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Abschiebungen nach AfghanistanAuf Linie gebracht

Deutschland schiebt per Linienflug nach Afghanistan ab – und verhandelt mit den Taliban. Das sei „ein Signal der Schande“, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Die Taliban und ihre Anhänger feiern ihre Rückkehr an die Macht. Für Deutschland sind sie wieder Verhandlungspartner um abschieben zu können Foto: Kyodo News/imago

„Heimflug oder Haft“ – das seien die einzigen Optionen, die ausreisepflichtigen Af­gha­n:in­nen in Deutschland noch bleiben würden, hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bei seinem Amtsantritt im Mai verkündet. Sieben Monate später, am vergangenen Mittwoch, wurde dann ein 28-jähriger Afghane erstmals per Linienflug nach Kabul abgeschoben.

Das Innenministerium hatte die Bild-Zeitung mit Exklusiv-Infos versorgt, die entsprechend meldete, bei dem von München über Istanbul ausgeflogenen Mann handele es sich um einen „Schwerkriminellen“ und „Prügel-Afghanen“. Er habe wegen „schwerer Körperverletzung und Drogendelikten“ 1,5 Jahre in Bayern im Gefängnis gesessen und sei, begleitet von drei Bundespolizisten, direkt aus der Haft zum Flughafen gebracht worden.

Die Ampel-Regierung hatte im August 2024 zunächst 28 Personen per Charter-Sammelabschiebung nach Afghanistan abgeschoben. Im Juli 2025 wurden dann 81 Menschen ebenfalls per Sammelcharter aus Leipzig abgeschoben. In beiden Fällen hieß es, es handele sich ausnahmslos um verurteilte Straftäter. Auf taz-Anfrage wollten die Innenministerien aber seinerzeit keine Angabe dazu machen, welches Strafmaß jeweils zugrunde gelegt worden war.

Die Bundesregierung verhandelt mit Mördern, Unterdrückern und Feinden der Menschenrechte

Arif Abdullah Haidary, Flüchtlingsrat Bayern

Dobrindt hatte schon vor seinem Amtsantritt klargemacht, dass er von den aufwändigen und teuren Sammelchartern auf Abschiebungen per Linienflug wechseln will.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte die nun vollzogene erste Abschiebung dieser Art seit der Machtübernahme der Taliban einen „ganz wichtigen Fortschritt“, der „die Flexibilität erhöht und Zeit spart“. Möglich sei dies dank Dobrindts „entschlossenem Handeln“.

Verhandlungen in Doha

Im September und Oktober hatten Dobrindts Beamte mit hochrangigen Taliban zuerst in Doha/Katar, später auch in Kabul Verhandlungen über Abschiebe-Modalitäten geführt. In der Folge wurden offizielle Vertreter der Taliban in Deutschland zugelassen und übernahmen die diplomatischen Vertretungen in Berlin, Bonn und München.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD für die laufende Legislaturperiode heißt es, man werde nach Syrien und Afghanistan abschieben, und zwar „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ – also nicht auf diese Gruppen beschränkt.

Dobrindt kündigte an, die Linienflug-Abschiebungen auszuweiten. Allerdings sind nicht alle Bundesländer mit dieser Linie einverstanden. Bei der Innenministerkonferenz am 4. Dezember in Bremen hatte die für Flucht und Integration zuständige Grüne NRW-Ministerin Josefine Paul eine Protestnote formuliert: Es bestünden seitens ihres Bundeslandes „erhebliche Bedenken“ gegenüber einer Zusammenarbeit sowohl mit den Taliban-Vertretern in Deutschland als auch mit der Taliban-Regierung in Kabul. Zudem äußerte NRW Kritik an der geplanten Abschiebung von Personen, die weder Gefährder noch Straftäter sind.

Die Taliban-Regierung in Kabul wird international ausschließlich von Russland anerkannt. Die USA stufen die Taliban offiziell als „Specially Designated Global Terrorists“ ein.

„Die Bundesregierung verhandelt mit Mördern“

Österreich verfolgt ein ähnliches Zeil und hatte Mitte September eine Taliban-Delegation zur Identifizierung von Abschiebe-Kandidaten nach Wien eingeladen. Am 21. Oktober folgte dann die erste Einzelabschiebung nach Kabul, am vergangenen Donnerstag, zeitgleich mit dem Flug aus Deutschland, die zweite.

„Menschen dürfen nicht dorthin abgeschoben werden, wo ihnen Folter droht“, sagt Julia Duchrow, die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. „Doch genau das – Folter, Steinigung, Verschwindenlassen und sogar öffentliche Hinrichtung – droht jeder Person durch die Taliban.“ Abschiebungen nach Afghanistan seien „schwere Völkerrechtsbrüche“.

„Die Bundesregierung verhandelt mit Mördern, Unterdrückern und Feinden der Menschenrechte“, sagt der selbst aus Afghanistan geflohene Arif Abdullah Haidary vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Die Taliban sind keine Regierung, sie sind ein Terrorregime. Wer sich mit ihnen an einen Tisch setzt, tritt die Opfer ihrer Gewaltherrschaft mit Füßen – und sendet ein Signal der Schande in die Welt.“

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