Abtreibungsrechte in den USA: Vor dem Ansturm der Schwangeren

Im Juni könnte der Supreme Court das Abtreibungsrecht kippen. Dann werden Abbrüche vielerorts unmöglich. Liberal regierte Staaten bereiten sich vor.

Vor dem Eingang einer Klinik steht ein Protestierender mit dem Bild eines Fötus

Immer wieder kam es vor der Klinik in New York zu Protesten von „Lebensschützern“ Foto: Jake Naughton/NYT/Redux/laif

NEW YORK taz | Es ist ein ruhiger Nachmittag im Choices Women’s Medical Center im New Yorker Stadtbezirk Queens. Die meisten Pa­­­ti­en­t*in­­nen kommen morgens, jetzt um 15 Uhr sind im Empfangssaal alle Stuhlreihen leer. Auch im Call Center der Abtreibungsklinik ist es ruhig. Hier empfangen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen die Anrufe von Schwangeren, die einen Abbruch wünschen, sprechen mit ihnen ihre Möglichkeiten und die Finanzierung durch.Es ist ein wichtiger Ort für die Klinik – und einer, in dem die Telefone bald pausenlos klingeln könnten.

Bald könnte das Choices Women’s Medical Center nämlich viel mehr Anrufe von Pa­ti­en­t*in­nen aus anderen Bundesstaaten erwarten: In diesem Monat wird sich entscheiden, ob bald Frauen vielerorts in den USA eine Schwangerschaft nur noch eingeschränkt oder sogar gar nicht mehr abbrechen können. Dann erwarten viele Kliniken und Ärz­t*in­nen in liberaleren Staaten wie New York, Kalifornien oder Illinois einen Zustrom über die Grenzen der Bundesstaaten.

Ein im Mai geleakter Urteilsentwurf des Supreme Court legt genau dieses Horrorszenario für die Frauenrechte nah: Für Juni wird erwartet, dass der Oberste Gerichtshof seine Entscheidung dazu veröffentlicht, ob die Rich­te­r*in­nen das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ kippen. Seit 1973 gibt dieses Urteil Schwangeren in den USA das Recht, bis zu dem Zeitpunkt abzutreiben, an dem der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre – etwa 22. bis 24. Schwangerschaftswoche. Entscheiden die Rich­te­r*in­nen, wie das durchgestochene Dokument nahelegt, könnten die Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche auf ihrem Gebiet einschränken.

Viele republikanisch regierte Staaten warten für diesen Fall schon mit mehr oder minder strengen Anti-Abtreibungs-Gesetzen auf – nach Zahlen der Nichtregierungsorganisation Guttmacher Institute sind in fast der Hälfte aller Bundesstaaten Einschränkungen von Abbrüchen zu erwarten.

Merle Hoffman, Choices Women’s Medical Center, über den erwarteten Andrang von abbruchwilligen Frauen

„Die Kliniken würden das auffangen müssen“

Schon bisher mussten manche Abtreibungswillige lange Strecken auf sich nehmen. „Wir hatten schon Patientinnen aus Texas, Virginia, Dakota …“, zählt Merle Hoffman auf. „Aus vielen verschiedenen Orten, in denen sie Abbrüche nicht bis zur 24. Woche machen. Wir schon.“ Hoffman hat das Choices Women’s Medical Center 1971 gegründet, also zwei Jahre vor dem Grundsatzurteil „Roe v. Wade“, und setzt sich seit Jahrzehnten als Aktivistin für Abtreibungsrechte ein.

Sollte der Supreme Court die Abtreibungsfreiheit kippen, erwarte sie einen Zustrom von „Abtreibungsflüchtlingen, so Hoffman. „Die Kliniken würden das auffangen müssen“, sagt die Klinikgründerin. „Und tatsächlich hat die Gouverneurin gerade 25 Millionen Dollar in einen Fonds geleitet, mit dem die Anbieter von Abtreibungen unterstützt werden.“

New York ist einer der Bundesstaaten, die sich als sicheren Hafen für Schwangere mit Abtreibungswunsch positionieren: Gouverneurin Kathy Hochul hat einen Unterstützungsfonds aufgelegt, der mit 25 Millionen Dollar dafür sorgen soll, dass genug Abtreibungskapazitäten bereitstehen und der Zugang für Pa­ti­en­t*in­nen gesichert bleibt. Darüber hinaus sollen Ab­trei­bungs­an­bie­te­r*in­nen sich um Zuschüsse für Sicherheitsmaßnahmen bewerben können, dafür plant der Staat mit 10 Mil­lio­nen Dollar.

Immer wieder kommt es in den USA schließlich zu Angriffen auf medizinische Einrichtungen, die Abtreibungen anbieten: Im Osten von Tennessee etwa brannte an Silvester 2021 eine wegen Renovierungsarbeiten geschlossene Planned-Parenthood-Klinik, die Behörden gehen von Brandstiftung aus. Abtreibungskliniken und Ärz­t*in­nen berichten, dass Todes- und andere Drohungen, Angriffe und Körperverletzungen, Stalking und die Zusendung von verdächtigen Paketen im Jahr 2020 zugenommen haben, so die Organisation Natio­nal Abortion Federation (NAF), in der sich Ab­trei­bungs­an­bie­te­r*in­nen organisiert haben. Nach den Berichten ihrer Mitglieder gab es etwa mit 200 Vorkommnissen mehr als doppelt so viele Todes- und Gewaltandrohungen wie im Vorjahr 2019.

New York will sicherer Hafen sein

Auch in der Klinik in Queens weiß das Security-Personal jederzeit genau, wer das Gebäude betritt. Merle Hoffman berichtet davon, dass sie aber vor allem Probleme mit Anti-Abtreibungs-Protesten habe – jeden Samstag protestierten die Mitglieder einer Kirche vor dem Choices Women’s Medical Center, sagt sie. Ein Rechtsstreit um eine „Pufferzone“ von rund 500 Metern rund um die Klinik, die Distanz zwischen die Protestierenden mit ihren Schildern und die Pa­ti­en­t*in­nen bringen sollte, ging allerdings zugunsten der Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen aus.

New York ist nur einer der Bundesstaaten, die seit dem Supreme-Court-Leak Schritte unternommen haben, das Recht auf eine sichere Abtreibung zu erhalten. Doch das wird die Staaten auch kosten: New York habe bereits einen Personalmangel im Gesundheitssektor, so Gouverneurin Hochul. Sie forderte in einem Interview auch den US-Präsidenten Joe Biden dazu auf, mehr Gelder aus Washington einzusetzen. New York solle ein „sicherer Hafen“ sein können.

Andere Staaten haben an Gesetzen gearbeitet, um vor aggressiven Anti-Abtreibungs-Gesetzen in anderen Bundesstaaten zu schützen – etwa gegen Texas’ sogenanntes Herzschlaggesetz, das es Privatpersonen erlaubt, Ärzte sowie alle Menschen zu verklagen, die dabei helfen, einen Schwangerschaftsabbruch zu erlangen.

Connecticuts Gouverneur hat Anfang Mai ein Gesetz unterschrieben, dass Schwangere schützen soll, die von außerhalb des Staats für eine Abtreibung anreisen, sowie auch Kliniken, Ärz­t*in­nen et cetera innerhalb Connecticuts. So blockiert es unter anderem die Behörden Connecticuts, bei zwischenstaatlichen Ermittlungen oder Strafverfolgung in derartigen Fällen mitzuhelfen. Ähnliches soll es bald auch etwa in Massachusetts geben.

Auch Abtreibungspillen unterliegen Einschränkungen

Manche setzen weiter große Hoffnungen auf Abtreibungspillen per Post, um Frauen einen unkomplizierten Abbruch zu ermöglichen. Seit April letzten Jahres erlaubt es die US-Arzneimittelbehörde grundsätzlich, die beiden dafür benötigten und zugelassenen Medikamente zu versenden, anstatt zu einem Präsenztermin in die Arztpraxis zu gehen.

Doch zum einen sollen die Medikamente in den USA nur bis zur 11. Schwangerschaftswoche genommen werden. Zum anderen ist auch die rechtliche Situation schon jetzt nicht so einfach: Obgleich dabei kein Eingriff notwendig sei und nur zwei Medikamente genommen würden, unterliege die Behandlung „sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene den gleichen Einschränkungen wie andere Abtreibungsmethoden“, erklärt die gemeinnützige Kaiser Family Foundation in einer Übersicht. So haben mehrere Staaten bereits jetzt Regeln aufgesetzt, nach denen die verschreibende Ärz­t*in bei der Prozedur dabei sein muss – zum Beispiel Kentucky, Tennessee und Alabama. Es ist zu erwarten, dass der Zugang noch schwieriger wird.

Abtreibungswilligen stehen im Zweifelsfall noch Online­apotheken im Ausland ohne jeglichen ärztlichen Rat zur Verfügung, bei denen sie die Pillen bestellen können – oder eben wieder die Anreise in andere Staaten. Eine unter Umständen lange Anreise, vielleicht sogar in den Bundesstaat New York – nur um die Medikamente abzuholen.

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