Abschiebung nach Aserbaidschan: Zurück in die Arme des Präsidenten
Bayern will den Bruder eines aserbaidschanischen Oppositionellen abschieben. Es gebe keinen Zweifel, dass der Mann festgenommen werde, sagt sein Anwalt.
Babirsoy floh 2017 aus Aserbaidschan nach Deutschland aus Angst vor dem dortigen Regime. Nun ist der heute 63-Jährige kein Oppositioneller, seit 2013 hat er von politischen Aktivitäten gänzlich Abstand genommen. Dennoch fühlt er sich in seiner Heimat nicht mehr sicher. Der Grund: sein Bruder Ordukhan Teymurkhan Babirsoy. Dieser lebt schon seit vielen Jahren in den Niederlanden im Exil, von wo aus er medienwirksame Proteste gegen die autokratische Regierung in Baku organisiert.
Ordukhan Teymurkhan Babirsoy habe mittlerweile einen großen Bekanntheitsgrad in der Heimat erlangt und werde vom Regime gewissermaßen als „Staatsfeind Nummer eins“ betrachtet, erklärt Gerhard Bauer, der Anwalt von Bruder Shakir Babirsoy.
Deshalb könne es keinen Zweifel geben, dass sein Mandant festgenommen werde, sobald er aserbaidschanischen Boden betrete. Auf diese Weise wollten die Machthaber Druck auf den unliebsamen Oppositionspolitiker ausüben. Das Wort Sippenhaft bekommt in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung.
Polizei holt die ganze Familie
Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was ihn erwarten könnte, hat Babirsoy schon vor seiner Flucht erhalten. Es war der 18. Februar 2017, sein 58. Geburtstag. In Köln hatte sein Bruder an diesem Tag eine Demo gegen die Machthaber in Baku veranstaltet und Freiheit für die dortigen politischen Gefangenen gefordert. Am Abend dann wurden Shakir Babirsoy und elf weitere enge Verwandte des Oppositionellen von der Polizei abgeholt, darunter auch die Mutter von Shakir Babirsay und eine zweijährige Nichte.
Auf der Polizeistation hätten sie eine Nacht ohne Essen und Trinken verbringen müssen, seien eingeschüchtert worden. Einer der Polizisten habe Shakir Babirsoy ins Gesicht geschlagen. Über das Mobiltelefon der Schwester habe die Polizei dann Kontakt zu Ordukhan Teymurkhan Babirsoy aufgenommen und ihm mit Konsequenzen für seine Familie gedroht, wenn er seine regierungskritischen Aktionen nicht einstelle. Die meisten Familienmitglieder hätten daraufhin ein Dokument unterschrieben, in dem sie sich von ihrem Verwandten im Ausland lossagten. Shakir Babirsoy weigerte sich.
Nach seiner Entlassung am folgenden Tag habe er sich einen Monat lang nicht getraut, seine Wohnung zu verlassen. Das Haus sei in der Folgezeit auch regelmäßig von der Polizei beobachtet worden. Ihm war klar: Sie haben ihn im Visier. Immerhin gelang es Babirsoy ein paar Monate später, ein Visum nach Deutschland zu bekommen, wo sein Sohn zu dieser Zeit bereits als Arzt arbeitete, und unbehelligt auszureisen.
In Deutschland stellte er einen Asylantrag. Dafür nahm er die Trennung von seiner Familie in Kauf – seine Frau wollte ihre kranke Mutter nicht allein zurücklassen – und gab einen gutbezahlten Job als Schiffsmechaniker auf. Inzwischen lebt Babirsoy seit fünf Jahren in Memmingen, seit einem Jahr hat er dort eine eigene Wohnung, er lernt Deutsch und hatte bis zuletzt einen Job in einer Reinigungsfirma, mit dem er zumindest seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten konnte.
792 Asylanträge, viermal Asyl
Die ehemalige Sowjetrepublik Aserbaidschan wird seit fast 30 Jahren autoritär von der Familie Əliyev regiert, seit Heydər Əliyev, der Vater des heutigen Präsidenten İlham Əliyev, mittels eines Militärputsches die Macht übernommen hat. Das Regime ist geprägt von Personenkult und Korruption.
Amnesty International konstatiert eine anhaltende politisch motivierte Verfolgung und Drangsalierung von Regierungskritikern; auch nach einer Amnestie im März 2021 befänden sich noch etliche politische Gefangene in Haft. Bei friedlichen Kundgebungen gehe die Polizei zum Teil mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor.
Vor einem Jahr musste ein Oppositionspolitiker nach einem solchen Polizeieinsatz mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein anderer Oppositioneller sei kurz zuvor auf der Grundlage offenbar politisch motivierter Anklagen zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Und Human Rights Watch berichtet, dass aserbaidschanische Behörden regelmäßig Familienangehörige von Aktivisten schikanierten, willkürlich verhafteten und strafrechtlich verfolgten, um die Oppositionellen zu zwingen, ihre Aktionen einzustellen.
Aus der Sicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sprechen solche Berichte allerdings nicht generell gegen die Abschiebung aserbaidschanischer Flüchtlinge. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurde in Deutschland über 792 Asylanträge aus Aserbaidschan entschieden. Nur vier Antragstellern gewährte das Bamf Asyl, in 49 weiteren Fällen sah die Behörde aus anderen Gründen von einer Abschiebungsandrohung ab.
Bamf sieht in Festnahme nichts Persönliches
Das Magazin Vice veröffentlichte erst jüngst die Ergebnisse einer umfangreichen Recherche, an der auch das aserbaidschanische Exilmedium Mikroskop Media beteiligt war. Danach wurden acht Männer, die innerhalb der vergangenen anderthalb Jahre aus Deutschland nach Aserbaidschan zurückkehrten, dort verhaftet. Alle acht hatten sie zuvor gegen die Əliyev-Diktatur demonstriert, die meisten von ihnen hatten in Deutschland – vergeblich – Asylantrag gestellt.
Jetzt soll Shakir Babirsoy abgeschoben werden. Auch sein Asylantrag wurde vom Bamf abgelehnt. In diesem Sommer dann wies das Verwaltungsgericht Ansbach eine Klage gegen die Bamf-Entscheidung zurück, am 15. September schließlich lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiederum eine Klage gegen diesen Beschluss ab.
Die Begründung: Der aserbaidschanische Staat habe gegenüber dem Kläger gar kein wirkliches Verfolgungsinteresse gezeigt, das sehe man schon daran, dass es ihm ohne Probleme möglich gewesen sei, das Land zu verlassen. Die Festnahme im Februar 2017 habe auch nicht ihm persönlich gegolten, die Polizei habe lediglich Auskünfte über den Bruder in den Niederlanden erhalten wollen.
Das bayerische Innenministerium hat auf taz-Nachfrage erklärt, von einer Abschiebung Babirsoys abzusehen, bis sein Fall im Petitionsausschuss behandelt worden sei. Der Ausschuss ist seine letzte Hoffnung. Eine kleine Hoffnung.
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