Abschiebehaft in Deutschland: Tür an Tür mit Kriminellen
Der Europäische Gerichtshof beanstandet die deutsche Praxis, Flüchtlinge in Gefängnisse zu sperren. Doch nicht alle Bundesländer reagieren darauf.
BERLIN taz | Wenige Stunden war der Urteilsspruch alt, da öffneten sich in der JVA Volkstedt in Sachsen-Anhalt die Türen für sieben Männer. Auch die 30 Kilometer entfernte JVA Halle entließ zur selben Zeit eine Frau aus ihrer Zelle. Teils Monate hatten die Flüchtlinge aus Mali, dem Libanon und Vietnam auf ihre Abschiebung gewartet. Nun kamen sie, unverhofft, vorerst frei. Sachsen-Anhalt reagierte als erstes Bundesland auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Die Richter hatten die deutsche Praxis, Flüchtlinge, die vor der Abschiebung stehen, auch in herkömmlichen Gefängnissen unterzubringen, am vergangenen Donnerstag missbilligt. Das verstoße gegen die Menschenwürde und die Rechte von Migranten. Drei Abschiebehäftlinge hatten gegen ihre Inhaftierung neben verurteilten Gewalttätern und Betrügern geklagt. Der EuGH maß der Klage grundsätzliche Bedeutung zu: Sein Urteil gelte „grundsätzlich“ und „ohne Ausnahme“.
Sachsen-Anhalt, das keine spezielle Abschiebehaftanstalt hat, habe schon vor dem Urteil Gespräche über eine Kooperation mit anderen Bundesländern geführt, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. Bis es eine feste Vereinbarung gibt, „wird es keine Abschiebehaft in Sachsen-Anhalt geben“.
Mit dieser Reaktion ist das Bundesland bisher allerdings allein. Denn nach einer bundesweiten Umfrage der taz inhaftieren derzeit noch vier weitere Länder Abschiebehäftlinge in normalen Haftanstalten – und reagieren keineswegs so prompt.
So sitzen im SPD-angeführten NRW derzeit noch 32 Flüchtlinge neben rund 130 Strafgefangenen in der JVA Büren ein. Innenminister Ralf Jäger (SPD) will den Standort nun „weiterentwickeln“. Auch prüfe man „alternative Unterbringungskonzepte“. Nur: Bis dahin bleiben die Flüchtlinge hinter Gittern – trotz des Urteils.
Jäger verteidigt sich: Büren sei schon jetzt eine „spezielle Einrichtung“, mit eigenen Hafthäusern für die Abzuschiebenden, „großzügigen“ Besuchsregeln und kostenloser Rechtsberatung. Künftig solle für die Flüchtlinge „zweifelsfrei zum Ausdruck kommen, dass es nicht um das Verbüßen einer Strafe geht“. Dem grünen Regierungspartner reicht das nicht. Deren flüchtlingspolitische Sprecherin Monika Düker fordert „schnellstmöglich“ Alternativen zu Büren.
Auch in den drei weiteren betroffenen Ländern (siehe Karte) hat man keine Eile. Im grün-rot-regierten Baden-Württemberg, wo die Haftanstalten in Mannheim und Schwäbisch-Gmünd Flüchtlinge aufnehmen, wird sich laut einem Sprecher noch „abgestimmt“. Alle drei Abschiebehäftlinge seien aber vorerst in Rheinland-Pfalz, im dortigen Abschiebegewahrsam Ingelheim, untergebracht.
Ebenso in Hessen, wo Abzuschiebende in der JVA Frankfurt am Main landen, will Schwarz-Grün das Urteil vorerst „sorgsam auswerten“, so Innenminister Peter Beuth (CDU). Im Thüringer Innenministerium sieht man ebenfalls „keine unmittelbaren Konsequenzen“. In dem Land werden Flüchtlinge in der JVA Goldlauter untergebracht. Beide Ministerien wollen nun Kooperationen mit anderen Ländern „ausloten“.
Offen bleibt, wann Ergebnisse folgen. Die Länder beruhigen: Derzeit habe man ja gar keine Abschiebehäftlinge.
Pro Asyl fordert die „sofortige Freilassung“
Das aber ist nur eine Momentaufnahme. Viele Flüchtlinge befinden sich nur kurzzeitig in Haft – bevor sie abgeschoben werden. Dies erfolgt meist in Ersteinreiseländer, die ihre Asylverfahren nach den europäischen Dublin-II-Regeln übernehmen sollen. Die Zahlen können heute also schon wieder andere sein.
Günter Burkhardt von Pro Asyl fordert deshalb die „sofortige Freilassung aller Abschiebehäftlinge“. „Da gibt es nichts zu prüfen“, so Burkhardt. "Jetzt muss gehandelt werden."
Tatsächlich war das Urteil erwartbar. Schon 2010 legte die EU in einer Richtlinie fest, Abschiebehäftlinge nur noch in gesonderten Einrichtungen unterzubringen. Einige Bundesländer schwenkten ein. Andere folgten erst zu Jahresbeginn, als der Bundesgerichtshof die Klage bereits dem EuGH vorgelegt hatte.
So ist seit Januar in Niedersachsen nun die JVA Langenhagen wieder reines Abschiebegefängnis. In Bayern werden seit Februar Flüchtlinge in der eigenen Anstalt in Mühldorf, nicht mehr in der JVA München-Stadelheim untergebracht. Ob dies nur vorteilhaft ist, bezweifelt ein Sprecher des Innenministeriums. Immerhin wären die zur Ausreise Verpflichteten in Stadelheim weniger isoliert gewesen, hätten Zugang zu einer Bibliothek gehabt.
Flüchtlinge leiden unter Einzelhaft
Tatsächlich stehen auch die reinen Abschiebegefängnisse in der Kritik. Im brandenburgischen Eisenhüttenstadt etwa liegt dieses weit abgelegen an der polnischen Grenze, hinter hohen Gitterzäunen und direkt neben der Erstaufnahmestelle für eintreffende Asylbewerber. Mehrere Flüchtlinge begaben sich dort im letzten Jahr in den Hungerstreik, ein Mann erhängte sich. Die Zustände bezeichnet der Flüchtlingsrat als „Albtraum“.
In Bremen, wo Flüchtlinge seit Jahren in einem Polizeigewahrsam untergebracht werden, gesteht selbst eine Sprecherin des Innensenators, die „gefühlte und erlebte Isolierung“ der Abschiebehäftlinge. Einige hätten gar wieder entlassen werden müssen, „da sie psychisch derart unter dieser Einzelhaft litten“.
Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt stellt deshalb die Grundsatzfrage: „Warum werden Flüchtlinge überhaupt eingesperrt? Flucht ist kein Verbrechen.“ Burkhardt fordert, Abschiebehaft „generell abzuschaffen“. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt will ein Ende: Alternativ könne man etwa Meldeauflagen einführen.
Tatsächlich gibt es in Sachsen, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern bereits keine Abschiebehaft mehr - abgeschafft ist die Praxis dennoch nicht. Dort werden Flüchtlinge in Einrichtungen benachbarter Länder geschickt. Am Montag beschloss auch Hamburg, seine festgenommenen Flüchtlinge künftig nach Schleswig-Holstein, in die Abschiebeanstalt Rendsburg, zu schicken. Noch diese Woche sollen die beiden derzeitig betroffenen Männer überstellt werden.
Fast 5.000 inhaftierte Flüchtlinge
Dennoch ein schleichender Ausstieg aus der Abschiebehaft? Eher nicht. Denn laut Nationaler Antifolterstelle, einem unabhängigen Verband, der deutsche Hafteinrichtungen prüft, wurden 2013 immerhin noch 4.812 Flüchtlinge vor ihrer Abschiebung inhaftiert. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) arbeitet derzeit an einer Asylrechtsreform, die eine Inhaftierung von Flüchtlingen wieder erleichtert.
Dies, so heißt es in einem Entwurf des Gesetzes, könne erfolgen, wenn der Flüchtling „unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist“ ist, sich vor einer „polizeilichen Kontrolle verborgen“, über seinen Asylantrag „eindeutig unstimmige Angaben gemacht“ oder Ausweispapiere vernichtet hat. Da Asylsuchende selten offiziell einreisen, könnte damit künftig fast nach Belieben Haft verordnet werden. Burkhardt von Pro Asyl warnt bereits vor „der Möglichkeit eines gigantischen Inhaftierungsprogramms“.
Zum EuGH-Urteil äußerte sich das Bundesinnenministerium zurückhaltend. Man habe dieses zur Kenntnis genommen, sagte Sprecher Johannes Dimroth. Nun prüfe man „den sich hieraus ergebenden rechtlichen Umsetzungsbedarf“. Praktisch, so Dimroth, könnten nun „insbesondere“ die Länder reagieren. Wenn sie es denn täten.
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