Abschiebehaft in Deutschland: Wen es wirklich trifft
Freud:innen eines Gambiers haben mit Demos und einer Petition probiert, ihn aus der Abschiebehaft zu holen. Das Gericht hat seinen Eilantrag abgelehnt.

Mit der Anwältin Christine Lüth beantragte Gaye im Eilverfahren beim Verwaltungsgericht in Magdeburg, die Abschiebung zu untersagen und ihm eine sogenannte Freizügigkeitskarte auszustellen. Darauf habe er durch die feste Partnerschaft ein Anrecht. Seine Verlobte ist französische Staatsbürgerin, lebt aber in Deutschland. Doch das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag am Montag abgelehnt. Damit gilt, was die Ausländerbehörde befindet: Er sei ausreisepflichtig und die Frist für seine Ausreise schon verstrichen. Gaye bleibt in der Abschiebehaft.
Die Geschichte des 33-Jährigen ist in ihren Details ein Einzelfall. Sie zeigt aber, welchen Eingriff Abschiebehaft in die Leben der Betroffenen und ihres Umfelds bedeutet. Und der Fall zeigt, wie schwer es ist, sich rechtlich dagegen zu wehren.
Gaye kam laut seinen Unterstützer:innen von der Guppe Solidarity Movement (Solimo) 2019 nach Deutschland. Zuletzt wohnte er in Sachsen-Anhalt. Weil das Bundesland über keine Abschiebehaftanstalt verfügt, wurde er nach Dresden im benachbarten Sachsen überstellt. Die Unterstützer:innen des 33-Jährigen gehen davon aus, dass er am Mittwoch per Flugzeug nach Gambia abgeschoben werden soll.
Debatte über unbegrenzte Abschiebehaft
Der taz liegen mehrere Briefe von Politiker:innen vor, die Behörden darum gebeten haben, ihn nicht abzuschieben. Sie verweisen auf seinen Integrationswillen und seine Verlobung. Er sei eigentlich ausgebildeter Grundschullehrer, habe aber zwei Jahre beim Paketversand Hermes gearbeitet. Das Unternehmen habe ihn unbefristet anstellen wollen, doch dafür bekam er keine Arbeitserlaubnis.
In den vergangenen Jahren engagierte er sich demnach ehrenamtlich. Er habe etwa Workshops dazu gegeben, welche Unterstützung Geflüchtete bei der Ausländerbehörde brauchen.
In der für ihn zuständigen Ausländerbehörde in Haldensleben, Sachsen-Anhalt, wurde er laut Solimo am 30. September festgenommen. Eigentlich habe er nur seine Papiere verlängern wollen. Ein ähnliches Vorgehen der Behörden ist auch bei anderen Abschiebungen bekannt.
Insgesamt gibt es in Deutschland nach Informationen des Bundesinnenministeriums 790 Abschiebehaftplätze. Zuständig sind die Bundesländer. Darum lägen auf Bundesebene keine gesammelten Informationen darüber vor, wie viele Menschen der Staat derzeit in Abschiebehaft verwahrt. Eine Große Anfrage der Linken im Bundestag aus dem Juli dazu wurde bislang nicht beantwortet.
Mehr Abschiebehaft – mehr Abschiebungen?
Laut einer aktuellen Umfrage der Tageszeitung Welt sind in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg zwischen 60 und 70 Prozent der Abschiebehaftplätze belegt. Eine ähnliche Abfrage der Nachrichtenagentur epd für das erste Halbjahr 2024 ergab eine Auslastung von etwa 50 bis 60 Prozent.
Die Behörden nutzen also nicht alle bestehenden Plätze. Trotzdem fordert Bundespolizei-Präsident Dieter Romann in der Welt am Sonntag, es brauche mehr Haftplätze für Ausreisepflichtige. Die Idee dahinter: So ließen sich mehr Abschiebungen vollziehen, weil die Betroffenen nicht kurzfristig untertauchen könnten.
Bislang können die Behörden mit richterlichem Beschluss Menschen zunächst sechs Monate in Abschiebehaft nehmen. Selbst wenn die Menschen keine Straftaten begangen haben, dürfen Richter:innen die Haft um 12 Monate verlängern.
Die Bundesregierung möchte dies allerdings noch weiter verlängern – am liebsten unbegrenzt. Anfang Oktober hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) vorgeschlagen, unter Umständen eine zeitlich „unbefristete Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber“ zu ermöglichen. Die Landesinnenministerien der SPD-geführten Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen meldeten daran laut Welt verfassungsrechtliche Bedenken an.
Wer kann sich wehren?
Schon die aktuelle Praxis der Abschiebehaft steht in der Kritik. Laut Frank Gockel vom Bundesfachverband zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft sei ein erheblicher Teil zu Unrecht inhaftiert. Schätzungen zufolge betreffe das jede zweite Person in Abschiebehaft, sagte er der taz. Auch seine eigene Erfahrung zeige das. Gockel engagiert sich seit 30 Jahren für Menschen in Abschiebehaft.
Ob betroffene Personen dagegen vorgehen könnten, hänge von qualifizierter Beratung oder anwaltlicher Unterstützung ab, so Gockel. Allerdings will die schwarz-rote Bundesregierung just den erst Anfang 2024 eingeführten verpflichtenden Rechtsbeistand für Menschen in Abschiebehaft wieder abschaffen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll voraussichtlich in den nächsten Wochen beschlossen werden.
Im Fall Yerro Gaye plant Anwältin Christine Lüth nun, eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die Argumentation der Ausländerbehörde, der das Verwaltungsgericht in Magdeburg folgte, sei „in mehrfacher Hinsicht fragwürdig“. So behaupte die Behörde etwa, von Gayes Verlobung nichts gewusst zu haben.
Dabei habe Gaye im August bei der Ausländerbehörde um Erlaubnis gebeten, nach Berlin zu reisen, um die Eheschließung dort anzumelden. Das sei ihm verweigert worden, berichtet Lüth. Spätestens da sei die Behörde über die Verlobung informiert gewesen. „Sämtliche Nachweise über den Schriftverkehr mit dem Standesamt wurden der Behörde vorgelegt“, bekräftigt die Anwältin. Das Vorgehen der Behörde zeige, „dass hier nicht sorgfältig ermittelt, sondern eine vorgefasste Position durchgesetzt wurde“.
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