Änderung der Blockfunktion auf Plattform: Gebt X nicht auf!
Auf X sind öffentliche Posts nun auch für geblockte Accounts sichtbar. Doch es wäre zu billig, die Plattform abzuschreiben. Jetzt ist die EU gefragt.
N a, immer noch bei X/Twitter? Für alle, die auf diese Frage zerknirscht nicken, liefert die von Elon Musk verunstaltete Plattform derzeit einen neuen und ziemlich guten Anlass zum Gehen. Denn aktuell gibt es eine umstrittene Änderung: Öffentliche Posts von Nutzer:innen sind nun auch für die von ihnen geblockten Accounts sichtbar. Angekündigt hatte Musk das schon im September, nun posten Nutzer:innen Meldungen, die über die Umsetzung informieren.
Die Neuerung passt in das umstrittene „Free Speech“-Konzept, das Musk vertritt. Ein Paradigma, das im Prinzip jede Äußerung als Meinungsäußerung und damit als legitim und legal versteht. Beleidigung? Meinung. Hate Speech? Meinung. Aufruf zu Straftaten? Meinung. Schutz von Menschen vor dieser Art von Äußerungen? Überbewertet. Dieser Ansatz ist praktischerweise auch ökonomisch sehr bequem, weil man sich so als Plattformbetreiber die Moderation der Inhalte im Wesentlichen schenken kann. Spart Personal, spart Geld und man muss sich nicht mal die Mühe machen, eine KI dafür zu trainieren. Musks Haltung in Kombination mit seinem klaren rechten Profil hat X zu dem gemacht, was es heute ist: Ein Ort, an dem das Recht dessen gilt, der die eigene Meinung und viel zu häufig auch Hass und Hetze möglichst laut und rücksichtslos ins Netz schreit. Ein Sumpf der algorithmisch verzerrten Realität, in dem sich vor allem Rechte und Populist:innen wohlfühlen.
Die nur konsequente Änderung bei der Blockierfunktion bedeutet im Ergebnis noch weniger Schutz für Nutzende – gerade für Menschen, die ohnehin schon Bedrohungen, Anfeindungen oder Belästigungen ausgesetzt sind. Das technische Angebot von X zur Lösung dieses Problems ist denkbar zynisch: Wer mit den Konsequenzen der Änderung nicht einverstanden ist, soll halt nicht mehr öffentlich posten, sondern die Einstellungen so verändern, dass nur noch Follower:innen die eigenen Veröffentlichungen sehen können. Kein Wunder also, dass Konkurrent Bluesky eigenen Angaben zufolge innerhalb von zwei Tagen einen Zuwachs von 1,2 Millionen Nutzenden verzeichnete. Für die Konkurrenz ist die Geschäftspolitik von Musk die beste Werbung.
Situation nicht hoffnungslos
Die Situation ist also desaströs, aber nicht hoffnungslos. Denn es wäre zu bequem, X einfach abzuschreiben: Die Zahl der Nutzenden geht ohnehin zurück, das Diskussionsklima ist kaum mehr zum Aushalten, warum also überhaupt noch hinschauen? Allerdings lässt sich über X immer noch ziemlich viel Reichweite erzielen. Und in der gesellschaftlich-politischen Wahrnehmung hat die Plattform noch inhaltliche Relevanz – wenn auch vermutlich mehr, als sie verdienen würde. Dazu kommt: Die kontinuierliche Absenkung der Debattenstandards, wie wir sie seit der Übernahme durch Elon Musk erleben, macht auch etwas mit der Kommunikation.
Sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene. Und in einer ohnehin schon polarisierten gesellschaftlichen Situation, in der wir eigentlich mehr Zuhören, mehr Zugewandtheit, mehr Bewusstsein brauchen dafür, dass die eigene Lebenswelt vielleicht nicht die des Gegenübers ist, sind Maßnahmen, die das Gegenteil bewirken, extrem kontraproduktiv.
Daher ist nun die EU gefragt, ganz genau hinzuschauen. Denn der Digital Services Act (DSA) der EU schreibt den Plattformen mehr Schutz von Nutzenden, unter anderem vor Hate Speech, vor. Die Musk’sche Agenda konterkariert, nicht zum ersten Mal, dieses Ziel. Die EU-Kommission hat bereits Untersuchungen nach dem DSA gegen X eingeleitet. Gegen die neue Änderung vorzugehen, wäre nur ein kleiner Schritt angesichts der Fülle von Dingen, die X zur Problem-Plattform machen. Doch es wäre ein nötiger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge