Abstimmung in Russland: Regionalwahlen ohne Gegenwehr

Ein Gesetz zu „ausländischen Agenten“ schränkt die russische Opposition ein. Die Regionalwahlen verliefen laut Moskauer Bürgermeister „störungsfrei“.

Bürgermeister Sergej Sobjanin und Präsident Wladimir Putin nehmen an einer Zeremonie zur Eröffnung einer Reihe neuer Bildungs-, Kultur- und Verkehrsinfrastruktureinrichtungen anlässlich des 877-jährigen Bestehens der russischen Hauptstadt teil.

Der Staat duldet keinen Protest: der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobyanin and President Vladimir Putin Foto: Alexander Kazakov/imago

Moskau taz | „Die Wahl verlief reibungslos und störungsfrei“, so bilanziert der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin die dreitägige Wahl des Moskauer Stadtparlaments. Er hätte auch sagen können, die Wahl sei völlig unbemerkt verlaufen. So unauffällig, als hätte es gar keine Wahl gegeben. Denn an sich gab es auch keine Wahl in Russland. Es wurden zwar quer durchs Land – oft mit mehr als 80, manchmal sogar 90 Prozent – neue Gouverneure bestimmt, die ihre vorherige Stellung weiterführen dürfen.

Es wurden Lokalabgeordnete bestätigt oder neu auf die Posten gesetzt, und auch Stadträte ins Amt befördert oder in diesem Amt belassen. Eine wirkliche Wahl aber haben die Menschen seit Jahren nicht. Diese Abstimmung jedoch zeigte besonders eindrücklich, wie der politische Prozess einer Wahl praktisch vor den Augen der Wäh­le­r*in­nen hingerichtet wird.

Seit vergangenem Freitag gaben die Menschen ihre Stimmen ab. Meist online. Um im Wahllokal abzustimmen, mussten sie sich – auch das meist online – anmelden. So saßen manche Wahl­lei­te­r*in­nen in den Wahllokalen tagelang nur herum, aber es kam niemand, um sein Kreuz auf einem Zettel zu machen. In Moskau waren 44 Plätze des städtischen Parlaments zu besetzen.

Sicher drin sind der Sohn eines kremlloyalen Sängers, die Direktorin des Theaters der russischen Armee, eine mehrmalige Weltmeisterin und Europameisterin im Eiskunstlauf. Kandidat*innen, die der Staatsmacht genehm sind. Unbequeme Kan­di­da­t*in­nen hatten gar nicht erst die Chance, überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden.

Restriktionen für Oppositionelle

Seit Mai darf kein sogenannter ausländischer Agent bei Wahlen teilnehmen. Die so Gebrandmarkten dürfen nicht einmal über die Wahl reden, auch keine Kan­di­da­t*in­nen unterstützen, sonst bekommen auch diese ein Problem mit der Staatsmacht. Wollen oppositionell Gesinnte sich zur Wahl registrieren lassen, laufen sie Gefahr, auf der Liste der „Agenten“ zu landen.

Damit wird ihr Leben bürokratisch erschwert, politisch sowieso. Sie sind letztlich geächtet im Land, müssen vor sich selbst überall warnen. So sind sie etwa dazu verpflichtet, vor jedem ihrer Posts in den sozialen Medien, bei Interviews und vor Veranstaltungen über ihren Status als „Agent“ zu informieren. Tun sie das nicht, riskieren sie Strafen, auch Haft. Außerdem müssen sie alle ihre Ausgaben auflisten und beim Justizministerium einreichen.

Die Regionalwahl war nun die erste, bei der diese Neuerung angewendet wurde. Sie zeigte ihre Wirkung. Kein auch nur annähernd oppositionell kritisch eingestellter Mensch durfte antreten.

Vor fünf Jahren noch waren in Moskau Zehntausende Menschen Samstag für Samstag auf die Straßen der Hauptstadt gezogen, um ihren Unmut loszuwerden. Sie hatten die Wahl der Moskauer Stadtduma, dieser Institution, die kaum politisches Gewicht hat, zu ihrem Ventil für den Kampf gegen systematische politische Repressionen im Land gemacht. Vorbei die Zeiten.

Kaum Straßenproteste

2024 geht kaum noch einer auf die Straße. Nur noch vereinzelt stehen besonders Mutige mit ihren Plakaten bei Einzelmahnwachen in den Zentren ihrer Städte. Sie fordern meist Freiheit für politische Gefangene und riskieren, selbst zu solchen zu werden. Der Staat duldet keinen Protest.

Er duldet keine Kritik. Duldet keine Opposition. Hinter jeglicher kritischer Haltung sieht das System Putin ausländischen Einfluss. Keiner darf im Land ein politisches Subjekt sein. Der Staat redet den Menschen ein, er wisse, was für diese gut sei. Die meisten fügen sich. Machen – wenn verlangt – ihr Kreuz dort, wo der Chef das Kreuz zu machen befohlen hat. Sie wollen keinen Ärger.

Das aktuelle Wahlgesetz stellt derweil jedes beliebige Ergebnis sicher, die russische Gesellschaft kann es gar nicht kontrollieren. Das darf sie auch nicht.

Denn die repressiven Gesetze machen es unmöglich. Möglich wird dadurch ein russischer Staat, der nach einer fast schon still verlaufenen Regionalwahl weiterhin von sich behaupten kann: „Wir haben die Mehrheit. Unsere Macht ist legitimiert.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.