.
Das Wahlprogramm soll erst nach der Listenaufstellung beschlossen werden. Möglicherweise könnte es erst bei einer zusätzlichen Versammlung diskutiert werden, die spätestens im Januar stattfinden müsste. Erst dann wird feststehen, ob die AfD diesmal mit der Forderung antritt, die Europäische Union radikal zu reformieren, so dass wieder mehr Entscheidungen national getroffen werden. Es könnte sich aber auch das „Dexit“-Lager durchsetzen, das einen Austritt Deutschlands aus der EU befürwortet. Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Haltung zur Nato sein.
Anleihen an Identitäre Bewegung
Irmhild Boßdorf, die am Wochenende auf Rang neun landete, warb in ihrer Bewerbungsrede mit einem Schlagwort der Identitären Bewegung um Stimmen. Sie forderte eine „millionenfache Remigration“ und sagte, eher als den menschengemachten Klimawandel sollten die Deutschen den „menschengemachten Bevölkerungswandel“ fürchten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die Identitäre Bewegung in seinem aktuellen Bericht im Kapitel zu Rechtsextremismus auf. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte 2022 festgestellt, in der „massiven ausländerfeindlichen Agitation“ der Bewegung komme „eine Missachtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zum Ausdruck. Aussagen wie „Remigration“ oder „Bevölkerungsaustausch stoppen“ seien ausländer- und islamfeindlich.
Andere Listenplätze gingen an AfD-Vertreter, die „Multikulti“ oder eine „Masseneinwanderung“ beklagten. Platz zwei sicherte sich der bayerische Bundestagsabgeordnete Petr Bystron. In seiner Bewerbungsrede sagte er: „Das Schlimmste, die Migrantenquoten, die zwangsweise Zuweisung von Migranten, das ist ein Angriff auf alles, was uns lieb ist, unsere Kultur, unsere Religion, ja, unsere Heimat.“
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD im März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Diese Einstufung, die den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlaubt, hatte das Kölner Verwaltungsgericht im März 2022 bestätigt. Die AfD legte Berufung ein. Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ist noch nicht abgeschlossen.
Am Samstag hatten sich Vertreter der deutschen Wirtschaft besorgt über den Höhenflug der AfD in den aktuellen Umfragen geäußert. „Die Partei lehnt vieles ab, was für unsere Wirtschaft wichtig ist, etwa Zuwanderung oder den Euro“, sagte der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Karl Haeusgen, der Welt. „Das könnte zu einem negativen Standortfaktor werden.“ Zudem leugne die AfD den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen.
Der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sagte dem Münchner Merkur, die AfD entwickle sich zum zusätzlichen Risiko für den Industriestandort. „Als BDI-Präsident sage ich ganz klar: Deutschland lebt von seiner weltweiten Vernetzung. Und jede Politik, die diese Vernetzung reduzieren will, schadet dem Wirtschaftsstandort und damit uns allen.“ Außerdem brauche Deutschland qualifizierte Zuwanderung, allein schon für den Arbeitsmarkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption