Abschied vom Konferenzgebäck: Von der Hand in den Mund
Konferenzgebäck gehörte früher zu jedem Meeting, heute kaum noch. Dabei ist es sehr aufschlussreich: Wer greift wann zu? Und wie oft?
Auch der Bundespräsident isst Konferenzgebäck. Mit sichtlichem Stolz listet die Firma feinundfein das Präsidialamt in seiner Referenzliste neben Unternehmen und Institutionen wie dem Deutschen Anwaltsverein, der Holzindustrie Fürst zu Fürstenberg GmbH & Co KG und dem Deutschen Zigarettenverband auf. Ob Frank-Walter Steinmeier zur Auswahl „Quadra Crema“ („gefüllt mit fruchtiger Trüffelganache oder zartschmelzendem Nougat, verschlossen und garniert mit edler Kuvertüre“) neigt oder zu „Mono Pistazie“ („verfeinert durch eine Aprikosen/Erdbeer-Konfitüre und auf einer Seite veredelt mit dunkler Schokolade und pikanten Pistazien“), wissen wir nicht. Das ist auch nicht wichtig, denn was zählt, ist das Statement: In Bellevue manifestiert sich die Kontinuität bundesdeutscher Traditionen.
Doch besitzt das Konferenzgebäck heute keinen guten Ruf. Wer in Büchern darüber schreibt, tut das entweder mit spleeniger Ironie oder mit unverblümter Abneigung. Da ist etwa Jan Weiler. Der Journalist und Autor räumt in seinem Krimi „Kühn hat Hunger“ dem Verhältnis zwischen Protagonisten und Keks erstaunlich viel Raum ein: „Er hatte in seinen mehr als zwanzig Dienstjahren alle gängigen Konferenzkekse der Welt ausprobiert, aber die dreilagige Waffel mit den hellbraunen Nougatschichten dazwischen hatte sich als idealer Trostspender oder Konzentrationsbooster erwiesen“, schreibt Weiler, um anschließend sehr detailliert deren Verzehr nachzuzeichnen.
Karsten Dusse vergleicht in seinem Bestseller „Achtsam Morden“ den Konferenzkeks mit einer Foltermethode. Und Wolfgang Lippert nutzt ihn in seiner Autobiografie als Glied einer Beweiskette dafür, dass die Dinge sich ändern. Als der Fernsehmoderator seinen Verlag besucht, wird ihm die letzte Packung auf den Tisch gestellt. Das Konferenzgebäck, so verrät ihm die Volontärin, sei längst aus dem Etat gestrichen.
Der schlechte Leumund des Konferenzgebäcks hat viel mit seinen Zutaten zu tun: Weißmehl, Zucker, Fett, künstliche Aromastoffe und ein Überzug, der zwar nach Schokolade aussieht, aber oft genug in erster Linie aus Palmöl oder Kokosfett besteht, all dem begegnet man heute mit Skepsis. Und überhaupt, was ist mit veganen Kolleg:innen und solchen mit Glutenunverträglichkeit? Wäre es nicht besser, den Leuten Nussmischungen oder ein wenig Obst anzubieten?
Im Home Office snackt jeder für sich allein
Dazu kommen veränderte Arbeitsgewohnheiten: Im Home Office steht der Kühlschrank in Griffnähe, während Video-Meetings ist Knabbern eher unüblich. Wer doch mal ins Büro geht, sieht sich deutlich informelleren Gepflogenheiten ausgesetzt als früher. Die Zeiten, in denen die Assistenz der Geschäftsführung im „großen Konfi“ liebevoll Edelstahlkannen voller Kaffee, 0,2-l-Fläschchen mit Orangensaft und eben Gebäckteller auf rautenförmig platzierten Papierservietten drapierte, neigen sich dem Ende zu. Im Zweifel bringt jeder seine eigene Mahlzeit mit.
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Das ist schade, denn es ist Konferenzgebäck, das auch das ödeste Meeting der Welt einigermaßen erträglich macht. Selbst, wenn er mit einer weniger exklusiven Mischung bestückt ist als beim Bundespräsidenten, ist der Konferenzkeksteller etwas, aus dem man eine Menge lesen kann: Welchen Rang haben die Teilnehmenden? Wird Wichtiges besprochen? Wie lange wird die Zusammenkunft dauern? Wie ist die Stimmung in der Chefetage gerade so?
Es geht aber noch weiter, denn auch die Interaktion der Kolleg:innen mit dem Gebäck kann aufschlussreich sein: Wer besitzt genug Selbstdisziplin, um nur ein- oder gar keinmal zuzugreifen? Wer sichert sich gezielt beliebte Sorten, um sie dann mitunter bis zum Meetingende zu hamstern? Wer weiß um fundamentale Regeln der Höflichkeit wie jene, dass man nicht spricht, wenn man gerade ein Waffelröllchen im Mund hat? Wer isst schlichtweg alles, was umsonst ist?
Eine genaue Geschichte des Konferenzgebäcks ist nicht überliefert, als Initialzündung ist aber die Erfindung des Kekses an sich zu sehen. Für die zeichnete die Firma Bahlsen aus Hannover verantwortlich, die 1891 die „Leibniz Cakes“ auf den Markt brachte. Der Begriff wurde bald eingedeutscht, das Sortiment schon vor dem Ersten Weltkrieg um Produkte wie Waffeln und Russisch Brot erweitert. Wann und wie sich der Keks zum Konferenzkeks diversifizierte, ist nur schwer nachweisbar, fest steht: Der Begriff ist ein genuin deutscher, eine englische Übersetzung existiert nicht.
Eine Abgrenzung zum klassischen Teegebäck ist ebenfalls schwierig, wohl aber sind für einen guten Konferenzkeks einige zusätzliche Eigenschaften von Nöten. Er darf nicht übermäßig krümeln. Der Verzehrvorgang sollte nicht mehr als zwei Bissen benötigen und möglichst geräuschlos vor sich gehen. Und wenn Schoko, dann nur eine Teilglasur; um unschöne Flecken auf den Fingern und Konferenzunterlagen zu vermeiden.
Hipstertum ist dem Konferenzkeks fremd
Wie viele der neun Kilo Kekse, die wir Deutschen pro Person und Jahr verzehren, im Büro gegessen werden, ist nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass es sich dabei um einen relevanten Wirtschaftszweig handelt. Vom Großkonzern bis zur kleinen Manufaktur, alle bieten sie ihre Mischungen an. Platzhirsch bleibt dabei Bahlsen, deren Konferenzkeks-„Collections“ nach dem Firmengründer Hermann Bahlsen, dessen Schwester Caroline und der ersten Frau im Vorstand, Anna-Dora Thieme, benannt sind. So weit, so traditionell.
Konferenzkekse sind also ein Traditionsgebäck. Hipstertum oder sonstiges Gewese ist ihnen fremd. Entsprechend gibt es sie nicht in Concept Stores in Berlin-Mitte oder dem Münchner Glockenbachviertel; sie sind nach wie vor entweder in Supermärkten oder aber als Großpackung bei Online-Versandhäusern erhältlich, die Namen wie Office Discount oder Cater Point tragen. Bei Letzterem wird mit der „Gebäckschale Anna-Dora Collection“ sogar passendes Porzellan angeboten: Einfach die Kunststoff-Gebäck-Trays aus der Verpackung in die viereckige Schale legen und die Keks-Anordnung bleibt erhalten!
Das beste Konferenzgebäck Berlins meidet den Gattungsnamen. Die Confiserie Walter fertigt ihre „Feingebäckmischung ohne Schokolade“ in „achtsamer Handarbeit“ und zeigt eine so eigene wie kompetente kulinarische Handschrift: Eine der Kekssorten in der Mischung kommt mit buttrigen Streuseln, eine andere mit zarten Mandelsplittern. Das rote Herz schmeckt subtil nach Himbeere und der am simpelsten aussehende Mürbekeks wunderbar nach Vanille. Trotzdem machen sich diese Kekse nicht wichtiger, als sie sind. Ein Schluck Kaffee, und sie grüßen nur noch als ferne Erinnerung vom Gaumen. Als schöne, wohlgemerkt. Darüber sollte Wolfgang Lippert mal ein Buch schreiben.
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