AfD-Jugend gründet sich in Gießen neu: Bundesweite Mobilisierung gegen Höcke-Jugend
In Gießen will sich Ende November die AfD-Jugend neu gründen. Vieles spricht dafür, dass es ultraradikal wird. Ein breites Bündnis plant Blockaden.

Geplant sind unter anderem Proteste, sowie Blockaden der Zufahrtswege zur Messe Gießen, wo die Gründungskonferenz stattfinden soll. Man wolle die Zugänge an dem Tag nicht freiwillig verlassen. „Die einzigen, die wir durchlassen, sind Feuerwehr und Rettungswagen“, erklärte Laura Wolf vom Bündnis.
Das Aktionsnetzwerk mobilisiert dabei bundesweit: Am 29. November sollen Busse aus ganz Deutschland nach Gießen kommen. Auch im vergangenen Jahr hatten sich rund 15.000 Menschen mit über 200 Bussen zum AfD-Bundesparteitag in Riesa organisiert und versucht, diesen zu blockieren. Sie verhinderten damals einen pünktlichen Start. „In Gießen wollen wir noch größer werden und die Konferenz verhindern“, so Becker.
Die Leiterin der Abteilung Einsatz im Polizeipräsidium Mittelhessen, Carina Lerch, sprach gegenüber der Gießener Allgemeinen von einer der größten Einsatzlagen, die es bisher in Gießen gegeben habe. Es seien an beiden Tagen bis zu 40.000 Gegendemonstrierende zu erwarten. Auch Polizeipräsident Torsten Krückemeier berichtete in der vergangenen Woche, es gebe derzeit keine konkreten Gewaltaufrufe, man stelle sich als Polizei jedoch auf verschiedene Szenarien ein.
Radikal dürfte vor allem die AfD-Jugend werden
Das Bündnis warnt seinerseits vor Polizeigewalt: „Von uns geht keine Eskalation aus, wir wollen nur den Tag verhindern“, so Becker. Zu konkreten Blockadepunkten äußerte sich das Bündnis zunächst nicht. Diese sollen am Veranstaltungstag in den frühen Morgenstunden öffentlich gemacht werden, geplant sind Livestreams sowie fortlaufende Informationen des Bündnisses.
Dass die AfD nun nach Hessen kommt, zeugt von einer gewissen Kontinuität: Sowohl die AfD als auch ihre frühere Jugendorganisation Junge Alternative (JA) wurden 2013 in Hessen gegründet.
Aufgelöst hatte die AfD die Jugendorganisation im Februar, um die ohnehin als gesichert rechtsextrem eingestufte Organisation auch vor einem möglichen Verbot zu bewahren. Die JA war zuvor als formell unabhängiger Verein organisiert, in dem auch Mitglieder aus Organisationen zu finden waren, die offiziell auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD stehen. Die JA hatte 2.400 Mitglieder, eine AfD-Mitgliedschaft war keine Voraussetzung für den Eintritt.
Jetzt soll sie wie die SPD-Jusos Teil der Mutterpartei werden, sodass alle Mitglieder unter einer bestimmten Altersschwelle automatisch Teil der Jugendorganisation sind oder zumindest ein AfD-Parteibuch haben müssen – je nach Satzung, die beschlossen wird. Gehandelt werden Namen wie „Patriotische Jugend“, die Beibehaltung von „Junge Alternative“ oder „Deutschland-Jugend“.
Motto aus der Hitlerjugend
Die Neugründung der AfD-Jugend dürfte dabei durchaus radikal ausfallen. Parteigröße Björn Höcke hatte sich gegen die Auflösung der durchweg radikalisierten JA im Februar gestellt, konnte sie allerdings nicht verhindern. Umso dringender will er jetzt erreichen, dass die neue Jugend gleichermaßen radikal bleibt – gewissermaßen zu einer Höcke-Jugend wird.
Tatsächlich ist Höcke als Kopf der völkisch-nationalistischen Strömung bei jungen Rechten überaus beliebt: Der ehemalige Lehrer lässt sich bei AfD-Veranstaltungen von Jugendlichen wie ein Popstar feiern, macht Selfies mit dem völkisch-nationalistischen Nachwuchs oder fährt bei PR-Aktionen mit dem Kult-Moped Simson mit männlichen Jugendlichen durch blühende Landschaften.
In einem Social-Media-Beitrag schrieb Höcke im August: „Von einem Club karrieristischer Anpasser und Befehlsempfänger hat die Partei keine neuen Impulse zu erwarten.“ Und wem das noch nicht deutlich genug war, für den stellte Höcke noch den ehemaligen Leitsatz der Hitlerjugend voran und hoffte wohl, dass es niemand merken würde (falsch gedacht): „Jugend muss durch Jugend geführt werden“. Außerdem plädierte er für die Beibehaltung des Namens Junge Alternative. „Die neuen Regeln sollten sie nicht übermäßig einschränken. Wir müssen sie einfach mal machen lassen!“, so Höcke. Das Posting löschte Höcke wieder, nachdem der Bezug zur Hitlerjugend bekannt wurde.
Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die neue AfD-Jugend eine Höcke-Jugend wird: Das ARD-Magazin Kontraste war kürzlich undercover bei einem Treffen ehemaliger Funktionäre der JA. Einer forderte dabei: „Wir müssen unser Grundgesetz wegmachen und uns eine eigene Verfassung geben. Aktuell sind wir von den Amerikanern besetzt.“ Widerspruch habe es keinen gegeben. Wie auch bisher dürfte es entsprechend wenig Berührungsängste bei der Aufnahme von Mitgliedern extrem rechter Organisationen geben.
Spitzenkandidat nicht minder radikal
Dazu passt auch der mutmaßlich neue Bundesvorsitzende, der 28-jährige Jean-Pascal Hohm, Landtagsabgeordneter aus Brandenburg. Er hat seine Kandidatur öffentlich angekündigt – und hat dabei zumindest die Unterstützung der stramm völkisch-nationalistischen Kreise seiner Partei. Er stammt aus dem klar rechtsextremen Landesverband Brandenburg, gilt dem dortigen Verfassungsschutz als Rechtsextremist, der in faschistischen Organisationen wie dem Verein Zukunft Heimat sozialisiert wurde.
Als Geschmacksprobe seiner Gesinnung ein Zitat aus dem Jahr 2017: „Wir sind Teil einer Bewegung: Pegida auf der Straße, die Identitären auf dem Brandenburger Tor und die AfD im Parlament“, sagte er im identitären-nahen Podcast „Ein Prozent“, rechtsextreme Vormitgliedschaften seinen aus seiner Sicht kein Problem, führte er dort weiter aus.
Ob sich die Jugend in diesem Prozess nicht doch auch ein bisschen disziplinieren sollte, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen in der AfD. Nicht nur Höcke, sondern auch viele andere AfD-Funktionäre sehen trotz rassistischer und extrem rechter Exzesse der Jugend keinen Anlass zur Mäßigung.
Es gibt allerdings auch einige in der Führungsriege, die sich gerade mit Blick auf die gesichert rechtsextreme Einstufung und einem drohenden Verbot der Bundespartei besseres Zugriffsrecht wünschen. Würde man das ernst meinen, müsste mal wohl als Vorsitzender dafür sorgen, alte JA-Netzwerke zu entmachten oder besonders radikale Mitglieder auszuschließen. Das wird unter Hohm ziemlich sicher nicht passieren.
Und auch weitere Personalien, die eine Rolle spielen könnten, lassen Mäßigung und Kontrolle durch die Mutterpartei unwahrscheinlich scheinen: Eine mögliche weitere Figur könnte laut Zeit Manuel Krauthausen aus Aachen werden. Als Kommissaranwärter durfte er kein Polizist werden, weil er sich an rassistischen Chats beteiligte. Es soll um ein Meme aus dem Film American History X gehen, bei dem ein Schwarzer Mann brutal von einem Neonazi getötet wird. Mittlerweile sitzt er für die AfD im Bundestag.
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