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AfD Bürgerdialog in GoslarRechtsextreme zerlegen sich vor Publikum

Der zerrüttete AfD-Kreisvorstand in Goslar in Niedersachsen stritt sich beim Bürgerdialog auf offener Bühne. Ist der Landesverband am Ende?

„Ihr habt angefangen!“: Streit vor den Augen des Publikums, das man eigentlich für die AfD gewinnen wollte Foto: Still aus Video-Mitschnitt des Bürgerdialogs

Bremen taz | Maximilian Krah kam erst gar nicht. Eigentlich hatte der Kreisverband in Goslar den AfD-Bundestagsabgeordneten aus Sachsen zu einem Bürgerdialog eingeladen, vor dem Saal wurde gegen den rechtsextremen Politiker demonstriert. Aber Krah und sein Co-Redner Mike Moncsek hatten kurzfristig abgesagt: Offensichtlich waren sie zuvor gewarnt worden, dass man diesem zerstrittenen Kreisverband besser fernbleiben sollte.

Auch wenn die Redner fehlten: Den Be­su­che­r*in­nen des Bürgerdialogs wurde eine ordentliche Show geliefert. Denn dass die Verhältnisse dort tatsächlich zerrüttet sind, wurde bei dem Event, das bei Youtube zu sehen ist, deutlich. AfD-Kreisverbandsvorsitzender Main Müller hatte die Hälfte seines zehnköpfigen Vorstands gar nicht erst in den Saal gelassen.

Diesen Schritt machte der AfD-Bundestagsabgeordnete Micha Fehre, zugleich Mitglied des Landesvorstands der AfD Niedersachsen, sogleich als undemokratisch öffentlich – und lud Müllers Gegner ein, ihre Vorwürfe gegen den Kreisverbandsvorsitzenden offen auf der Bühne auszubreiten, als Teil einer „transparenten Streitkultur“.

Was folgte, war ein wüstes Geplänkel aus Geschrei, Vorwürfen und Beleidigungen, irgendwo zwischen „Du lügst“ und „Ihr habt angefangen“. „Halt du die Fresse“, ging der niedersächsische Landtagsabgeordnete Omid Najafi an einer Stelle Müller an, der dann mit „Wollen wir rausgehen?“ konterte. „Drohst du mir?“, schrie Najafi, und: „Er droht mir!“

Publikum zeigte sich fassungslos

An Brisanz gewann der Streit, weil Youtuber „Weichreite“, bürgerlich Sebastian Weber und selbst AfD-Mitglied, den ganzen Konflikt für seinen Channel filmte. Das wurde irgendwann durchaus bemerkt – doch statt sich in Schadensbegrenzung zu üben, stachelte die öffentliche Aufzeichnung die Streitenden an. „Nimm das alles auf“, forderte Müller den Streamer auf; „Habt ihr das gehört?“, fragte Gegner Najafi mit Blick in die Kamera. Und, um das Bild zu vervollständigen, rief ein Vorstandsmitglied noch in Richtung Publikum, „jede Vorstandssitzung“ laufe in diesem Stil ab.

Das Publikum gab sich fassungslos. „Ich bin das erste Mal bei einer AfD-Veranstaltung“, so ein Zuschauer, „Wie wollen Sie Leute gewinnen, wenn sie sich selber nicht einig sind?“ Andere forderten die Vorstandsmitglieder auf, ihren Streit, „wie Erwachsene am Küchentisch“ zu klären.

Worum es inhaltlich ging, das blieb trotz „transparenter Streitkultur“ für Außenstehende völlig offen. Von gefälschten „E-Mails und Audio-Dokumenten“ sprach Müller, mit denen man versuche, Druck auf ihn auszuüben. Er selbst habe „alle Beweise“ bei sich zu Hause. Seine Gegner dagegen behaupteten, „über 1.000 Seiten“ gegen Müller gesammelt zu haben.

Einzig ein kurzer Verweis auf „Fotos mit Björn Höcke“ gibt einen Hinweis auf die inhaltliche Substanz des Streits. Wer mehr wissen will, muss die regionale Presse verfolgen: Die Goslarsche Zeitung berichtet seit Längerem über Streit in der AfD. Im Juli hatte Vorstand Müller, der als konservativ-bürgerlich gilt, ohne Absprache Höcke zu sich nach Hause eingeladen und Fotos vom Treffen in einer AfD-internen WhatsApp-Gruppe gepostet.

Landesvorstand distanzierte sich von Höcke

Von dort aus leitete jemand das Bild an die Presse weiter. Der niedersächsische Landesvorstand distanzierte sich vom Höcke-Besuch; die anderen 30 niedersächsischen Kreisverbände beschlossen einstimmig, Müller vom Verbandstag auszuschließen. Er gehöre zu den „schärfsten Kritikern“ Höckes, habe von ihm aber im persönlichen Gespräch wissen wollen, wo er stehe, so Müller.

Auch wenn damit viele Fragen offen bleiben – warum sollte Höcke für ein solches Gespräch nach Goslar reisen wollen? – scheint es nicht der eigentliche oder zumindest nicht der einzige Streitpunkt zu sein. Die Hälfte des Vorstands hat sich in einem Brandbrief an die Parteimitglieder gegen den eigenen Vorsitzenden ausgesprochen und den Landesvorstand eingeschaltet, um ein Schiedsgericht über den Vorsitz entscheiden zu lassen.

Entscheidender als eine Ausrichtung für oder gegen Höcke sind offenbar Stilfragen: der Führungsstil Müllers, so schreibt ein Redakteur der Goslarschen Zeitung, werde „als ruppig empfunden“.

Der Konflikt strahlt auf Landesebene aus – auch, weil deren Vorstand einen Vertreter zur Veranstaltung geschickt hat. Der Landesvorsitzende Ansgar Schledde wisse bestimmt nichts von der öffentlichen Denunziation gegen ihn, so Müller: „Ein Mann, ein Wort.“ Andere Redner behaupteten dagegen, Schledde habe persönlich dafür gesorgt, dass Krah von der Veranstaltung ausgeladen werde.

Aus dem AfD-Kreisvorstand gibt es bis Redaktionsschluss keine Erklärung für die Gründe des Streits. Der Landesvorstand „missbilligt das Verhalten aller an dem Streit auf offener Bühne Beteiligten“; alle hätten sich mittlerweile intern entschuldigt, Parteiordnungsmaßnahmen würden aber trotzdem noch geprüft.

„Nur eine Partei, die sich selber im Weg steht, kann die AfD noch stoppen“, warnte Bundestagsabgeordneter Fehre bei der Versammlung. „Ich bin sicher, dass das hier zur Spaltung des Landesverbandes Niedersachsen führt“, prognostizierte Müller selbst.

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