Adbusting von Wahlplakaten: Jetzt auch mit Inhalt
Die Verfremdung von Plakaten wird zum Volkssport. Manche verändern sie zum Spaß, andere verbinden damit eine Botschaft.
BERLIN taz | „Haha, ein Tablet“, sagt ein Angestellter zu seiner jüngeren Kollegin auf einem CDU-Wahlplakat. „Tolles Ding. Kann sogar YouPorn.“ Schwer vorstellbar, dass die CDU tatsächlich ein solches Plakat aufgestellt hat.
Vampirzähne, Hitlerbärte, verfremdete Slogans – Wahlplakate sind vor Kreativität nicht gefeit. Viele lassen mit dem Filzstift ihren Frust ab, manche nutzen ihre künstlerische Ader, um politische Botschaften zu verbreiten. Hinter einigen Neuinterpretationen steckt Strategie.
So wurde in Berlin auf dutzenden Plakaten des Grünen-Direktkandidaten Hans-Christian Ströbele dessen Gesicht durch das des verstorbenen Schauspielers Jopi Heesters ersetzt. Einige Motive liefern eine so gute Vorlage, dass sie immer wieder auf dieselbe Art verfremdet werden. Merkels Slogan „Gemeinsam erfolgreich“, wird mit wenigen Strichen zu „einsam reich” oder „mein reich“ umgedichtet.
Wie kreativ Menschen im Netz und auf der Straße mit Wahlplakaten umgehen, finden Sie in unserer Bilderstrecke.
Doch nicht nur in der realen Welt sind die Wahlplakate beliebte Spielwiesen. Die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung bieten noch mehr Freiraum. Merkels aneinandergelegte Fingerspitzen gehören im Netz plötzlich zur skrupellosen Simpsons-Figur Mr Burns.
Kleine Nadelstiche
Auch das besagte YouPorn-Plakat existiert nur im Netz und ist das Werk des Bloggers Floyd. Der gelernte Grafiker fotografiert die Plakate auf der Straße und bearbeitet sie am Computer nach.
Auf seiner Seite fakeblog.de präsentiert der 41-Jährige die umgedichteten Wahlsprüche. „Satire und kleine Nadelstiche sind wichtig, um die Plattitüden der Parteien zu entlarven“, sagt Flyod. „Ich will der Wahlwerbung das Sinnhafte nehmen.“ Bis zu 8.000 Klicks haben Floyds Werke am Tag. Besonders seine umgestalteten CDU-Plakate begeistern viele Internetnutzer. „Die CDU-Werbung eignet sich besonders für Satire“, sagt er. Sie seien im Original schon ziemlich komisch.
Doch einseitige Wahlwerbung will der Blogger nicht machen - seine Plakataktion versteht er als Kritik gegen alle Parteien: „Politik handelt allgemein nicht immer in Sinne der Bevölkerung – also soll sie auch nicht so tun.” Floyd fehlt bei vielen Parteiplakaten eine Vision. Eine Vision, die er auch in der Politik vermisst: “Wie wollen wir zukünftig als Gesellschaft zusammenleben?”, fragt sich der Blogger und will mit seinen Plakaten ein Signal senden: „Lasst euch politisch nicht hinhalten!“
Der Vorteil der rein digitalen Manipulation: Floyd zerstört keine Plakate und macht sich somit nicht strafbar. Zudem ist die Reichweite seiner Werke im Internet viel größer. „Auf der Straße alleine ist keine Wahl mehr zu gewinnen“, sagt der Blogger. Der öffentliche Raum sei zunehmend das Internet.
Das zeigen auch die Reaktionen auf das Projekt: Auf Facebook und Twitter werden Floyds Plakatmanipulationen geteilt und diskutiert. Mittlerweile hat er einige Fans im Netz, die mehr wollen: Nach Grünen, SPD und CDU können sich neuerdings auch die FDP und Linkspartei über neue Wahlmotive – und damit viel Aufmerksamkeit im Internet freuen.
Die Parteien verstehen bei dem Thema wenig Spaß
Die SPD versteht angesichts der Verfremdungsaktionen auf der Straße wenig Spaß. Plakate, die bemalt oder beschädigt sind, werden umgehend ersetzt, so ein Sprecher. Auch die CDU ärgert sich: „Wir finden das alles andere als lustig, wenn Plakate etwa mit Hitlerbärtchen verunstaltet werden.“ Und selbst der Grüne Ströbele ärgert sich: „Begeistert bin ich nicht, aber den Staatsanwalt rufe ich auch nicht an“, sagt er zu der Aktion.
Was die Parteien übersehen: Die kreative Auseinandersetzung mit ihren Plakaten – sei es bösartig, lustig oder kritisch – verschafft ihnen Aufmerksamkeit vor allem junger Menschen, die sich sonst kaum dafür interessieren würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt