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Abrechnung mit SelbstbedienungskassenWer sagt hier Bullshit-Job?

Friederike Gräff

Kommentar von

Friederike Gräff

Selbst-Scanner-Kassen im Supermarkt rationalisieren unseren Alltag, fressen Arbeitsplätze und soziale Begegnung. Ich halte davon absolut nichts.

Ergebnis der Selbstscankassen: Zeitersparnis oder im Spätkapitalismus wegrationalisierte soziale Begegnung? Foto: Oliver Berg/dpa

S eit ein paar Wochen erlebe ich zuverlässig einen Moment der Freude, wenn ich zu Budni, der Hamburger Drogeriekette, gehe: dann, wenn die Schlange an der Kasse, an der ein Mensch sitzt, länger ist als die vor der Selbstkassiererkasse. Ich nehme es als Zeichen des Protests, als Abstimmung mit den Füßen. Mal schauen wie lange noch.

Fragt man bei der Pressestelle von Budni nach, so ist die Einführung der Selbstkassiererkassen ein reines Fest: schnelleren Service für die Kundschaft sollen sie bieten, die Reaktion von Personal und Kun­d:in­nen seien einhellig positiv, die Zunahme an Ladendiebstählen habe mit den neuen Kassen nichts zu tun. Und Personal werde deswegen nicht abgebaut.

Fragt man Menschen außerhalb der Pressestellen, warum sie die Einführung der Selbstscannerkassen begrüßen, kommt zuverlässig ein Argument: Kassieren sei ein Bullshitjob und die Automatisierung eine Wohltat für die Betroffenen.

Es ist ein Argument mit zwei interessanten Leerstellen. Zum einen gibt es zumindest im deutschsprachigen Raum keine aktuelle Studie, in der man Kas­sie­r:in­nen selbst zu ihrer Arbeitszufriedenheit befragt hätte. Zum anderen scheinen sich die Feinde des Bullshit-Kassierens nicht mit der Frage zu beschäftigen, was niedrigschwellige berufliche Alternativen für die Menschen sein können, die man wegautomatisiert.

Ist Kassieren ein „Bullshitjob“?

Was macht denn das Kassieren zu einem Job, den es nicht geben sollte? Die Antwort ist ziemlich einfach: Geiz. Arbeitsteilung ist billig, daher rechnet es sich, Menschen ausschließlich fürs Kassieren abzustellen, um andere, noch schlechter Bezahlte, vor allem mit dem Einräumen der Regale zu beschäftigen. Es ist der gute alte Geist des Fordismus, den die wohlmeinenden Bull­shit­job­ab­schaf­fe­r:in­nen kritiklos übernehmen.

Kein Mensch kommt auf die Idee, stattdessen zu fragen, wie ein guter Arbeitsplatz für Kas­sie­re­r:in­nen aussehen würde, dabei gibt es längst Beispiele, von denen Arbeitspsychologinnen erzählen. Entscheidend sei, dass die Arbeit nicht auf das Sitzen an der Kasse beschränkt ist und Angestellte etwa auch an den Käse- und Fleischtheken oder beim Einräumen im Einsatz sind.

Tatsächlich sagte eine Budni-Kassiererin genau das, als ich sie fragte, wie sie die Selbstscankassen fände: Sie kassiere nicht ungern, wenn sie dazwischen auch noch andere Aufgaben hat, zum Beispiel Ware einräumen.

Soweit ich weiß, gehört Budni zu den eher angenehmen Arbeitgebern. Andere Märkte sind in Sachen Rationalisierung weiter und dünnen das Personal so schnell aus, dass die Politik über eine Automatensteuer nachdenken könnte. Stattdessen erwägt sie erweiterte Öffnungszeiten für vollautomatisierte Kleinstsupermärkte, aber das ist ein anderes trostloses Themenfeld.

Das schnelle Abkassieren, mit dem Supermärkte der Kundschaft zuwinken, könnte man auch haben, wenn genügend Kassen besetzt wären, aber ach, die Personalkosten, der Fachkräftemangel. Stattdessen hat also die Selbstkassierstation Einzug gehalten und das natürlich nicht nur bei Budni, sondern auch bei Ikea, Rewe, Kaufland, Edeka, dm und wie die großen Ketten so heißen.

An der Kasse stehen ist eine soziale Begegnung

Dem Selbstkassieren folgt, wie die Fliege dem Mist, der Ladendiebstahl. Dass erheblich mehr gestohlen wird, liegt auch an Inflation und steigenden Preisen – aber eben auch an der Möglichkeit, selbst gezielt falsch oder gar nicht zu scannen. Das versetzt das Kassenpersonal, das – nun schlechter bezahlt übrigens – neben dem Scanner steht, in eine neue Rolle: Auf­pas­se­r:in zu sein gegenüber einer Kundschaft, die nun noch mehr unter Verdacht steht.

Laut Heike Lattenkamp vom Verdi-Landesverband Hamburg ist das für die Angestellten „frustrierend und belastend“. Was ihnen entgeht, sollen neue Überwachungssysteme auskundschaften, zu denen die Unternehmen sich ungern äußern und die in Pilotmärkten bereits getestet werden.

Wie also sieht der Deal für die Kundschaft aus? Weniger Mensch an der Kasse + mehr Überwachung = mehr Lebenszeit für die Kund:innen?

Fehlt nur das, was weicher Faktor genannt wird (diese Benennung ist so abschreckend, dass sie von einer Unternehmensberatung stammen muss): An einer Kasse zu stehen, bedeutet eine soziale Begegnung, die man nicht selbst kuratiert. Eine Kassiererin oder ein Kassierer ist kein Sozialbüro, aber es ist ein Mensch, mit dem man interagiert.

Kürzlich stand ich an einer Supermarktkasse, deren Kassiererin zuverlässig mürrisch ist. Eine mittelalte Kundin in Jogginghose fragte nach einer Flasche Jägermeister. „Klein?“, fragte die Kassiererin. „Groß!“, sagte die Kundin. „Das gibt morgen Kopfschmerzen“, sagte die Kassiererin und es lag so etwas wie Wohlwollen in ihrer Stimme.

Die Kassiererin kann die Person sein, die eine der wenigen oder die einzige ist, die wahrnimmt, wie es mit der mittelalten Kundin und der Jägermeisterflaschen-Größe so aussieht. Sie kann die einzige sein, die einen auffordert, kurz das Telefonat zu unterbrechen. Es kann die Person sein, die an einem apokalyptischen Morgen sowas sagt wie „gute Schuhe“, was inmitten der Apokalypse viel wert ist.

Es ist sonderbar, dass die Kun­d:in­nen das Zeitsparversprechen so begeistert schlucken. Eigentlich könnten sie inzwischen begriffen haben, dass die digitale Effizienzmaschinerie nicht zu mehr quality time für sie geführt hat, sondern zu freudloser Atemlosigkeit. Haben sie aber nicht. Ich weiß nicht, ob die Protestschlange vor den menschlich besetzten Kassen lange erhalten bleibt, ich kann es nur hoffen.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
Ausgebildet an der Deutschen Journalistenschule. Interessiert sich dafür, was Menschen antreibt, sei es in Gerichtsprozessen oder in langen Interviews. Hat ein Sachbuch übers Warten geschrieben, "Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands", Chr.Links Verlag und eines übers Schlafen "Schlaf. 100 Seiten", Reclam. Im Februar 2025 ist ihr Erzählband "Frau Zilius legte ihr erstes Ei an einem Donnerstag" bei Schöffling erschienen.
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