Adversarial Fashion: Überwachung und Mode
In der Kunst entsteht eine neue Avantgarde, die versucht, Überwachungssysteme mit subversivem Camouflage-Look auszutricksen.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein neues smartes Gadget auf den Markt kommt. Im Oktober erst präsentierte der kalifornische Textilhersteller Levi’s eine smarte Jeansjacke, die in Kooperation mit Google entwickelt wurde. In das Kleidungsstück sind elektrisch leitende Fasern eingewoben, die auf Touch-Eingaben wie ein Smartphone-Display reagieren. Über eine am Ärmel befestigte Sensorfläche werden Wischbewegungen oder Berührungen erkannt und damit Befehle an das Smartphone weitergeleitet. Der Träger der Jacke kann so Musiktitel wechseln sowie Telefonate annehmen oder ablehnen. Das Textil ist zudem mit einer Kamera ausgestattet, die sich per Gestensteuerung bedienen lässt.
Bereits 2017 haben Levi’s und Google eine smarte Jacke auf den Markt gebracht. Richtig durchsetzen konnte sich das Textil aber nicht. Auch die smarten Hoodies, Jeans und Baseball-Caps, die der Modekonzern Tommy Hilfiger im vergangenen Jahr vorstellte („Tommy Jeans Xplore“) und bei denen ein Mikrochip die Bewegungen des Trägers erfassen sollte, floppten.
Wer möchte schon kontrollieren lassen, wie oft er ein Kleidungsstück trägt? Und wer ist bereit, 200 Dollar für eine Jeansjacke auszugeben, bei der man Überwachung auf der Haut trägt? Hier scheint doch, bei allem Erkundungseifer, mit dem man sich verkappte Abhörgeräte wie Amazon Echo ins Wohnzimmer stellt, eine sogenannte creepy line, eine rote Linie, überschritten worden zu sein – ganz ähnlich wie bei der eingestellten Datenbrille Google Glass, deren Träger als „Glassholes“ verunglimpft und auch schon mal aus Bars geworfen wurden.
Im Alltag, nicht zuletzt in Textilien, sind ja schon genügend Kameras und Mikrofone installiert. Die Bundespolizei trägt an ihren Uniformen Bodycams, Körperkameras, deren Aufnahmen bizarrerweise auf Amazon-Servern landen. Und Facebook plant, die Metropolitan Police in Großbritannien mit Bodycams auszustatten, unter der Bedingung, dass es Zugriff auf die Videos bekommt.
Ein X für ein U
Allein in China sollen bereits 200 Millionen Überwachungskameras in Betrieb sein. An Straßenkreuzungen werden Rotgänger per Gesichtsscan identifiziert und auf riesigen Bildschirmen an den Pranger gestellt – der Punktabzug beim Sozialkreditsystem wird prompt auf dem Handy angezeigt. Die Gesichtserkennungssysteme sind inzwischen so scharf gestellt, dass sie flüchtige Personen in einer Menschenmenge auf Konzerten identifizieren können. Man kann also gar nicht mehr unbehelligt durch den öffentlichen Raum (oder was davon übrig bleibt) gehen, ohne ins Visier der Überwachungskameras zu geraten.
Doch es gibt eine Gegenbewegung. Auf der diesjährigen Hackerkonferenz Defcon hat die Hackerin und Modedesignerin Kate Rose eine Modelinie vorgestellt, mit der sich automatische Kennzeichenerfassungssysteme austricksen lassen. Die T-Shirts, Tops, Jacken und Röcke sehen zunächst aus wie gewöhnliche Textilien. Doch der Teufel steckt im Detail: Auf den Kleidungsstücken sind Muster von fiktiven Kennzeichen aufgedruckt. Wenn man nun mit dem Textil vor eine automatische Nummernschilderkennung etwa in einem Parkhaus tritt, suggeriert man dem System, man sei ein Fahrzeug. Man macht dem Computer quasi ein X für ein U vor. Der Algorithmus kann nicht erkennen, ob es sich um ein Auto oder einen Menschen handelt – er ist lediglich darauf trainiert, Muster von Kennzeichen zu identifizieren.
Als wäre das Einspeisen von Junk-Daten nicht subversiv genug, hat Rose einzelne Wörter der US-Verfassung auf die Kleidung gedruckt, die im Gewand eines Autokennzeichens daherkommen. Man trichtert der Maschine also den Inhalt der Verfassung ein, damit diese, eigentlich systemwidrig, verfassungskonforme Ergebnisse ausspuckt, indem sie die eigentlichen Merkmalsträger nicht erkennt. Welch Ironie und Dialektik! Das Stichwort lautet Obfuskation (vom Englischen obfuscate für „vernebeln“, „unklar machen“, „verwirren“). Damit gemeint ist eine gezielte Irreführung maschineller Systeme, um Datensouveränität und Anonymität im öffentlichen Raum zurückzugewinnen.
Gegenüberwachung ist in Mode. Es gibt eine ganze Reihe von Designern und Softwareingenieuren, die Textilien und Accessoires kreieren, um Überwachungssysteme in die Irre zu leiten. Der Niederländer Jip van Leeuwenstein etwa hat eine Gesichtsmaske entworfen, ein gewelltes Schutzvisier, das wie eine optische Linse wirkt und den Träger für Überwachungskameras unidentifizierbar macht. Der japanische Informatikprofessor Isao Echizen hat eine Brille designt, die Gesichtserkennungssysteme mit Infrarotlicht irritiert. Und in London ist rund um die Gruppe „The Dazzle Club“ eine eigene Subkultur entstanden, die mit subversiver Streetwear und Camouflage-Look (zum Beispiel Schminke) der omnipräsenten Überwachung in der Stadt die Stirn bieten will.
Technologischer Gott
Der US-Künstler Adam Harvey präsentierte schon 2012 im Rahmen seines Projekts „Stealth Wear“ eine Anti-Spionage-Kollektion: Darunter fanden sich ein „Anti-Drohnen-Hijab“ sowie eine „Anti-Drohnen-Burka“, die mit einer silbernen Reflektorenschicht überzogen sind. Das synthetische Material blockiert Wärmestrahlung, sodass Wärmebildkameras an Drohnen oder Polizeihubschraubern die Person nur schwer erkennen können. Das sieht aus wie ein überdimensionierter Aluhut aus Julian Huxleys Kurzgeschichte „The Tissue-Culture King“ (1927), den man sich aufsetzt, um sich vor der Gedankenkontrolle abzuschirmen. Doch die Kollektion ist nicht von Science-Fiction, sondern von islamischer Kleidung inspiriert, die eine Trennung zwischen Mensch und Gott vornimmt, wie Harvey schreibt. Diesen Sphärengedanken überträgt er auf die „Anti-Drohnen-Burka“: Sie soll die Trennung zwischen Mensch und gottgleicher Technologie herstellen.
Harvey spricht von einer neuen „Ästhetik der Privatsphäre“. Es gibt durchaus so etwas wie eine Schönheit des Unentdeckten, des Undechiffrierbaren, was insofern interessant ist, als man mit dieser Setzung dem technoiden Entschlüsselungsfuror der Digitalapologeten etwas entgegensetzen kann. Denn nichts ist so krude wie eine Welt, in der jede Bedeutung offenliegt.
Die Frage ist nur, ob es unbedingt einer Anleihe aus islamischen Kleidungsvorschriften bedarf, um die Autonomie des digitalen Subjekts zu stärken. Das Textilgefängnis der Burka interniert den Träger ja eher, als dass es ihn befreit – und würde durch eine avantgardistisch daherkommende Tech-Version neu beglaubigt.
Die Frage ist auch, ob diese eher auffällige Kleidung den Träger nicht erst recht unter Verdacht stellt, weil er ja aus der Masse heraussticht, und der Staat auf diese Mode mit immer rigideren Vermummungsverboten reagiert. In Österreich, wo 2017 ein „Anti-Gesichtsverhüllungs-Gesetz“ („Burkaverbot“) eingeführt wurde, wurde eine Fahrradfahrerin abgemahnt, weil sie einen Schal gegen die Kälte trug. In London, wo die Metropolitan Police ein groß angelegtes Gesichtserkennungssystem installiert hat, wurde ein Mann festgehalten und mit einem Bußgeld belegt, weil er sein Gesicht mit einem T-Shirt verdeckt hatte. Wer seine biometrischen Kennzeichen verbirgt, ist verdächtig.
Andererseits: Hat dieser Trend der Verschleierung nicht auch etwas Autoritäres? Darf es die freie und offene Gesellschaft zulassen, dass der öffentliche Raum zum Maskenball wird? Dass die Protestierenden in Hongkong Gasmasken (aus anderen Gründen, wegen des Einsatzes von Tränengas) tragen müssen, zeugt auch von einer gewissen Militarisierung des Stadtbilds – wobei man von einem Gaskrieg zum Glück weit entfernt ist.
Und doch: „Die Gesichter werden zu Waffen“, kommentierte die New York Times. Wie die Demonstranten mit hochleistungsfähigen Laserpointern auf Polizisten und Gesichtserkennungssysteme leuchteten, erinnerte an Szenen aus „Star Wars“: ein Krieg, der sich auf der Ebene von Wellenlängen und Computervision abspielt. Dass nun aber eine neue Avantgarde von Künstlern mit sehr analogen Mitteln die Grenzen der Überwachung im öffentlichen Raum neu austarieren und verhandeln will, zeigt, dass die Zivilgesellschaft gegenüber totalitären Systemen nicht machtlos ist – und Privatsphäre noch einen intrinsischen Wert darstellt.
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