Abschiebegefängnis in Baden-Württemberg: Afghanen protestieren mit Hungerstreik gegen Abschiebung
Mit einem Hungerstreik protestieren sieben Männer in Pforzheim gegen ihre geplante Rückführung nach Afghanistan. Sie fürchten Strafen und Verfolgung durch die Taliban.
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Einer der Inhaftierten ist Zahidullah Kharotay. Außer Medikamenten nehme die Gruppe nichts zu sich, sagte er der taz am Telefon. Ärzte würden den Blutdruck der Streikenden täglich kontrollieren, ansonsten gebe es keinen Kontakt mit Vertretern der Behörden. „Bisher ist keiner zu uns gekommen. Wir haben Schmerzen, können kaum noch laufen, aber wir machen weiter,“ sagt er.
Alle sieben lebten zuletzt in Baden-Württemberg. Es handele sich „um schwere Straftäter, die u.a. wegen Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten rechtskräftig zu Freiheitstrafen verurteilt wurden“, sagte ein Sprecher des für Abschiebungen zuständigen Landesministeriums für Justiz und Migration in Stuttgart. Was sich eine Person mindestens zuschulden kommen lassen muss, bevor das Bundesland eine Abschiebung in das von den Taliban beherrschte Land in Betracht zieht, wollte der Sprecher nicht sagen. Allerdings gehe es „prioritär (um) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilte“ Personen.
Sadiq Zartila, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
Nach Kharotays Angaben fürchten die Inhaftierten Strafen und Verfolgung durch die Taliban. In seinem Fall etwa habe seine Familie eine Nachricht erhalten, dass er gesucht werde. Zwei seiner Geschwister seien bereits von den Islamisten getötet worden. Kharotay kam im Dezember 2015 nach Deutschland, ein erster Asylantrag sei 2017 wegen Straffälligkeit abgelehnt worden, eine Arbeitserlaubnis habe er nie erhalten.
„Nornalisierung des Taliban-Regimes“
Kharotay sagt, er wurde nach einem Gerichtstermin in Tübingen am 3. Januar festgenommen und nach Pforzheim gebracht. Zuvor habe er in Reutlingen gelebt. Kharotay hat nach eigenen Angaben in den Jahren 2017 und 2021 zwei Haftstrafen wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung verbüßt, sei jedoch wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden und habe in Haft eine Therapie gemacht. Am 16. Januar 2024 sei sein Sohn geboren worden, mit dem er weiter Umgang habe. Er wolle bei ihm leben, habe aber kein Geld, um einen Anwalt zu bezahlen, der ihm helfe, dies durchzusetzen.
„Angesichts der dramatischen Situation vor Ort sind Abschiebungen nach Afghanistan unverantwortlich“, sagte Sadiq Zartila vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Es gebe eine „akute Bedrohung von Leib und Leben“. Selbst, wenn Menschen Straftaten begangen haben, müssten diese im Rahmen des Rechtssystems hier bestraft werden, so Zartila. Mit Abschiebungen in das Land leiste Deutschland einen „wesentlichen Beitrag zur Normalisierung des Taliban-Regimes auf internationaler Bühne“. Mit der neuen Abschiebung solle vor der Bundestagswahl „migrationspolitische Härte“ demonstriert werden.
Einen für die sieben Männer in Pforzheim geplanten Abschiebetermin nannte die Landesregierung nicht. Zur operativen Durchführung der Abschiebung sei Baden-Württemberg – wie bei der letzten Abschiebung im Sommer 2024 – „auf die Durchführung der Maßnahme durch den Bund angewiesen“, hieß es.
Im August 2024 hatte Deutschland erstmals seit Machtübernahme der Taliban im August 2021 wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Damals waren 28 Männer, die Straftaten begangen hatten, über den Flughafen Leipzig-Halle abgeschoben wurden. Das Golfemirat Katar hatte die Aktion vermittelt und auch den Flug übernommen. Bis heute ist unklar, welche Gegenleistung die Taliban für die Rücknahme bekommen hatten.
Die CDU will dies nach einer Regierungsübernahme fortsetzen. „Wir sind in der Union ja schon seit längerer Zeit der Auffassung, dass man nach Afghanistan und nach Syrien grundsätzlich abschieben kann und sollte. Das würden wir machen“, sagte Kanzlerkandidat Friedrich Merz Ende Dezember.
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