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Absturz von Turbine PotsdamVom Vorbild zum Auslaufmodell

Der einstige Vorzeigeverein im Frauenfußball lebt von der Vergangenheit. Nun droht er in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Niedergeschlagen: Amber Barrett von Turbine Potsdam muss mal wieder eine Niederlage verdauen Foto: Matthias Koch/imago

Es fühlt sich schon jetzt an wie ein Besuch in der Vergangenheit. Noch wird hier im Potsdamer Stadtteil Babelsberg professionell Fußball gespielt – in einem Stadion, das nicht nach einer Versicherung oder einer Bank, sondern mit Karl Liebknecht nach einem prominenten Kommunisten benannt ist. Aber das ist nur ein musealer Randaspekt. Jahrelang empfing hier Turbine Potsdam, einer der vitalsten Kräfte im europäischen Fußball, seine Gäste. Doch an diesem ersten Märztag gegen Werder Bremen geht es um die vielleicht letzte Chance, erstklassig zu bleiben.

Wenn die Pots­da­me­rin­nen absteigen, verbleibt vermutlich nur noch die SGS Essen als letzter reiner Frauenfußballverein in der Liga. Erfolgreich können sich die Fußballerinnen hierzulande offenbar nur noch als Filial­abteilungen der Männerprofivereine organisieren.

Nicht eine Partie haben die Potsdamerinnen in der Hinrunde gewonnen. Lediglich ein Remis gegen Werder gelang dem Tabellenletzten im ersten Spiel. Zum Rückrundenstart sind trotzdem noch 854 Zuschauerinnen und Zuschauer gekommen. Die Treuesten der Treuen. Ein Mann im Rentenalter, der erstmals vor gut 12 Jahren hierher kam, um Turbines Ausnahmespielerin Fatmire Baj­ra­maj zu sehen, erklärt: „Ich kann bei fast jedem Gegner, der hierher kommt, heute immer noch sagen, dass die noch nicht die Champions League gewonnen haben.“

Überdurchschnittlich viele ältere Männer verfolgen die Spiele von Turbine. Bei den Gruppenfotos der Aus­wärts­fah­re­r:in­nen, die im Internet kursieren, sind sie in der Mehrheit. Sie leben mittlerweile auch von der Vergangenheit des Vereins.

Schweigen über Fehler

Die Gegenwart dagegen ist hart. „Geschmeichelt katastrophal“ nennt Assistenztrainer Dirk Heinrichs später nach der 1:2-Niederlage die Leistungen seiner Spielerinnen in der ersten Hälfte. Er spricht für den Trainer Marco Gebhardt, der erst Stunden vor dem Spiel verpflichtet wurde und noch nie mit Fußballerinnen gearbeitet hat. Warum so überhastet, warum Gebhardt? Eigentlich, heißt es von Vereinsseite, seien die Gespräche mit Gebhardt noch nicht beendet gewesen, aber dessen alter Verein, der Männer-­Fünftligist Blau-Weiß Berlin habe den Wechsel verkündet, da sei man in Zugzwang gewesen.

Eingefädelt hat den Deal Dirk Heinrichs, dem die A-Trainer­lizenz fehlt und der den ehemaligen Profi von Eintracht Frankfurt und Union Berlin schon lange kennt. Heinrichs sagt: „Es war für mich wichtig, jemanden zu finden, mit dem man zusammenarbeiten kann. Die anderen, die gefunden wurden, jo, kann ich mich nicht zu äußern.“

Es wird geschwiegen, wenn bei Turbine etwas schiefläuft. „Man erfährt ja nichts“, sagt ein weiterer älterer Herr auf der Haupttribüne. „Der Verein wird geführt wie ein Kleingartenverein.“ Zum neuen Trainer oder seinem Vorgänger Sven Wei­gang, der als Retter im November verpflichtet wurde und im Februar seinen Job unvermittelt wieder hinschmiss, könne er nichts sagen. Weigang selbst sprach danach von Kritik an seinen Trainingsumfängen. Der Verein wiederum dementierte das. Und Weigang sprach von persönlich hohen Belastungen, weil er auch als Lehrer an ­einer Schule tätig sei. Davor hatte Turbine zumindest noch einen hauptamtlichen Trainer.

Während der Frauenfußball in Europa einen Professionalisierungsschub erlebt, senkt man in Potsdam notgedrungen seine Standards. Dem Übervater des Vereins, Bernd Schröder, der von den Anfängen 1971 an dabei war, gelang es einst, die Erfolge aus der DDR-Zeit im vereinten Deutschland fortzusetzen. In der Blütezeit feierte Turbine einen Champions-League-Titel (2010) und vier Meistertitel in Folge (2009–2012). Britta Carlson, die heutige Assistenztrainerin des deutschen Nationalteams, erzählte von ihrer aktiven Turbine-Zeit mit Schröder: „Vor fast jeder Besprechung hieß es: ‚Und denkt dran: Das Spiel wird im Mittelfeld entschieden, und ihr spielt für die Zuschauer, die Region – Platzeck ist übrigens auch da – und den Osten!‘“ Brandenburgs damaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) war Vereinsmitglied, Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) langjähriger Klubpräsident.

11 Frauen und der zwölfte Mann

Die emanzipatorische Kraft des Frauenfußballs in Potsdam hatte stets wenig mit dem Nachdenken über Geschlechterrollen zu tun. Auf der Website von Turbine werden die Fans noch als „zwölfter Mann“ bezeichnet. Im Spiel gegen Werder Bremen rufen ein Dutzend Turbine-Fans nach Fouls des Gästeteams reflexhaft: „Gelbe Karte, Rote Karte, raus du Maus …“

Bedeutsamer war in Potsdam, gerade zu Zeiten des noch nicht so professionell strukturierten Frauenfußballs, der etwas marktwirtschaftlicher ausgerichteten Konkurrenz aus dem Westen die Stirn zu bieten. Im Verbund mit der aufgebauten Eliteschule des Fußballs konnten die Spielerinnen, die sich von besseren Angeboten nach Frankfurt und Wolfsburg locken ließen, immer wieder durch guten Nachwuchs ersetzt werden. Trainer Schröder ließ sich am Olympiastützpunkt in Potsdam interdisziplinär inspirieren und war stets an erfolgreichen Methoden extremer Konditionsarbeit interessiert. Wenn es darauf ankam, konnte sein Team meist zulegen.

Dem heute 80-jährigen Schröder, der bis 2016 Turbine trainierte, blutet derzeit das Herz, wenn er die Entwicklungen seines Vereins sieht. „Das ist sehr, sehr schwierig. Ich kann damit nicht umgehen“, sagt er. Im vergangenen Herbst brachte er sich noch einmal in eine zwölfköpfige Task Force ein, um Turbine wieder auf den rechten Weg zu führen. Im Stadion sei er nur noch selten. Trotz der Pro­fes­sio­na­lisierung im Frauen­fuß­ball könnte Turbine aus seiner Sicht weiter konkurrenzfähig sein. Man habe aber vieles schleifen lassen. Vorrangig meint er damit die Nachwuchsarbeit, aber auch die Trainingsmethoden. Es müsste wieder härter trainiert werden. Schröder ist nach wie vor von seinen alten Rezepten überzeugt.

Seine ehemalige Spielerin Ta­bea Kemme verortet die Probleme viel früher in der Ära Schröder. Sie sagt: „Auf dem Höhe­punkt ist der Verein in seiner Entwicklung stehen geblieben. Die Trainingsbedingungen zum Beispiel sind hier schon immer problematisch gewesen. Kommuniziert wurde nicht. Wir haben nicht trainiert, wir wurden trainiert.“ Sie spricht von einer Praxis der Entmündigung, von einem Verein, der meist von über 70-jährigen Männern geführt wird, die sich nie um die Bedürfnisse der Spielerinnen gekümmert haben. Diese hätten „kein Bock“ mehr auf Turbine. Im Sommer 2021 trat Kemme bei der Präsidentschaftswahl gegen den damals 73-jährigen Amtsinhaber Rolf Kutzmutz an, der früher im Bundestag für die Linke saß. Nur zehn Stimmen erhielt sie weniger, auch weil die Abstimmung in den Urlaub der Spielerinnen gelegt wurde.

Mangelhafte Kommunikation

Es war eine Gelegenheit, dem Verein eine neue emanzipatorische Kraft zu verleihen, die auch bei Vertragsverhandlungen mit Spielerinnen von Vorteil hätte sein können. Stattdessen verließen ein Jahr später, nachdem Turbine knapp die Champions League verpasste, zwölf Spielerinnen den Verein. Gegenüber dem RBB erklärten einige später anonym ihre Gründe: die schlechten Strukturen im Verein, miese Trainingsbedingungen, mangelhafte Kommunikation, das sponsorenverschreckende steife Vereinsimage.

Geschäftsführer Stefan Schmidt erzählt, die Spielerinnen seien zwei Jahre zuvor schon mit Verbesserungsvorschlägen an die Vereinsführung herangetreten. Vor allem hätten sie dafür geworben, jemanden hauptamtlich für die sportliche Leitung zu gewinnen. Dass die strategischen Impulse für die Professionalisierung bei Turbine von den Spielerinnen ausgehen, erzählt viel über den Verein. Ebenso, dass sie lange keine Wirkung zeigten.

Erst vor wenigen Wochen teilte Turbine Potsdam mit, die ehemalige Spielerin Inka Wesely würde künftig dem Vorstand in sportlichen Fragen mit ihrer Expertise beratend zur Seite stehen. Zuletzt arbeitete die 31-Jährige für eine Krankenkasse. Sie soll als sportliche Leiterin aufgebaut werden. Momentan befindet sie sich allerdings noch im Mutterschutz und ist erst im Herbst voll einsatzfähig. Man könnte den Eindruck haben, bei Turbine spiele Zeit keine Rolle.

Nur wenige Wochen zuvor vermeldete der Drittligist Union Berlin, man habe für diese Position Jennifer Zietz gewinnen können. Zietz genießt mit 276 Einsätzen bei Turbine Legendenstatus. Ariane Hingst, eine andere ehemalige Turbine-Größe, steht ebenfalls in Diensten eines Drittligisten. Sie ist eines der prominenten Gesichter vom Tabellenführer Viktoria Berlin, die vermutlich nächste Saison wie Turbine in der zweiten Liga spielen werden.

Regionale Konkurrenz

Der Verein will in fünf Jahren erstklassig „und nicht das B-Team der Männer“ sein, und wie es auf der bunten Website heißt, „den Frauen-Sport in ganz Deutschland nachhaltig verändern“. Turbine Potsdam sieht sich jetzt also auch noch einer regionalen Konkurrenz mit großen Visionen gegenüber.

Unverdrossen optimistisch, vermutlich schon von Berufs wegen, glaubt Karsten Ritter-Lang, Unfallchirurg und aktueller Vereinspräsident, dass Turbine Potsdam auf mittlere Sicht wieder konkurrenzfähig in der ersten Liga sein wird.

Er sagt, der Verein müsse sich neu erfinden. Man habe es unter dem Professionalisierungsdruck verpasst, eine Zukunftsvision zu entwickeln, stattdessen habe man an veralteten Strategien festgehalten. Ein großes Versäumnis sei es gewesen, ehemalige Spielerinnen nicht in die Vereinsarbeit eingebunden zu haben. Turbine Potsdam bewege sich nun in eine andere Richtung, einiges sei schon auf dem Weg und öffentlich noch nicht bekannt.

Bernd Schröder hegt wenig Hoffnungen auf eine Wende. An einen Wiederaufstieg glaubt er nicht. „Das Land und die Stadt werden Turbine dann noch weniger fördern, und die Spielerinnen werden noch weniger zu Turbine wollen.“

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