AfD-Fraktion im Bundestag: Ex-Kader der HDJ arbeitet für Gauland
Die Bundestagsfraktion der AfD führt einen Mitarbeiter mit rechtsextremer Vergangenheit. Der Fraktionschef schweigt dazu.
Gegenüber der F.A.Z. bestätigte Gauland nun aber, dass sein Mitarbeiter bei der HDJ aktiv war. Gauland habe nicht gewusst, dass dieser als Jugendlicher zur HDJ gehört habe: „Ich frage meine Mitarbeiter nicht, was sie im jugendlichen Alter gemacht haben“.
Es geht um den früheren HDJ-Funktionär Felix Nothdurft, der inzwischen den Namen seiner Ehefrau angenommen hat. Wie zunächst der Tagesspiegel berichtete, taucht sein Name auf einer aktuellen AfD-Mitarbeiterliste des Bundestags auf. „Gauland muss sich fragen, ob seine Partei die neue Heimstätte dieser glasklaren Neonazis ist“, sagt dazu Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion.
Der ehemalige HDJ-Kader Nothdurft entstammt einer Familie, die engste Bezüge zu den Heimattreuen besaß. Die Homepage der verfassungsfeindlichen Organisation lief auf den Vater in Dessau, Bruder und Schwägerin führten die Erziehertruppe mit an.
In internen Unterlagen der HDJ, die der taz vorliegen, wird im April 2003 über eine neue Abteilung berichtet, die in Zukunft vom „Kamerad Felix Nothdurft (FelixN) geleitet“ werde. Das Ziel der neuen Abteilung und des neuen Leiters sei es, die „Koordinierung des Technischen Dienstes auf Lagern“ zu verbessern. Die Zeltlager der HDJ waren bis zum Verbot durch das Innenministerium 2009 von besonderer Bedeutung für das extrem rechte Netzwerk.
Das Netzwerk: Seit Oktober 2017 ist die AfD im Bundestag vertreten. Jedem ihrer Abgeordneten stehen pro Monat mehr als 20.000 Euro für Mitarbeiter zu, dazu kommen kommen Mittel für die 150 Personalstellen der Fraktion. Ein rechtes Netzwerk erhält Zugang zu enormen Ressourcen und sensiblen Informationen. Die Fraktion wird zum Scharnier zwischen extremer Rechter und der bürgerlichen Mitte.
Die Kooperation: Die taz, die Zeitschrift Der Rechte Rand und das antifaschistische Archiv apabiz haben seit Dezember die Hintergründe der MitarbeiterInnen und Abgeordneten recherchiert. Das Projekt wurde gefördert mit Mitteln der Otto-Brenner-Stiftung.
Seit der Gründung der HDJ 1990 bemühten sich verstärkt NPD-nahe Kader, Kinder und Jugendliche mit einer völkisch-nationalistischen Weltanschauung geistig zu schulen und körperlich zu stählen. Sie sollten zur rechten Elite von morgen werden. In der Verbotsbegründung hob das Innenministerium hervor, dass die HDJ eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus aufweise.
In der AfD sind einige Personen mit HDJ-Vergangenheit aktiv. Erst am 7. März hatte die taz berichtet, dass der brandenburgische Landeschef Andreas Kalbitz im Jahr 2007 an einem konspirativen HDJ-Lager teilgenommen hatte. In dem Jahr beobachtete der Verfassungsschutz Brandenburg die Organisation bereits. Kalbitz wiegelt die Teilnahme als „Stippvisite“ ab. Auch in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg tauchen zwei HDJ-Funktionäre als Mitarbeiter der AfD in den Parlamenten auf.
Der ehemalige Heimattreue Felix Nothdurft arbeitet nicht zum ersten Mal in der Nähe von Gauland und Kalbitz. Bevor er im Bundestag tätig wurde, fungierte er ab 2013 als verkehrspolitischer Referent der Rechtspartei im brandenburgischen Landtag. In einer Bewerbung aus dieser Zeit ist laut dem Tagesspiegel von seiner politischen Vergangenheit keine Rede.
***
Anmerkung:
Der in dem Artikel genannte Felix Nothdurft hat die Veröffentlichung mit Hilfe einer Kölner Kanzlei nach dessen Veröffentlichung untersagen lassen. Das LG Düsseldorf hat zunächt per einstweiliger Verfügung, sodann auch mit einem „Hauptsacheurteil“ die Veröffentlichung verboten und die taz gezwungen, den Artikel unsichtbar zu machen. Das OLG Düsseldorf hat dieses Urteil aufgehoben und der taz das Recht eingeräumt, den Namen zu nennen.
Die Bedeutung der Entscheidung geht weit über diesen Einzelfall hinaus: Seit Jahren versuchen Mitarbeiter und Mitglieder der AfD durch Drohschreiben und einstweilige Verfügungen die Berichterstattung über die Verbindung von Mitarbeitern mit rechtsradikalen Organisationen zu unterdrücken. Jener Felix Nothdurft ist nach Bekanntwerden seiner Vergangenheit gegen zahlreiche Medien vorgegangen, die sich jeweils – ohne Gerichte anzurufen – verpflichtet haben, auf die Abmahnung hin seinen Namen zu löschen. Neben Nothdurft sind zahlreiche weitere Mitarbeiter von AfD-Bundestagsabgeordneten, aber auch rechtsradikale Siedler, sowie AfD-Funktionäre gegen Medien vorgegangen, die sie und ihr Treiben öffentlich haben sichtbar werden lassen.
Die Entscheidung des OLG Dpüsseldorf arbeitet heraus, dass sich die Öffentlichkeit auch für die individuellen Biografien von solchen Leuten interessieren darf und dass auch deren früheres, selbst in der Jugend feststellbares politisches Engagenement der am wenigsten geschützten Sozialsphäre zugehört, und dass sich diese Leute nicht auf ein Recht auf Vergessen unter Jugendschutzgesichtspunkten berufen können. Die Entscheidung unterstreicht, dass die Presse nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden darf, sondern das Recht hat, individualisierende Elemente in einem Presseartikel aufzunehmen und damit zu einer besonderen Authentizität des Berichtes beizutragen.
Jony Eisenberg
OLG Düsseldorf I – 16 U 161/18
18. 10. 2019
Die Berufung …. der Beklagten (ist) begründet ist.... hat der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. Artt. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Die Beklagte hat mit den streitgegenständlichen Äußerungen das gemäß Artt. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG i,V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht rechtswidrig verletzt, da dieses hinter der gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten bei der gebotenen Abwägung zurücktritt, weil die streitgegenständlichen Äußerungen ausschließlich die Sozialsphäre des Klägers betreffen (s. hierzu Nr. I.), in deren Bereich Äußerungen, die, wie die streitgegenständlichen, auf wahren Tatsachenbehauptungen beruhen (s. hierzu Nr. 2.) in der Regel hingenommen werden müssen und nicht festgestellt werden kann, dass das Interesse der Beklagten an der Verbreitung der Wahrheit außer Verhältnis steht zu dem Persönlichkeitsschaden, den die streitgegenständlichen Äußerungen anzurichten drohen (s. hierzu Nr. 3.)....
I) …. kann erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) interpretationsleitend zu berücksichtigen sind, bestimmt werden, ob der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtswidrig gewesen ist (BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, Rz. 30). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – V! ZR 123/16, Rz. 23). Demnach ist das durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Interesse des Klägers an seiner sozialen Anerkennung mit der in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten abzuwägen..... Es ist anerkannt, dass Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre nur in Fällen schwerwiegender Auswirkung auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden dürfen, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen ist (BGH, Urteil vom 27. September 2016, Az.: VI ZR 250/13, Rz. 21). Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, so insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums, während die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich umfasst, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI , ZR 261/10, Rz. 16). ln der beruflichen Sphäre des Betroffenen muss sich der Einzelne von vornherein auf die Beobachtung seines Verhaltens durch eine breitere Öffentlichkeit wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit hier für andere hat, einstellen (BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, Rz. 14). Im politischen Bereich reicht bereits die Übernahme einer Funktion in einer politischen Gruppierung aus, um diese Tätigkeit der Sozialsphäre zuzuordnen, selbst wenn der Betroffene dabei nicht öffentlichkeitswirksam aufgetreten ist, weil jede Funktion in einer politische Gruppierung, die darauf ausgerichtet ist, Anhänger für ihre Überzeugung zu gewinnen, notwendigerweise auf Außenwirkung angelegt ist (Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rz. 19). Gemessen daran betreffen die streitgegenständiichen Äußerungen in dem Online-Artikel der Beklagten vom 19.03,2018 ausschließlich die Sozialsphäre des Klägers. … Der Online-Artikel wie auch die darin befindlichen vier streitgegenständlichen Äußerungen thematisieren hinsichtlich des mit seinem ursprünglichen Namen genannten Klägers insbesondere, dass er jahrelang als Referent der AfO-Fraktion des Landtags von Brandenburg tätig gewesen ist (I), bevor er Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der AfD, Herrn Gauland, geworden ist (2) und beides vor dem Hintergrund seiner ehemaligen Mitgliedschaft und Rolle als Leiter einer Abteilung der seit dem Jahr 2009 verbotenen Organisation ,,Heimattreue Deutsche Jugend (im Folgenden: „HDJ“) (3) gesehen werden müsse, in der sein Vater, Bruder und Schwägerin Führungskräfte gewesen seien (4). Die Themen (I) und (2) betreffen auch nach der Ansicht des Klägers seine Sozialsphäre, weil sie seinen beruflichen Werdegang in den letzten Jahren nachzeichnen. Entgegen der Ansicht des Klägers berühren auch die Themen (3) und (4), die seine Stellung innerhalb der HDJ umreißen, nur seine Sozialsphäre.
Dabei ist … zu Grunde zu legen, dass der Kläger von 1999 bis 2004 Mitglied der HDJ war und im Laufe des Jahre 2003 bis zu seinem Ausscheiden aus der HDJ im Jahr 2004 die Leitung der neueingerichteten Abteilung für Ausrüstung und Lagertechnik übernommen hat. … hat er schon nicht qualifiziert bestritten, dass er nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten ab April 2003 die Leitung derjenigen Abteilung übernommen hat, die den technischen Dienst auf Lagern koordinieren sollte, weil eine solche technische Koordination typischerweise gerade nicht mit repräsentativen Tätigkeiten einhergeht. Abgesehen davon hat der Kläger keinen Beweis für die Unrichtigkeit dieser Behauptung angetreten. Die Beklagte hat ihren diesbezüglichen Vortrag in zweiter Instanz durch Vorlage des organisationsinternen Berichts vom 01.04.2003 über die Einrichtung der neuen, von dem Kläger geleiteten Abteilung sogar noch weiter untermauert, ohne dass sich der Kläger hierzu qualifiziert erklärt hat. Ferner kann der Kläger nicht damit gehört werden, dass er als Koordinator der technischen Dienste nicht nach außen in Erscheinung getreten sei, da diese organisationsinterne Funktion schon deshalb auf Außenwirkung angelegt gewesen ist, weil die HDJ unstreitig darauf ausgerichtet gewesen ist, Jugendliche für eine nationalsozialistische Weltanschauung zu gewinnen (vgl. den vorgelegten Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 09.03.2009, mit dem die HDJ verboten worden ist). Auch wenn der Kläger diese Tätigkeit vornehmlich in die Zeit seiner Jugend ausgeübt hat, kann sich der heute erwachsene Kläger nicht darauf · berufen, zu seinen Gunsten sei der Schutz der Jugend in die erforderliche Abwägung der geschützten Interessen einzustellen. Der Umstand, dass junge Leute eines besonderen Schutzes bedürfen, kommt nur zum Tragen, wenn der Betroffene noch jugendlicher ist, weil dann in Rechnung gestellt werden muss, dass er sich zu einer eigenverantwortlichen Person erst noch entwickeln muss (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2012 – 1 BvR 2499/09, Rz. 40). 2). Auf Seiten der Beklagten ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 25.01 .2012 – 1 BVR 2499/09, Rz. 39; BGH, Urteil vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, Rz. 12). Die Aufnahme von individualisierenden Elementen in einem Presseartikel stellt einen wichtigen Aspekt der Pressearbeit dar (EGMR, Urteil vom 28.06,2018 – 60798/1 O, zitiert nach juris). Danach muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rz. 20). Dementsprechend tritt auch das Recht des Einzelnen auf Vergessenwerden hinter der Pressefreiheit zurück, soweit ein öffentliches Interesse an den verbreiteten Informationen besteht (EGMR, Urteil vom 28.06.2018 – 60798/10, zitiert nach juris). Bei Tatsachenberichten „hängt diese Abwägung insbesondere vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht“ (BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI ZR 439/17, Rz. 12). Die von dem Kläger ,angegriffenen Äußerungen in dem Online-Artikel der Beklagten vom 19.03.2018 enthalten keine unwahren Tatsachenbehauptungen. Der Kläger ist unstreitig jahrelang Referent der Fraktion der AfD im Landtag des Landes Brandenburg gewesen, bevor er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Herrn Gauland in dessen Abgeordnetenbüro als Vorsitzender der Bundestagsfraktion der AfD geworden ist. Zudem ist der Kläger in der Zeit von 1999 bis 2004 Mitglied der im Jahr 2009 verbotenen HDJ gewesen, zu deren Führung sein Vater, sein Bruder und seine Schwägerinzählten. Schließlich hat der Kläger, wie bereits festgestellt worden ist, in dem Zeitraum von April 2003 bis zu seinem Ausstieg im jahr 2004 für die HDJ eine Funktion als Leiter der Abteilung übernommen, die für die Koordinierung der technischen Dienste auf den Lagern zuständig gewesen ist.
Sollte man … das schlichte Bestreiten des Klägers seiner Stellung als Leiter einer Abteilung innerhalb der HDJ in der Zeit von April 2003 bis zu seinem Ausstieg im jahr 2004 als erheblich ansehen, änderte sich dadurch nichts am Ergebnis. Steht der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung wegen der Äußerung eines bloßen Verdachts nicht fest, darf deren Aufstellung oder Verbreitung dann nicht untersagt werden, wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft und sich der Äußernde gemäß Art, 5 GG und § 193 StGB auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen kann (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rz. 50). So liegt der Fall hier. Es ist eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit, wer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag und des Vorsitzenden dieser Partei, Herrn Gauland, als dessen ldeengeber und Redenschreiber wirkt sowie aus welchem politischen Milieu diese Person stammt, da Herr Gauland mit den genannten Funktionen derzeit zu den herausragenden Politikern des Landes gehört. Die Beklagte kann sich auch auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt worden sind, wobei sich die Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche nach den Aufklärungsmöglichkeiten richtet und die Anforderungen daran für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute zu beurteilen sind (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14, Rz. 38). Zu unterscheiden sind dabei vier verschiedene Kriterien (BGH, a.a.O., Rz. 39): (I) Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. (2) Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. (3) Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. (4) Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Ein Mindestbestand an Beweistatsachen (I) liegt vor, da die Mitgliedschaft des Klägers in der HDJ ebenso unstreitig ist wie, dass der Kläger in dem organisationsinternen Forum der Heimatreuen Jugend im April 2003 als Leiter der neuen Abteilung ,,HALT“ (für „Heimatreue Ausrüstung und Lagertechnik“) angekündigt worden ist. Die Beklagte hat den Kläger auch nicht vorverurteilt (2), da in dem strittigen Artikel nicht schlichtweg behauptet wird, der Kläger sei bei der HDJ Abteilungsleiter gewesen, sondern die Beklagte hat vielmehr insoweit nur auf die Nachricht aus dem organisationsinternen Forum der HDJ Bezug genommen und daraus zitiert. Von der Konfrontationspflicht (3) gibt es Ausnahmen. Sie entfällt dann, wenn mit einem bloßen unsubstantiierten Dementi gerechnet werden muss. Das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation kann daraus geschlussfolgert werden, dass der Betroffene in dem nachfolgenden Prozess davon absieht, für die Unwahrheit sprechende Indizien substantiiert darzulegen und stattdessen den Verdacht schlicht dementiert Wie sich aus den obigen Ausführungen zu I) ergibt, hat der Kläger es dabei bewenden lassen, seine ehemalige Funktion als Abteilungsleiter der HDJ einfach zu bestreiten. Schließlich ist die Mitteilung, dei Kläger sei bei der HDJ Abteilungsleiter gewesen, durch das lnformatlonsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt (4). ln dieser Hinsicht kann auf die nachfolgenden Ausführungen zu Nr. 3. verwiesen werden.
3) Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI ZR 439/17, Rz. 12). Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung geht … zugunsten der Beklagten aus. Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur in Fällen schwerwiegender Auswirkung auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen ist (BGH, Urteil vom 27. September 2016, Az.: VI ZR 250/13, Rz. 21). Eine solche kommt in Betracht, wenn ein beanstandungswürdiges Verhalten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, Rz. 39). Liegt das beanstandungswürdige Verhalten langezurück, kann das ein Umstand sein, der eine Stigmatisierung oder soziale Ausgrenzung weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, Rz. 22). Gemessen daran hat weder der Kläger konkrete Nachteile beruflicher Art oder schwerwiegende Auswirkungen auf sein Persönlichkeitsrecht vorgetragen, die ihm durch die streitgegenständlichen Äußerungen entstanden wären, noch hat das Landgericht solche Auswirkungen festgestellt. Schwerwiegende Auswirkungen der streitgegenständlichen ' Äußerungen auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers liegen auch nicht auf der Hand. Zwar wendet sich der streitgegenständliche Online-Artikel der Beklagten“an ihre deutschlandweit verbreitete Leserschaft. Allerdings dürfte nur einem sehr geringen Teil davon eine Identifizierung des Klägers anhand der individualisierenden Angaben in dem Online-Artikel überhaupt möglich gewesen sein, weil die Beklagte den Kläger nur unter seinem bereits abgelegten alten Nachnamen genannt hat und sein nach wie gültiger Vorname jemanden, der die Identität des Klägers anhand der Angaben in dem Artikel hätte herausfinden wollen, auch nicht viel weitergeholfen hätte, weil in dem Artikel unerwähnt bleibt, dass der Kläger im Zeitpunkt des Ersehe inens des Artikels bereits Widerrufsbeamter des Landes Sachsen-Anhalt geworden war und damit nicht mehr unter den Mitarbeitern des Bundestags zu finden war. Damit ist im Wesentlichen nur den Personen, d ie ohnehin den Kläger und seine Lebensverhältnisse gut kennen, eine Identifizierung von ihm möglich gewesen. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels seinen Kollegen und Dienstvorgesetzten in seinem aktuellen beruflichen Umfeld als Beamter des Landes Sachsen-Anhalt sein alter Name oder seine berufliche Vortätigkeit für die AfD bekannt gewesen ist. Zwar würden ihn ehemalige Kollegen des Klägers in dem Abgeordnetenbüro des Herrn Gauland wohl schon anhand des Vornamens identifizieren können, wie auch ehemaligen Kollegen im Landtag des Landes Brandenburg sein alter Nachname geläufig gewesen ist, weil der Kläger seinen alten Nachnamen … noch im August 2016 geführt hat. Jedoch ist von dem Kläger nicht konkret dargelegt worden, dass er in diesen Kollegenkreisen durch den Online-Atikel einen schwerwiegenden Ansehensverlust erleiden könnte. Entsprechendes gilt für seinen privaten Freundes- und Bekanntenkreis. Zu berücksichtigen ist dabei zum einen, dass der Kläger beruflich sowohl im Landtag in Brandenburg als auch im Abgeordnetenbüro des Herrn Gauiand für die AfD gearbeitet und sich damit selbst für seine Kollegen und Freunde ersichtlich politisch am rechten Rand des Parteienspektrums positioniert hat. Zum anderen ist eine soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung wegen der in dem Online-Artikel offengelegten Betätigung des Klägers in der HDJ schon deshalb nicht zu besorgen, weil der Online-Artikel deutlich macht, dass er nur als jugendlicher die HDJ unterstützt hat und dies auch schon sehr lange zurückliegt. Demgegenüber verdient im Rahmen der Gesamtabwägung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung über den Kläger mit individualisierenden Angaben der Vorrang. Für die Abwägung ist bedeutsam, ob die Berichterstattung allein der Befriedigung der Neugier des Publikums dient oder ob sie einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft leistet und die Presse mithin ihre Funktion als „Wachhund der Öffentlichkeit“ wahrnimmt (BGH, Urteil vom 18.12.2018, – VI ZR 439/17, Rz. 12). Letzteres hat die Beklagte getan. Herr Gauland ist eine Person, dem die Öffentlichkeit schon aufgrund seiner hervorgehobenen Funktionen ais Vorsitzender der AfO-Fraktion des Bundestags und als Vorsitzender der Partei der AfD ein gesteigertes Interesse entgegenbringt. Herr Gauland wirkt zudem aufgrund seiner großen medialen Präsenz in Funk und Fernsehen an der öffentlichen Meinungsbildung intensiv mit. Allein deshalb ist es für die Öffentlichkeit von Interesse, zu erfahren, von welchen Personen als wissenschaftlichen Mitarbeitern sich Herr Gauland für die Inhalte oder die Abfassung seiner Debattenbeiträge zuarbeiten lässt. Da zudem bereits im Zeitpunkt des Erscheinens des streitgegenständlichen Online-Artikels in der breiten Öffentlichkeit eine politische Debatte darüber geführt worden ist, ob sich die AfD von rechtsextremen Bewegungen hinreichend abgrenzt oder ob sie besser vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte, ist es für die Öffentlichkeit von erheblichem Interesse gewesen, zu erfahren, ob Herr Gauland oder andere AfO-Politiker Mitarbeiter beschäftigen, die eine rechtsextreme . Vergangenheit aufweisen, Es bestand auch ein nachvollziehbares Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit daran, zu den betroffenen Mitarbeitern individualisierende Angaben zu erhalten, um so die Glaubhaftigkeit dieser Berichte besser einordnen zu können, da im Zeitpunkt der Berichterstattung der Beklagten bereits über andere Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten mit einer rechtsextremen Vergangenheit berichtet worden war, etwa über den in der HDJ an führender Stelle tätig gewesenen Bruder des Klägers (vgl. Anlage KE6). Ln , diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa ein jahr später nach einer Überprüfung aller offen zugänglichen Informationen am 08.03.2019 nur die Teilorganisationen der AfD ,„Der Flügel“ und die „Junge Alternative“ wegen gewichtiger Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu Verdachtsfällen erhoben hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“