Abschiebung von Balkan-Flüchtlingen: Brüder im Geiste der Abschiebung
Das rot-grün regierte Hamburg plant Aufnahme- und Abschiebelager für Balkan-Flüchtlinge. Die Grünen wittern Koalitionsbruch.
In Hamburg nehmen nach taz-Informationen die Vorbereitungen für eine Selektierung in Kriegsflüchtlinge und Armutsmigranten aus den sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ schon konkrete Formen an. Spätestens, wenn Innensenator Michael Neumann (SPD) im Herbst seine Ankündigung umgesetzt hat, auf fünf bis sieben Gewerbeflächen neue Container-Großunterkünfte mit 20.000 Plätzen eingerichtet zu haben, sollen die ersten Maßnahmen greifen, um die Flüchtlinge aus dem Balkan schneller abzuschieben oder vom Asylantrag abzuschrecken.
Bis dahin ist die Zahl der Mitarbeiter in der Abschiebeabteilung der Ausländerbehörde um 20 Mitarbeiter verdreifacht worden, die sich dann auf die speziellen Balkan-Einrichtungen konzentrieren. „Wir fahren eine sehr konsequente Linie, gerade was die Balkanländer angeht. Es ist schon abstrus, dass wir 50 Prozent aller Flüchtlinge aus dem Balkan haben“, sagte Neumann dem NDR. Ihre Fälle würden die Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „wahnsinnig beschäftigen und belasten“.
Der Sprecher der Innenbehörde bestreitet aber, dass es bereits konkrete Vorbereitungen für Mega-Deportationen gibt. „Davon ist mir nichts bekannt“, sagt Sprecher Björn Domroese. Und auch der städtische Betreiber „Fördern und Wohnen“, der für die Flüchtlingsunterbringung zuständig ist und eine Trennung der Flüchtlinge nach Herkunft eigentlich ablehnt, habe „definitiv eine solche neue Weisung nicht bekommen“, sagt Sprecherin Susanne Schwendtke.
Politisch Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen oder aus humanitären Gründen ein Bleiberecht zu bekommen.
Die ethnische Volksgruppe der Roma und Sinti werden nachweislich in den Balkan-Staaten diskriminiert, verfolgt und gesellschaftlich ausgegrenzt.
Um den Zufluchtsstrom zu stoppen und Asyl schnell verweigern zu können, sind Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina 2014 vom Bundestag als „sichere Herkunftsländer“ definiert worden.
Für Furore sorgte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz mit dem Vorstoß, auch Albanien und das Kosovo zu sicheren Länder zu erklären, weil diese eine EU-Mitgliedschaft anstrebten.
Nicht mit dem Koalitionspartner vereinbart
Der grüne Koalitionspartner widerspricht den Balkan-Lagerplänen von Bürgermeister Scholz. „Dass Scholz das gerne möchte, ist bekannt“, sagt die innenpolitische Sprecherin Antje Möller. „Das ist aber nicht in der Koalition besprochen und vereinbart“, bekräftigt Möller. „Wir halten so etwas für falsch und stigmatisierend.“
Das Diakonischer Werk lehnt ebenfalls Sondereinrichtungen ab. Es sei ein „Irrglaube, dass eine gesonderte Unterbringung Asylverfahren und Abschiebungen beschleunige“, sagt Fachbereichsleiter Dirk Hauer. Er befürchte vielmehr, dass durch den Vorschlag „für eine besondere Gruppe von Flüchtlingen aus Abschreckungsgründen noch einmal besonders schlechte Bedingungen etabliert werden sollen“.
Schleswig-Holstein und Niedersachsen halten sich derzeit aus der Diskussion heraus. „Der Innenminister beteiligt sich nicht an dem Wettbewerb um den täglich neuesten Vorschlag in der Asyl- und Flüchtlingspolitik“, sagt Stefan Studts (SPD) Sprecher Thomas Giebeler. Auch in Niedersachsen gebe es keine Pläne spezieller Balkan-Unterkünfte, beteuert der Sprecher des Innenministeriums, Philipp Wedelich.
Dass es im Erstaufnahmelager Bramsche zu einer Ballung von Balkan-Flüchtlingen komme, liege an den Realitäten. Der niedersächsische Flüchtlingsrat ist zwar über die mehrmonatige Verweildauer von Schutzsuchenden aus dem Balkan in Bramsche verwundert, während andere Asylbewerber schnell auf die Kommunen verteilt werden, so ein Sprecher: Von einer Weisung des Ministeriums wisse man aber nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance