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Änderung der Berliner Corona-VerordnungSitzenbleiben nicht bestrafen

Grüne und Linke fordern Veränderungen der Corona-Eindämmungsverordnung. Die wird, wie das Wochenende zeigte, weitgehend befolgt.

Polizisten ermahnen Lesenden am Spreeufer in Berlin Moabit Foto: Christian Mang

Die Grünen wollen die aktuelle Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus überarbeiten. „Wir müssen klarstellen, dass man natürlich auch mal 15 Minuten auf einer Parkbank sitzen darf“, sagte der innenpolitische Sprecher Benedikt Lux am Sonntag der taz. Zudem müsse die Verpflichtung abgeschafft werden, den Personalausweis immer dabei zu haben; dies binde unnötig Kapazitäten der Polizei und ist in keinem anderen Bundesland außer Sachsen-Anhalt ebenfalls vorgeschrieben.

Lux will beide Vorschläge in der Sitzung des Innenausschusses an diesem Montag einbringen. Ende vergangener Woche hatte bereits der Innenexperte der Linksfraktion, Niklas Schrader, in der taz angekündigt, dass Änderungen der Verordnung geprüft werden müssen. Ähnlich äußerten sich weitere linke Abgeordnete bei Twitter.

Die vom rot-rot-grünen Senat beschlossene Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus gilt in dieser Form seit einer Woche. Wesentliche Vorgaben laufen allerdings am 5. April planmäßig aus, darunter das allgemeine Verbot, die Wohnung zu verlassen, wovon wiederum zahlreiche Ausnahmen gestattet sind. Allerdings sind nicht alle genau definiert, was zu Irritationen führte: So galt das „kurzzeitige“ Sitzen allein oder zu zweit auf einer Bank als erlaubt, ein Buch dort zu lesen jedoch nicht.

In der Praxis sanktionierten Polizisten Verstöße gegen die Verordnung oft nach eigenen Ermessen und entsprechend unterschiedlich. Am Wochenende wurden diese nach Augenzeugenberichten weitgehend geduldet, solange die Abstandsregelungen eingehalten wurden. 1,5 Meter sind dabei vorgeschrieben.

Es müsse klargestellt werden, so der Grüne Benedikt Lux, was die Menschen draußen tun dürften

Insgesamt werde die Verordnung weitgehend eingehalten, bilanziert die Polizei. Nach ihren Angaben waren am Samstag tagsüber 520 Beamte vor allem in Grünanlagen unterwegs. Dabei wurden insgesamt 103 Objekte und Zusammenkünfte im Freien überprüft. Davon musste „eine geringe Anzahl an Betreibern von Gaststätten“ aufgefordert werden, ihre Sitzgelegenheiten abzubauen. Insgesamt seien 24 Straf- und 36 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden. Abends und nachts hatte die Polizei dann mehr zu tun: Zwischen 18 und 6 Uhr wurde in 379 Fällen die Einhaltung der Verordnung kontrolliert und 34 Straf- sowie 72 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet.

Am Samstagabend gab es in Berlin laut Gesundheitsverwaltung 2.337 bestätigte Coronainfektionen. Daher gilt als sicher, dass die Verordnung des Senats verlängert wird, vorerst wohl bis Ende der Osterferien am 19. April. Allerdings müsse dann klar gestellt werden, so Benedikt Lux, was die Menschen draußen tun dürften.

So müsse eindeutig sein, was unter „kurzzeitig“ zu verstehen sei. „Auch das Sitzen auf einer Decke im Park muss erlaubt sein – wenn wirklich großer Abstand eingehalten wird“, sagte Lux. Generell solle der Senat darüber nachdenken, ob die Verordnung umgekehrt werde: dass also kein generelles Ausgangsverbot mit Ausnahmen gilt, sondern dass Wohnungen prinzipiell auch ohne triftigen Grund verlassen werden dürfen, wie das etwa in Hamburg und Hessen möglich ist.

Rückreisestaus aus Brandenburg

Offenbar auf weniger Akzeptanz stößt bei BerlinerInnen der Appell der Brandenburger Landesregierung, auf Ausflüge ins Umland zu verzichten. Am Samstagabend gab es Rückeisestaus auf der A114 Richtung Berlin.

Am Wochenende begann in Brandenburg zudem die Motorradsaison. Auf den Landstraßen waren überdurchschnittlich viele Biker unterwegs. Auch auf den Radwegen war viel los: Entweder machten Familien mit dem Rad einen Ausflug oder Paare. Alle hielten sich an die Abstandsregeln.

Auch viele Rennradfahrer waren auf der Straße – allerdings nicht die sonst am Wochenende üblichen Pulks in bunten Trikots. Maximal Pärchen waren unterwegs, was ja erlaubt ist. Ob das an Einsicht in die Abstandsregeln und an Solidarität mit gefährdeteren Gruppen liegt, bleibt offen – es könnte auch die Angst sein, in größerer Zahl von der Polizei gestoppt und zur Kasse gebeten zu werden: Die Polizei fährt laut Augenzeugen selbst in abgelegenen Regionen Brandenburgs regelmäßig Streife.

Leer ist es hingegen auf den Spargelfeldern. Kurz vor Luckenwalde, wo zwischen Berkenbrück und Ruhlsdorf kilometerweit weiße Plastikplanen die Spargelfelder abdecken und im glitzernden Sonnenlicht wie schneebedeckt aussehen lassen, sieht zwar alles wie auf Ernte vorbereitet aus und es steht ein Dixiklo neben dem üblichen ausrangierten Ex-Nahverkehrsbus fürs Rankarren der Helfer. Aber wo sonst Menschen dicht an dicht ernten, sind am Samstagmorgen höchstens – aus der Ferne geschätzt – zwei Dutzend Menschen zu sehen.

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19 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Orwell läßt grüßen

    Zitat @SURYO:" Im ÖPNV gilt das Gebot auch nicht."



    Was dem ganzen Zirkus die Krone der Absurdität aufsetzt: Die größten Infektion-Cluster sind die eigenen vier Wände, Krankenhäuser und Arztpraxen und der Gemeinschaftstransport, vielerorts die Arbeitsplätze. Ausgerechnet die effizientesten Virus-Ventilatoren von den drastischen Quarantäne-Regelungen auszunehmen, dafür ganze Parks, Kinderspielplätze und Parkanlagen abzuriegeln, hat schon Orwellsch'es Format.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Nochmal: Infektionsketten lassen sich bei Parkbesuchern nicht nachvollziehen. Des Weiteren ist der ÖPNV für viele Menschen nun mal der einzige Weg, um zur Arbeit oder zum Arzt zu kommen. Der Parkbesuch ist nun mal nicht absolut notwendig.

  • Nicht die Golfplätze schließen.



    Golf ist ein Sport, in dem man weit auseinander steht.



    Buchläden- Radläden könnten offen haben - mit Eintrittsregeln wie bei Apotheken.

  • „Wir müssen klarstellen, dass man natürlich auch mal 15 Minuten auf einer Parkbank sitzen darf“, sagte der innenpolitische Sprecher Benedikt Lux am Sonntag der taz.

    Wenn Herr Lux das klarstellen muss, ist die Verordnung, an der seine Partei mitgewirkt hat, wohl irgendwie in der Formulierung Mist.

    • @rero:

      Zitat @RERO: "Wenn Herr Lux das klarstellen muss, ist die Verordnung, an der seine Partei mitgewirkt hat, wohl irgendwie in der Formulierung Mist."



      Sie sagen es. Und das gilt nicht für diese oder jene Gummi-Formulierung, sondern für deren Kern. Genau da liegt der Hund begraben.

  • Wo ist das Problem? Sitzen auf der Decke ist weder Sport, noch Arbeit, noch Einkaufen, noch der Gang zum Arzt. Also derzeit nicht erlaubt. Und ist es wirklich so wahnsinnig schwer, einfach mal darauf zu verzichten? Wenn zehn Leute auf Decken sitzen, kommen bald die nächsten zehn, die darauffolgenden zehn wollen dann auch nicht verzichten, und irgendwann muss die Polizei dann allein schon zur Durchsetzung des ja wohl eindeutig wissenschaftlich begründbaren Mindestabstandes eingreifen. Und je mehr eher sich jetzt einfach mal alle am Riemen reißen, desto eher ist dann auch Schluss mit den Restriktionen.

    • @Suryo:

      Brave New World

      Zitat @SURYO: „...und irgendwann muss die Polizei dann allein schon zur Durchsetzung des ja wohl eindeutig wissenschaftlich begründbaren Mindestabstandes eingreifen.“

      Kein Mensch, der im Park Ruhe und Erholung sucht und sich dazu auf einer Decke niederläßt, sucht die Nähe zu anderen, sondern größtmöglichen Abstand - schon in Friedenszeiten. Der Anlaß dieser bizarren Debatte kann nur Hirnen mit preußischer Untertanen-DNA entspringen. Die Polizei scheucht - ohne Mundschutz - massenhaft einsame Parkbesucher mit einem Buch in der Hand auf, nachdem sie zuvor einem voll besetzten Mannschaftswagen entstiegen sind, der naturgemäß keinen Raum für „soziale Distanz“ bietet.

      Hier in Frankreich wird mit geballtem technischen Polizeiarsenal wie Drohnen Jagd gemacht auf einsame Jogger und Leute, die in der Sonne liegen und sich dem Viren-Killer UV-Strahlung aussetzen, auch wenn sie sich innerhalb der Bannmeile von 1 Kilometer vom Wohnsitz aufhalten. Das wird dann auch schon gar nicht mehr mit wissenschaftlicher Evidenz begründet, sondern unverblümt mit polizeistaatlichen Argumenten, jeglichen Erscheinungen von Ungehorsam und Rebellion im Keime zu ersticken. Nun ja, die politische Klasse in Frankreich kann ein Lied davon singen...

      • @Reinhardt Gutsche:

        Offensichtlich warst du noch niemals in einem Berliner Park.

        • @Suryo:

          Zitat @SURYO: "Offensichtlich warst du noch niemals in einem Berliner Park."

          Offensichtlich warst du noch niemals in diesen Zeiten in einer Berliner U-Bahn in Neukölln. Dorthin verirrt sich kein Polizist zum Durchsetzen des Abstandsgebots...

          • @Reinhardt Gutsche:

            Im ÖPNV gilt das Gebot auch nicht.

            Der Punkt ist doch, dass mittlerweile absolut niemand behaupten kann, er wisse nicht, was die Regeln sind und warum es sie gibt. Man kann natürlich gerne der Meinung sein, man könne den Sinn der Regeln selbst beurteilen. Aber wenn man kein Virologe ist, ist diese Meinung eben unmaßgeblich.

            • @Suryo:

              Orwell läßt grüßen

              Zitat @SURYO:" Im ÖPNV gilt das Gebot auch nicht."

              Was dem ganzen Zirkus die Krone der Absurdität aufsetzt: Die größten Infektion-Cluster sind die eigenen vier Wände, Krankenhäuser und Arztpraxen und der Gemeinschaftstransport, vielerorts die Arbeitsplätze. Ausgerechnet die effizientesten Virus-Ventilatoren von den drastischen Quarantäne-Regelungen auszunehmen, dafür ganze Parks, Kinderspielplätze und Parkanlagen abzuriegeln, hat schon Orwellsch'es Format.

              • @Reinhardt Gutsche:

                Anders als im Park lassen sich aber anderenorts die Kontaktpersonen identifizieren und Infektionsketten unterbrechen. Oder meinen Sie, draußen könne man sich nicht anstecken?

                • @Suryo:

                  Zitat @SUYO: „Anders als im Park lassen sich aber anderenorts die Kontaktpersonen identifizieren und Infektionsketten unterbrechen.“

                  Wie bitte? Kontaktpersonen in der U-Bahn identifizieren und Infektionsketten unterbrechen? Der 1. April ist doch erst morgen!

                  • @Reinhardt Gutsche:

                    Der ÖPNV erfüllt nun mal die Aufgabe, Menschen zu ihrem Arbeitsplatz oder zum Arzt zu bringen. Und es gibt für kürzere Wege Alternativen.



                    Das Picknick im Park ist dagegen weder absolut notwendig, noch ist es alternativlos.

  • Die Polizei ist mit solchen Regelungen ganz klar überfordert! Ebenso hier in Bayern. Gestern rief mich ein Bekannter an, der Polizist ist und fragte mich, welche Hunderassen wieviel Auslauf bräuchten, da er weiß, dass ich mich damit auskenne. Seine Dienstelle habe die Anweisung bekommen, darauf zu achten, dass Gassigehen nicht zur "faulen Ausrede für das Verlassen der Wohnung aus nicht-triftigen Gründen" werde.



    Andererseits sind mir bereits mehrere Fälle bekannt, wo Hunde zum Tierarzt mussten, weil sie ihre Halter durch exessives und ungewohntes Nebenherrennen beim Joggen oder Radfahren überlastet hatten.



    Liebe Regierenden! Gerade in solchen Zeiten brauchen die Menschen klare und einsehbare Regelungen! Es geht ums Abstandhalten, um Ansteckungen zu vermeiden. Jede darüber hinausgehende Einschränkung ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv!

    • @boidsen:

      Keine anderen Sorgen

      Zitat @BOIDSEN: "Gestern rief mich ein Bekannter an, der Polizist ist und fragte mich, welche Hunderassen wieviel Auslauf bräuchten, da er weiß, dass ich mich damit auskenne. Seine Dienstelle habe die Anweisung bekommen, darauf zu achten, dass Gassigehen nicht zur "faulen Ausrede für das Verlassen der Wohnung aus nicht-triftigen Gründen" werde."

      Beneidenswertes Land, dessen Polizei keine anderen Sorgen hat...

      • @Reinhardt Gutsche:

        Genau DAS ist ja das Problem! Durch solche unklaren Regelungen, wie "triftiger Grund zum Verlassen der Wohnung" werden den Einsatzkräften Entscheidungen zugemutet, die vollkommen überflüssig sein sollten. 2 m Abstand zu anderen, nur noch alleine raus, Ausnahmen nur für Hilfsbedürftige und Kinder unter 12 Jahren, dazu alle nicht lebensnotwendigen Betriebe sofort schließen und den öffentlichen Personenverkehr einstellen - das brächte wesentlich mehr Schutz, als irgendwelche Wischiwaschi-Vorschriften, die nur die Kreativität im Erfinden von Ausreden fördern.

  • Gestern als einzel Person im Treptower Park gesehen, wie zwei Polizeibeamte im derben Machtbefehlston die in diziplinierter Abstandsregeln einhaltenden Menschen angeht, von der Parkbank und der Liegewiese verweist. Wen stecken die denn an?



    Der Hausmeister hat Macht!

  • Zitat: „Wir müssen klarstellen, dass man natürlich auch mal 15 Minuten auf einer Parkbank sitzen darf“

    Na gut, 15 Minuten. Aber keine Minute länger! Sonst setzt‘s was! Verstanden?