Abtreibungsverbot in Irland: Diese Pillen schickt der Himmel
Die Abtreibungsgesetze auf der irischen Insel stammen aus dem 19. Jahrhundert. Frauen rebellieren gegen die Schikanen – per Drohne.
Sechs NGOs und Bürgerrechtsinitiativen aus Irland und Nordirland protestierten mit dieser Aktion gegen die rigiden Abtreibungsgesetze auf der streng katholischen Insel. Per Drohne und über ein ferngesteuertes Boot schickten die AktivistInnen das Medikament von Irland aus über die Landesgrenze zur nordirischen Burgruine Narrow Waters Castle. Die Aktion sollte ein „inselweites Signal der Solidarität gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen“ an die Regierungen senden, erklärten die AktivistInnen. Dafür nutzen sie eine Gesetzeslücke, die es erlaubt, Pillen per Drohne legal zwischen dem Süden und dem Norden einzufliegen. Weil der Flug durch unkontrollierten Luftraum erfolgt, bedarf es keiner Zustimmung durch britische oder irische Behörden.
Auf der irischen Insel sind Abtreibungspillen nicht legal erhältlich. Normalerweise werden sie im Fall einer Einfuhr vom Zoll beschlagnahmt. Nur wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar in Gefahr ist – etwa bei nachweislicher Suizidgefahr – dürfen Frauen ihre Schwangerschaft abbrechen. Nordirland setzt das mit eiserner Hand durch: Dort drohen Frauen lebenslange Haftstrafen, selbst beim Abbruch von Schwangerschaften durch Vergewaltigung oder Inzest – ebenso gilt das für die behandelnden Ärzte. Nordirlands Abtreibungsgesetz klingt nicht nur vorsinnflutlich. Es stammt aus dem Jahr 1861 und gilt als das strengste Europas.
„Restriktive Gesetze halten Frauen nicht davon ab, sich die Abtreibungspillen per Schiff, per Post oder über das Internet – oder jetzt eben per Drohne liefern zu lassen“, sagt Dr. Rebecca Gomperts von „Women on Waves“. In Kooperation mit „Alliance for Choice“, „Rosa“, der „Labour Alternative“ und anderen NGOs sollte der Drohnenflug auf ein Urteil der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2005 hinweisen. Darin wurden die Abtreibungsmedikamente Mispostrol und Mifepriston, die in den meisten EU-Ländern legal erhältlich sind, zu „unentbehrlichen Arzneimitteln“ deklariert. Per Definition der WHO befriedigen sie damit die „dringlichsten Bedürfnisse“ der medizinischen Grundversorgung. Bis zur zehnten Schwangerschaftswoche können Frauen mit den Wirkstoffen Mispostrol oder Mifespriston eine Abtreibung durchführen.
Die Abtreibungsfrage spaltet reich und arm
„Der Zugang zu diesen unentbehrlichen Medikamenten fußt auf dem Recht auf Gesundheit und wird von zahlreichen Menschenrechtskonventionen garantiert“, schreibt Gomperts in einer Presseerklärung zur Aktion an der irischen Grenze. Bereits im Sommer 2015 hatte „Woman on Waves“ einen Drohnenflug zwischen Deutschland und Polen durchgeführt, um auf die strikten Abtreibungsgesetze mancher EU-Länder aufmerksam zu machen. Die NGO steuert mit einer schwimmenden Abtreibungsklinik seit Jahren auch die Küsten Afrikas an.
Iren im Norden wie im Süden spaltet die Abtreibungsfrage nicht nur in legaler Hinsicht. Der Schwangerschaftsabbruch unter ärztlicher Aufsicht ist auch eine Frage des Wohlstands. Rund 60.000 Schwangere sind nach Schätzungen von Amnesty International seit 1970 ins benachbarte England gereist. Die Abtreibung in englischen Privatkliniken kosten oftmals 400 bis 2.000 Pfund, der Preis hängt von der Schwangerschaftswoche ab. Diesen Konflikt sollte der Drohnenflug verdeutlichen: „Wir zeigen heute, dass die Pille auch für Frauen verfügbar ist, die sich eine Abtreibung im Ausland nicht leisten können“, sagte Courtney Robinson von der „Labour Alternative“, einer linksliberalen Parteibewegung aus Belfast, die den Drohnenflug mitorganisiert hat.
Im April fand dieser Konflikt mit dem Fall einer 21-jährigen Nordirin wieder verstärkte Aufmerksamkeit in Nordirland. Die Frau führte eine Abtreibung mit Pillen durch, die sie per Internet bestellt hatte – weil eine Reise nach England für sie unerschwinglich gewesen sei. Im April hat sie Belfaster Gericht zu einer dreimonatiger Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Frau habe ein „Gift“ importiert, mit der Absicht, eine „Fehlgeburt“ auszulösen, heißt es in der Begründung des Gerichts.
Kritik kam selbst von den englischen Nachbarn. Die britische Schwangerschaftsberatung BPAS sprach von „drakonischen Abtreibungsgesetzen“ und rief dazu auf, die „antiquierten, viktorianischen Gesetze zu refomieren“ und sie „fit für Frauen im Jahr 2016“ zu machen. Das britische Gesetz von 1967, das Abtreibungen zulässt, ist in Nordirland nie ratifiziert worden.
Blockadehaltung im Norden und Süden
Zum Jahreswechsel gab es für Abtreibungsbefürworter in Nordirland dennoch Anlass zur Hoffnung. Im Dezember 2015 stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass Nordirlands Abtreibungsgesetz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Das Urteil ging auf eine Initiative der nordirischen Menschenrechtskonvention zurück. Über eine Änderung müsste dennoch das Regionalparlament entscheiden – doch will kein Abgeordneter das britische Abtreibungsgesetz auf Nordirland ausweiten.
Justizminister David Ford legte inzwischen Beschwerde gegen das Urteil ein. Die gesetzliche Unsicherheit könne in eine „Abtreibung per Knopfdruck“ ausarten, so seine Befürchtung. Das Ministerium habe sich bereits 2015 ausführlich mit dem Problem fetaler Anormalien und Schangerschaften durch sexuelle Gewalt beraten, sagte Ford der BBC. „Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es keinen einfachen Weg gibt, im Nachhinein eine sexuelle Gewalttat nachzuweisen.“
Ähnlich blockiert Irland eine Liberalisierung: Die Forderung nach einem Referendum zur Änderung der rigiden Gesetzeslage prallten dort an der Regierung ab. Bei einer Demonstration im Herbst letzten Jahres protestierten 10.000 Iren gegen den Abtreibungsparagraph in der Verfassung, der 1983 per Volksentscheid gebilligt worden war. Der Tod einer schwangeren Inderin ließ das Thema im November 2013 wieder in der Öffentlichkeit hochkochen. Sie starb in der Klinik einer irischen Kleinstadt an einer Blutvergiftung, weil die Ärzte sich weigerten, ihren nicht lebensfähigen Fötus zu entfernen.
„So lange Politker in Stormont und Dáil (Irisches Parlament) weiterhin unsere Menschenrechte missachten, werden wir unsere Kampagne fortsetzen“, sagt Courtney Robinson, die an der nordirischen Burgruine Narrow Waters Castle eine Tablette schluckte, umjubelt von dutzenden AktivistInnen. Ob sie tatsächlich schwanger war oder die Pillen echt, das ließen die NGOs bewusst offen. Dies sei eine Frage der ärztlichen Schweigepflicht, erklärten die Frauen. Oder noch kürzer: Privatsache.
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