Abschlussgala der Berlinale: Dezent und deutlich
Die Berlinale versteht sich seit jeher als politisch. Die Abschlussgala fand die richtigen Töne – in Sachen Politik und Kunst.
D ass sich die Berlinale traditionell als das „politische“ der großen Filmfestivals versteht, ist fast eine Binsenweisheit. Gut für sie also, wenn es sowieso viel zu beleuchten und zu diskutieren gibt. In diesem Jahr konnte das Festival bei dieser Dichte an beklagenswerten Großereignissen in der Welt gewissermaßen aus dem Vollen schöpfen.
In der Tat hat das Festival die Zeichen der Zeit erkannt und genutzt. Nicht nur, weil es in seiner Abschlussgala noch einmal deutlich und doch dezent (geschrien wurde nicht) Stellung bezogen hat. Sondern auch, weil sie die in allen Aspekten repolitisierte Kunst im Wesentlichen selbst hat sprechen lassen.
Dass die scheidende Leiterin Mariette Rissenbeek die richtigsten, weil ausgewogensten Worte des Abends fand, sei herausgestellt. Und doch zeigte der Abend, wohin das Pendel der Empörung ausgeschlagen hat: Das Thema Ukraine ist da, schiebt sich aber trotz Jahrestag und heimischer Militarisierungswünsche weiter an den Rand der Wahrnehmung; der Klimawandel wandelt an ähnlich fern gerückter Stelle; die Schlagworte „Eurozentrismus“ und „Imperialismus“ dominieren außerhalb der „westlichen“ Hemisphäre den kulturpolitischen Diskurs; Postkolonialismus ist schon lange keine Angelegenheit mehr, die nur an US-amerikanischen Universitäten verhandelt wird; und: Die Reaktion der israelischen Regierung auf die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober steht in keinem Verhältnis mehr.
Nun wird kein zur Schau getragenes Palituch und kein angeklebtes Statement pro Waffenstillstand den verzwickten Konflikt in Nahost lösen. In der Hinsicht überschätzen sich die Vertreter der Kultur genauso wie lokal agierende Schreiaktivisten. Aber Filme wie „No Other Land“ stellen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Diskussion, und die Auszeichnung als bester Dokumentarfilm ist ein richtiges Zeichen.
Darüber hinaus sollte sich die gesamte politische Welt an einen Leitsatz aus der Psychoanalyse erinnern: Rache ist keine Lösung, sondern Fortsetzung des Unrechts.
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