Abtreibungsgegner unter sich: EKD kann auch reaktionär
Mit ihrer Teilnahme an der „Woche für das Leben“ verortet sich die oft weich gespült wirkende evangelische Kirche in einer frauenhassenden Kultur.
2022 wurde die Woche in Leipzig eröffnet. Dabei waren EKD-Vorsitzende Kurschus und Abtreibungsgegner Foto: Jens Schulze /dpa
Die evangelische Kirche in Deutschland ist die SPD unter den Religionen. Niemand braucht sie, weil niemand weiß, wofür sie steht. Ihr fehlt ein klares Profil, ein Dogma, weil es bei ihr keinen Papst gibt, der sagt, wo es lang geht, nur eine Organisationsstruktur, die Weltkonzerne überschaubar erscheinen lässt. Diese gibt die grobe Richtung des rechten Glaubens vor. Tenor: einerseits die Bibel, andererseits die Realität.
Sagen, was sie wollen, dürfen eh alle, sogar von der Kanzel, da ist von Feministinnen bis zu Schwulenhassern alles drin, sodass die Evangelische Kirche in Deutschland – abgekürzt EKD – ein freundliches Wischiwaschi ausstrahlt.
Doch der Schein trügt. Die EKD kann beinhart auf Glaubenssätze beharren, die am Leben nicht nur haarscharf vorbeigehen und Patriarchat vor Nächstenliebe walten lassen. So veranstaltet sie noch bis Samstag mit der katholischen Kirche die „Woche für das Leben“; die zentrale Eröffnungsfeier fand am Samstag in Osnabrück statt.
Das klingt nicht nur nach dem „Marsch für das Leben“, bei dem christliche Fundamentalist:innen gegen die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von Frauen protestieren – die Woche atmet auch denselben Geist und ist in derselben Ursuppe aus Frauenhass und Gegenaufklärung gegoren.
Das Thema der Lebenswoche wechselt jedes Jahr, 2023 lautet es „Generation Z(ukunft). Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Doch gleich drei von fünf zentralen Online-Veranstaltungen haben damit nichts zu tun, sondern mit „Abtreibung“. Veranstalterin ist in allen Fällen die „Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)“, eine Organisation, die Schwangerschaftsabbrüche ausnahmslos ablehnt.
EKD sprang auf Katholiken-Zug
Die einzige Veranstaltung, die in Osnabrück neben der Eröffnungsfeier stattgefunden hat: die „Fachtagung“ des „Bundesverbands für das Lebensrecht“, zu dessen Mitgliedern Alfa und weitere einschlägige Organisationen gehören.
Dieser Themen-Mix hat mit der Geschichte der Lebenswoche zu tun. Laut Homepage haben die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sie 1991 gegründet, um in der nach der Wiedervereinigung neu entfachten Debatte um Schwangerschaftsabbrüche „die kirchliche Position zu vermitteln“.
1994 sei die evangelische Kirche auf den Zug aufgesprungen – ein Jahr, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein rigides Abtreibungsrecht diktiert hatte, das bis heute gilt. Nach dem Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs gelten Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben. So muss sich eine Frau beraten lassen, selbst wenn sie dafür keinen Bedarf hat.
Derzeit prüft eine von der Regierung eingesetzte Kommission, ob der Paragraf 218 ansatzweise einlöst, was sich seine Befürworter:innen von ihm versprechen. Einerseits soll er die Würde von Frauen wahren, andererseits verhindern, dass sie leichtfertig Schwangerschaften abbrechen.
Viele Wenns und Abers
Dagegen spricht nicht nur jedes Erfahrungswissen, sondern auch sämtliche wissenschaftliche Forschung sowie die Daten des statistischen Bundesamtes, nach denen es im vergangenen Jahr erstmals wieder mehr Abbrüche gab – trotz Beratungszwang, dreitägiger Bedenkfrist, Strafandrohung und einer lückenhaften Versorgung.
Die EKD-Leitung hält dennoch am Paragrafen 218 fest. Natürlich lehnt sie Schwangerschaftsabbrüche nicht kategorisch ab, Vertreter:innen des EKD-Rats formulieren dazu stets viele Wenns und Abers. Aber unterm Strich vertreten sie dieselbe Auffassung wie alle, die sich „Lebensschützer“ nennen: Dritte müssen das „ungeborene Leben“ gegen seine Mutter verteidigen – Gott will das so.
Ein Beispiel sind die im Februar über den Evangelischen Pressedienst verbreiteten Äußerungen der aktuellen EKD-Ratsvorsitzenden, also der irgendwie obersten Repräsentantin der Evangelen, Annette Kurschus, in denen sie zum wiederholten Mal und erfolglos um Aufnahme der EKD in die Kommission zum Paragrafen 218 warb.
Einen triftigen Grund kann sie nicht liefern, würde aber gern „unsere Sicht einbringen“. Die da lautet: „Es geht um zwei Leben. Das noch ungeborene Leben des Kindes ist unbedingt schützenswert. Doch es kann und darf nicht geschützt werden gegen das Leben der werdenden Mutter.“
Schwanger ist ein Zustand
Das klingt gewohnt evangelisch-weichgespült, aber allein der Topos des „ungeborenen Lebens“ und die Behauptung, hier stünden sich zwei Menschen gegenüber, deren Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen, macht deutlich, dass die gemeinsame Sache mit Abtreibungsgegner:innen bei der „Woche für das Leben“ kein Ausrutscher ist. Denn dieses Bild von Schwangerschaft nicht als Zustand, sondern als zwei getrennt zu denkende Körper ist kein gottgegebenes, sondern relativ neu.
Vertreter:innen der Kirchen wurden deshalb zu Recht nicht in die Kommission berufen. Ihre obersten Repräsentant:innen sind nicht die Einzigen, die glauben, sie wären in ethischen Fragen besonders kompetent. Aber egal, ob es um Sterbehilfe oder Schwangerschaftsabbrüche geht: Gerade die EKD simuliert händeringendes Nachdenken, fügt der Debatte nichts Substanzielles hinzu und plädiert am Ende für strengere Gesetze, die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen.
Keiner Frau muss in gesalbten Worten erklärt werden, was eine Entscheidung gegen eine Schwangerschaft bedeutet. Und ethisch verantwortungsvolles Handeln kann eben auch bedeuten, sie abzubrechen.
Abtreibungsgegner unter sich: EKD kann auch reaktionär
Mit ihrer Teilnahme an der „Woche für das Leben“ verortet sich die oft weich gespült wirkende evangelische Kirche in einer frauenhassenden Kultur.
2022 wurde die Woche in Leipzig eröffnet. Dabei waren EKD-Vorsitzende Kurschus und Abtreibungsgegner Foto: Jens Schulze /dpa
Die evangelische Kirche in Deutschland ist die SPD unter den Religionen. Niemand braucht sie, weil niemand weiß, wofür sie steht. Ihr fehlt ein klares Profil, ein Dogma, weil es bei ihr keinen Papst gibt, der sagt, wo es lang geht, nur eine Organisationsstruktur, die Weltkonzerne überschaubar erscheinen lässt. Diese gibt die grobe Richtung des rechten Glaubens vor. Tenor: einerseits die Bibel, andererseits die Realität.
Sagen, was sie wollen, dürfen eh alle, sogar von der Kanzel, da ist von Feministinnen bis zu Schwulenhassern alles drin, sodass die Evangelische Kirche in Deutschland – abgekürzt EKD – ein freundliches Wischiwaschi ausstrahlt.
Doch der Schein trügt. Die EKD kann beinhart auf Glaubenssätze beharren, die am Leben nicht nur haarscharf vorbeigehen und Patriarchat vor Nächstenliebe walten lassen. So veranstaltet sie noch bis Samstag mit der katholischen Kirche die „Woche für das Leben“; die zentrale Eröffnungsfeier fand am Samstag in Osnabrück statt.
Das klingt nicht nur nach dem „Marsch für das Leben“, bei dem christliche Fundamentalist:innen gegen die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von Frauen protestieren – die Woche atmet auch denselben Geist und ist in derselben Ursuppe aus Frauenhass und Gegenaufklärung gegoren.
Das Thema der Lebenswoche wechselt jedes Jahr, 2023 lautet es „Generation Z(ukunft). Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Doch gleich drei von fünf zentralen Online-Veranstaltungen haben damit nichts zu tun, sondern mit „Abtreibung“. Veranstalterin ist in allen Fällen die „Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)“, eine Organisation, die Schwangerschaftsabbrüche ausnahmslos ablehnt.
EKD sprang auf Katholiken-Zug
Die einzige Veranstaltung, die in Osnabrück neben der Eröffnungsfeier stattgefunden hat: die „Fachtagung“ des „Bundesverbands für das Lebensrecht“, zu dessen Mitgliedern Alfa und weitere einschlägige Organisationen gehören.
Dieser Themen-Mix hat mit der Geschichte der Lebenswoche zu tun. Laut Homepage haben die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sie 1991 gegründet, um in der nach der Wiedervereinigung neu entfachten Debatte um Schwangerschaftsabbrüche „die kirchliche Position zu vermitteln“.
1994 sei die evangelische Kirche auf den Zug aufgesprungen – ein Jahr, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein rigides Abtreibungsrecht diktiert hatte, das bis heute gilt. Nach dem Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs gelten Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben. So muss sich eine Frau beraten lassen, selbst wenn sie dafür keinen Bedarf hat.
Derzeit prüft eine von der Regierung eingesetzte Kommission, ob der Paragraf 218 ansatzweise einlöst, was sich seine Befürworter:innen von ihm versprechen. Einerseits soll er die Würde von Frauen wahren, andererseits verhindern, dass sie leichtfertig Schwangerschaften abbrechen.
Viele Wenns und Abers
Dagegen spricht nicht nur jedes Erfahrungswissen, sondern auch sämtliche wissenschaftliche Forschung sowie die Daten des statistischen Bundesamtes, nach denen es im vergangenen Jahr erstmals wieder mehr Abbrüche gab – trotz Beratungszwang, dreitägiger Bedenkfrist, Strafandrohung und einer lückenhaften Versorgung.
Die EKD-Leitung hält dennoch am Paragrafen 218 fest. Natürlich lehnt sie Schwangerschaftsabbrüche nicht kategorisch ab, Vertreter:innen des EKD-Rats formulieren dazu stets viele Wenns und Abers. Aber unterm Strich vertreten sie dieselbe Auffassung wie alle, die sich „Lebensschützer“ nennen: Dritte müssen das „ungeborene Leben“ gegen seine Mutter verteidigen – Gott will das so.
Ein Beispiel sind die im Februar über den Evangelischen Pressedienst verbreiteten Äußerungen der aktuellen EKD-Ratsvorsitzenden, also der irgendwie obersten Repräsentantin der Evangelen, Annette Kurschus, in denen sie zum wiederholten Mal und erfolglos um Aufnahme der EKD in die Kommission zum Paragrafen 218 warb.
Einen triftigen Grund kann sie nicht liefern, würde aber gern „unsere Sicht einbringen“. Die da lautet: „Es geht um zwei Leben. Das noch ungeborene Leben des Kindes ist unbedingt schützenswert. Doch es kann und darf nicht geschützt werden gegen das Leben der werdenden Mutter.“
Schwanger ist ein Zustand
Das klingt gewohnt evangelisch-weichgespült, aber allein der Topos des „ungeborenen Lebens“ und die Behauptung, hier stünden sich zwei Menschen gegenüber, deren Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen, macht deutlich, dass die gemeinsame Sache mit Abtreibungsgegner:innen bei der „Woche für das Leben“ kein Ausrutscher ist. Denn dieses Bild von Schwangerschaft nicht als Zustand, sondern als zwei getrennt zu denkende Körper ist kein gottgegebenes, sondern relativ neu.
Vertreter:innen der Kirchen wurden deshalb zu Recht nicht in die Kommission berufen. Ihre obersten Repräsentant:innen sind nicht die Einzigen, die glauben, sie wären in ethischen Fragen besonders kompetent. Aber egal, ob es um Sterbehilfe oder Schwangerschaftsabbrüche geht: Gerade die EKD simuliert händeringendes Nachdenken, fügt der Debatte nichts Substanzielles hinzu und plädiert am Ende für strengere Gesetze, die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen.
Keiner Frau muss in gesalbten Worten erklärt werden, was eine Entscheidung gegen eine Schwangerschaft bedeutet. Und ethisch verantwortungsvolles Handeln kann eben auch bedeuten, sie abzubrechen.
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Schwerpunkt Abtreibung
Kommentar von
Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.
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