Ägypten: Nachfolgerin der Göttin Maat
Als Anwältin verteidigte sie die Angeklagten nach den Brotunruhen von 1977. Heute ist Tahani al-Gebali Vizepräsidentin des ägyptischen Verfassungsgerichts.
Golden schimmert die Statue der pharaonischen Göttin der Gerechtigkeit Maat in der Vitrine im Beratungssaal 3 des ägyptischen Verfassungsgerichtes: der "Richterin der Richter", wie sie in den hieroglyphischen Inschriften genannt wird. Maat wird als erster weiblicher Kadi im Land am Nil verehrt. "Danach folgte eine traurige Lücke von 7.000 Jahren, in denen ägyptische Frauen von der Rechtsprechung ausgeschlossen waren", sagt Tahani al-Gebali und deutet auf die Figur. "Aber", sagt sie, "am Ende kann nichts den Fortschritt aufhalten."
Al-Gebali weiß, wovon sie spricht, denn sie hat die Lücke wieder geschlossen. Vor fünf Jahren wurde sie zur ersten Richterin im modernen Ägypten bestimmt und dabei gleich mit höchsten richterlichen Weihen bedacht. Die 57-Jährige ist Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtes, das im Süden Kairos, direkt am Ufer des Nils, in einem architektonisch einzigartigen Gerichtsgebäude residiert, das einem alten ägyptischen Tempel nachempfunden wurde.
Die Orginalstatue der Maat, ein Geschenk aus der Sammlung des Ägyptischen Nationalmuseums, trägt Kopfschmuck: eine aufrecht nach oben ragende Feder. "Die symbolisiert ihre Neutralität beim Schlichten von Konflikten, da sie immer aufrecht steht, egal woher der Wind weht", sagt al-Gebali lächelnd. "Wann immer ich hier mit meinen 16 Kollegen über Verfassungsfragen brüte, spähe ich gelegentlich zu der alten goldenen Dame hinüber. Sie verleiht meinem Herzen Mut", gibt sie freimütig zu.
Dabei macht al-Gebali gar nicht den Eindruck, als brauche ihr Selbstbewusstsein göttlichen Zuspruch. Auch wenn sie ein wenig aussieht, wie die liebenswerte ägyptische Tante von nebenan, strahlt die Frau bei näherem Hinsehen einfach Autorität aus. "Ihre Exzellenz Frau Richterin" repräsentiert das, was auf Ägyptisch als gadaa bezeichnet wird: Hartnäckigkeit; wenn es darauf ankommt, kann sie jederzeit ihre Frau stehen. Keine Sekunde habe sie gezögert, ihr Amt anzunehmen. Nie habe sie sich etwas Größeres erträumt, sagt sie. Merkwürdig fand sie nur, dass die erste Richterin in das höchste Gericht des Landes bestellt und nicht zunächst in niedrigeren Kammern eingesetzt wurde. "Aber wir sind hier in Ägypten, da laufen die Dinge eben oft etwas anders", erklärt sie sich das. Sie selbst hatte sowieso nie vor, einfach nur als Aushängeschild nach außen zu fungieren. Wenn Ägyptens 17 Verfassungsrichter zusammensitzen, spricht al-Gebali nicht selten als Erste und oft am längsten.
Seit dem vergangenem April ist sie ohnehin nicht mehr die einzige Richterin in Amt und Würden. Damals wurden 31 Richterinnen eingeschworen, um fortan diversen Gerichten im Lande vorzustehen. "Das wurde auch höchste Zeit", meint al-Gebali. "In elf arabischen Ländern gehören Richterinnen längst zur Tagesordnung, und es war peinlich, wie sehr Ägypten, das als erstes arabisches Land 1956 Frauen das Wahlrecht gewährte, in dieser Frage hinterhergehinkt ist", erinnert sie sich.
Bei der Ernennung der Richterinnen wurde erneut eine Diskussion im Land losgetreten, ob Frauen zu diesem Amt überhaupt befähigt seien. Hauptargument der Gegner ist dabei stets, dass nach islamischem Recht zwei weibliche Zeugen genauso viel zählen wie ein männlicher. Wie können Frauen dann Richter werden, wenn sie nur als halbe Zeugen gelten?, begründen sie ihre Abwehrhaltung.
Andere, wie der Chef des Richterverbandes von Alexandria, Mahmud al-Khodeiri, rechtfertigt seine Ablehnung mit dem Argument, dass die Frauen nur schwer in den Provinzgerichten einsetzbar seien. "Die Leute im Gericht würden es nicht akzeptieren, eine schwangere Frau als Richterin zu haben. Dadurch würden sie ihren Respekt vor dem Amt verlieren", lautet auch die bizarre Warnung von Jehia Dakouri vom Obersten Verwaltungsgericht. Andere argumentieren, dass Frauen zu emotional und zu kühlen Entscheidungen daher nicht fähig seien.
Tahani al-Gebali hat all diese Argumente bereits zur Genüge in der Zeit ihrer Ernennung kennengelernt. Sie selbst besitzt ein Diplom in islamischem Recht, der Scharia. Da könne ihr keiner etwas vormachen, sagt sie. Islam sei immer eine Frage der Interpretation und da gebe es eben frauenfeindliche und frauenfreundliche Auslegungen. Sie erinnert bei solchen Anlässen gerne an den Kalifen Omar, einen der Nachfolger des Propheten Mohammed, der auf der Arabischen Halbinsel eine Frau namens Schifaa als Richterin auf dem Markt bestellt hatte.
Diese verbohrten Gegner der Richterinnen wüssten gar nicht, wovon sie sprechen, echauffiert sich al-Gebali. In den Provinzen werden inoffiziell oft Frauen eingesetzt, um Blutfehden zu schlichten, erklärt sie. Wenn diese Frauen dort respektiert würden, dann gebe es keinen Grund, warum sie nicht auch als Richterinnen arbeiten könnten, meint sie. "Da hat die Gesellschaft ihre Verbindung zur Realität verloren." Immerhin, wirft sie ein, seien heute 70 Prozent der Jurastudienanfänger Frauen. Und Frauen arbeiteten bereits seit mehr als 80 Jahren im Land am Nil als Anwältinnen.
So hatte auch ihre Karriere begonnen. Al-Gebali, 1950 in der Nildeltastadt Tanta geboren, hatte eine Mutter, die es zur stellvertretenden Erziehungsministerin gebracht hatte und ihrer Tochter vormachte, mit der Tradition zu brechen.
Tahani al-Gebali hatte es von Anfang an im Blut, Anwältin zu werden, behauptet sie. So war es nur konsequent, dass sie 1968 ihr Jurastudium in Kairo begann - mit dem erklärten Ziel, eines Tages Richterin zu werden. Ihr großes Vorbild war Aischa Rateb, die bereits vor 50 Jahren mit viel Publizität, aber vergeblich versucht hatte, sich in ein Richteramt einzuklagen. Stattdessen wurde sie später erste Botschafterin Ägyptens in Wien.
Zunächst arbeitete al-Gebali drei Jahrzehnte als Anwältin. Sie verteidigte alles, gegen den Staat streikende Arbeiter, die nach den Brotunruhen 1977 Angeklagten bis hin zu Frauen, denen sie in vielen Fällen zu ihrer Scheidung verhalf. Frauen stritten in solchen Prozessen oft jahrzehntelang vor Gericht. "Als 20-Jährige reichten sie die Scheidungsklage ein, als 40-Jährige bekamen sie schließlich die Scheidung", erinnert sich al-Gebali, die eine der prominentesten Vertreterinnen der Erleichterung des Scheidungsrechts ist und diesen Kampf inzwischen gewonnen hat. Vor sieben Jahren wurde das Scheidungsrecht modifiziert, und inzwischen ist es den Ägypterinnen möglich, auch einseitig eine Trennung durchzusetzen. Oft hatte al-Gebali frustrierende Fälle zu bearbeiten, beispielsweise als ein Mann es seiner Frau verweigerte, zur Krebsbehandlung ins Ausland zu reisen. Denn bis heute brauchen Frauen in Ägypten für Reisen die Zustimmung des Mannes.
Al-Gebali verteidigte nicht nur die Frauen vor Gericht, sondern wurde auch zu einer der prominentesten Frauenrechtlerinnen des Landes, bevor sie Verfassungsrichterin wurde und sich nun in ihren politischen Äußerungen etwas zurückhalten muss. Nur so viel sagt sie zu ihrer Karriere: "Alles Neue wird zunächst abgelehnt. Als die Frauen erstmals studieren durften, hieß es, das sei das Ende der Zeit. Als sie dann arbeiten gingen, wurde das als das Ende der Welt verkauft. Seitdem haben sich Frauen in allen Bereichen bewährt", sagt sie.
Aber selbst was Ägyptens Judikative betrifft, hat al-Gebali noch längst nicht alles durchgesetzt. Die Staatsanwaltschaft und das Oberste Verwaltungsgericht sind bis heute nur Männern vorbehalten. Doch Ihre Exzellenz die Richterin bleibt bei ihrer typischen kämpferischen Zuversicht: Mit einem verschmitzten Lächeln blickt sie aus dem Fenster ihres Büros, dorthin, wo das stete Wasser des Nils sich den Weg durch Kairo bahnt. "Diese letzten Männerhochburgen", sagt sie " die werden wir auch noch knacken."
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