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Abiturprüfung in Schleswig-HolsteinVom Gendern im Abi

Der Text unserer Kolumnistin wurde Teil einer Abiprüfung. Nicht wenigen gefiel das nicht. So war der Artikel gemeint.

Darf in Gendern oder nicht? Bei einer Abiturprüfung in Deutschland Foto: Daniel Reinhardt/dpa

L iebe Abiturientinnen und Abiturienten in Schleswig-Holstein, es tut mir leid. Ich wollte das nicht, ich habe das nicht kommen sehen. Hätte ich geahnt, dass ihr meinen Text eines Tages in der Deutsch-Abi-Klausur vorgelegt bekommt, hätte ich mich anders ausgedrückt. Als ich Abi machte, hatte man nur mit Texten von Gestorbenen zu tun, und außerdem war das dann höhere Literatur, keine Gebrauchsprosa mit Germanistikhintergrund.

Jetzt mailt Erik mir, mein „dummer Text“ „Sprache als Experiment“ von Februar 2021 sei „wirres Zeug“, und ergänzt: „Ich glaube Sie sollten vor dem Schreiben einen Schreibplan anfertigen, damit Sie strukturiert argumentieren können.“ Jule schreibt gemäßigter, aber ebenfalls deutlich verärgert, sie frage sich, „was denn genau ihre Aussage in diesem Artikel ist“.

Ich kann euren Zuschriften nicht entnehmen, was ihr selbst davon haltet, die Sprache zu politischen Zwecken zu verändern – zum Beispiel, denn davon handelte mein Beitrag, neue Schreib- und Sprechweisen zu entwickeln, um neben dem grammatikalisch herrschenden Maskulinum auch mehr Femininum und andere Geschlechtlichkeiten auftauchen zu lassen, kurz: zu „gendern“.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gerade las ich aber im Spiegel, dass Schleswig-Holstein zu den Bundesländern gehört, wo das Gendern im Abi als Fehler gezählt wird. Woanders wird es bloß angestrichen, gilt aber nicht als Fehler, oder es spielt auch gar keine Rolle. Ich kann mir also vorstellen, dass viele der Schleswig-Holsteiner AbiturientInnen (ich gendere ja gern taz-klassisch mit großem I) mit geschärfter Aufmerksamkeit für das Thema in die Klausuren gegangen sind. Womöglich dachten sie dann, ein taz-Text müsse auf jeden Fall eindeutig bei ­einem „Jawoll!“ zum Gendern herauskommen.

Das war aber gar nicht so. Denn der Text sollte in einer Zeit, da auch in der taz sehr mit Geschlechter- und anderen Identitätspolitiken gerungen wurde, ein paar Probleme beschreiben, die entstehen, wenn man den Sprachgebrauch politisch, also moralisch auflädt. Das Stück erschien auf einer Seite, die von taz-Interna handelt – für die besonders geneigte Leserschaft quasi.

Eine Abi-Aufgabenstellung ist ein Sprachmachtmittel

Eines der Hauptprobleme, das ich beim Gendern sah: dass es in dem Augenblick seinen Charakter verändert, da es zur Vorschrift oder Vorgabe wird. Es ist dann nicht mehr fortschrittlich, emanzipativ, provokant-normbrechend, vielleicht sogar lustig (was nie falsch ist!). Sondern es ist dann ja die Norm, kommt also „von oben“, unterliegt deshalb ganz anderen Rechtfertigungszwängen und wird nicht mehr unbedingt als befreiend und erst recht nicht mehr als lustig empfunden.

Es geht um Macht: In dem Augenblick, da das, was eben noch Widerstand war, zur Macht wird, muss es wiederum mit Widerstand – oder mindestens mit kritischen Rückfragen rechnen. Fortschritt ist oft widersprüchlich und kann sogar nach hinten losgehen.

Ist das vielleicht ein bisschen klarer? Es ist blöd, dass mein halbinterner Diskussionsbeitrag zum Thema „Vorsicht mit der Sprachmacht“ nun selbst zum Sprachmachtmittel geworden ist – denn nichts anderes ist ja eine Abi-Aufgabenstellung.

Ich sehe das mit dem Gendern übrigens immer noch so, finde die Lage aber entspannter als vor drei Jahren. Nach meinem Eindruck ist das Unbedingte aus der Debatte ein bisschen raus. Das klingt jetzt realitätsfern, schließlich versuchen CDU/CSU und die rechtsaußen sowieso weiterhin, daraus ein dickes Ding zu machen, denn sie haben keine eigenen Ideen zur Verbesserung der Welt. Doch kommt es mir vor, als verstünden genug Leute, dass sich die ganz große Empörung bei etwas derart Fluidem wie Sprache nicht lohnt.

Ich wünsche euch, dass ihr da alle gut durchkommt, durchs Abi und alles Weitere.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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14 Kommentare

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  • Ich bin zwar Leserin und keine Leser*in, aber ich spreche für sehr viele Leserinnen, nicht zu verwechseln mit Leser*innen. Letztere sind keine gleichwertigen Personen, da Frauen nur quantitativ und nicht qualitativ Gleichwertig genannt werden.

    Sprache hat Macht und schafft Bewusstsein.

    Mit Gendern führen wir die Gleichberechtigung ins Rollback, und schließen die große Gruppe (1/3) der Bevölkerung aus, die auf eine barrierearme Sprache angewiesen ist.

    Wir sollten bei behinderten Mitbürgern nicht nur an sichtbare Behinderungen denken, sondern auch den unsichtbaren Behinderungen keine zusätzlichen Barrieren aufbauen

    • @Mutter03:

      Was ist denn eine barrierearme Sprache?

  • Ich habe neulich gehört oder gelesen: Treffen sich 99 Frauen und ein Mann zum Singen, heißt es, der Chor besteht aus 100 Sängern.



    Für mich ist das Gendern alternativlos. Ich verwende beim Schreiben den Stern und wenn ich im Gespräch bin, verwende ich z. B. „Radfahrende“.

    • @Thomas Hoffmann:

      Mit "Radfahrende" haben Sie sich ja gleich das richtige Beispiel rausgesucht.

      "Tote Radfahrende" ist ein Lieblingslacher zu diesem Thema von jemandem in meinem persönlichen Umfeld.

      Es ist erstaunlich, dass man es gar nicht so selten liest.

      Offenbar erleben nicht wenige Skelette auf Fahrrädern.

      Ihr Chorbeispiel belegt gut, dass das generische Maskulinum nun mal keine Information zum Sexus enthält.

      Es hätten also im Prinzip auch 100 Frauen sein können.

      Das Gruppen-Logikproblem ihres Chorbeispiels geht übrigens auch mit Gendern.

      Eine taz-Überschrift lautete mal "Bundeskanzler:innenkandidat:innen".

      Wie viele Frauen erwarten Sie mindestens in der kandidierenden Gruppe?

      Erinnern Sie sich, wie viele es bei der letzten Wahl tatsächlich wahren?

      Gendern selbst geht auch nur mit Alternativen, um die Logikprobleme in den Griff zu kriegen.

      Das macht es so anstrengend.

      Übrigens war mal am Anfang als Ziel des Genderns formuliert worden, dass man ja eigentlich darauf hinarbeite, dass irgendwann Frauen so normal inkludiert sind, dass man es wieder abschaffen kann.

      Das Ideal war sozusagen Türkisch oder Englisch.

    • @Thomas Hoffmann:

      Für mich ist gendern absolut keine Alternative. Wir exkludieren die Menschen, die auf eine barrierearme Sprache angewiesen sind, wie viele Autisten, Legastheniker, Menschen mit Seheinschränkungen (nicht Blinde) Menschen mit kognitiven Einschränkungen, und unsere Ausländischen Mitbürger.

      Und wir reduzieren Frauen auf "was weibliches"

      Da werden Frauen nur Quantitativ und dann noch im negativen Kontext erwähnt statt qualitativ Gleichwertig im korrekten Femininum.

      Und Sprache hat Macht und schafft Bewusstsein.

      Die einzige Alternative ist das Binnen-I oder die Mehrfachnennung wie wir sie seit 1919 nutzen.

    • @Thomas Hoffmann:

      Ich denke immer alle mit. Wer mir das nicht glaubt, kann sich nie sicher sein. Ich habe mal gehört, es gebe Gestalten, die gendern und meinen das gar nicht so! Ein Skandal, wenn Sie mich fragen. Aber mich fragt ja keiner.

  • Luise Pusch mit ihren fast 80 Jahren hat kürzlich (April '23) in der TAZ alles Wichtige zum Gendern gesagt:

    ,, Allerdings habe nicht ich das Binnen-I erfunden, sondern ein Schweizer Journalist namens Christoph Busch. Aber ich habe es als kreative Lösung im gesamten deutschsprachigen Raum propagiert.

    Bis heute finde ich das Beharren von LinguistInnen nicht einleuchtend, warum das Deutsche sich auf das generische Maskulinum beschränken sollte. Dafür gibt es sprachwissenschaftlich keinen vernünftigen Grund außer dem, dass Frauen unsichtbar bleiben sollen. Für diesen Zweck ist das generische Maskulinum unübertroffen.



    ...

    Sprache ist ja immer im Wandel, es hängt an den Sprechpraxen, wie sich welches Neue durchsetzt.''

    ,,Jetzt alles mit Sternchen * und Gender-Gap _ beziehungsweise Glottisschlag?''

    ,,Ich plädiere erst einmal dafür, dass nichts wie bei einem Diktat vorgeschrieben wird. Sprache entwickelt sich, wie die deutsche Sprache seit Jahrhunderten auch.

    ...

    Eigentlich bin ich für eine Fusion aus Binnen-I und Genderstern, aber das lassen wir jetzt mal.

    Wichtig ist mir, dass das Sternchen nicht als Platzhalter interpretiert wird, wie beispielsweise in „Leser*innen“. Denn damit stünde das Maskulinum, hier „Leser“, für die Männer, das Sternchen für die Diversen, und danach die Endung „innen“ für uns Frauen. Das ist nicht einleuchtend, sondern kränkend.''

    taz.de/Die-Lobbyis...435&s=Luise+Pusch/

    • @gleicher als verschieden:

      Sprachwissenschaftlich gibt es natürlich einen vernünftigen Grund für das generische Maskulinum:



      In vielen Zusammenhängen interessiert das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität schlicht nicht.

      Zudem macht es das Formulieren anstrengender.

      Wortbinnenzeichen haben ihre Tücken und sind auch fehleranfällig.

      Beispiel:



      "Jüd_innen" enthält Frauen und Nonbinäre, aber keine männlich gelesenen Personen.

      Aber ein toller Effekt des Genderdiskurses ist die große Aufmerksamkeit, die die Linguistik auf ein Mal erfährt.

  • Mir ist das Gendern ziemlich egal, persönlich versuche ich Binnen I's und sowas zu vermeiden und trotzdem inklusiv zu schreiben.



    Wenn Sie aber nun wissen, dass Ihre Texte Teil von Prüfungen sein können, sollte sowas wie die Bildunterschrift vermieden werden:



    "Darf in Gendern oder nicht? Bei einer Abiturprüfung in Deutschland"



    Auch mit viel Wohlwollen verstehe ich nicht wofür das "in" steht, wieso gendern als Verb groß geschrieben wird, und ob der Teil nach dem Fragezeichen nun die Frage spezifiziert oder nur erklärt was oben drüber abgebildet wird.

    • @Jesus:

      Wenn man "in" durch "ich" ersetzt, wird zumindest eine sinnvolle Frage daraus.

    • @Jesus:

      Liggers “Als ich Abi machte…“. - wollte ich lübsch mal grad anheben!



      & Däh



      Der Salandinista legte viel schöner vor:



      "Darf in Gendern oder nicht? Bei einer Abiturprüfung in Deutschland"



      & erinnert mich -



      An Abitexte seinerzeit zu meiner Zeit!



      Und daß Deutschpauker - es waren viele ribergemacht aus dem Osten - des deutschen ähnlich ohnmächtig warn



      Sei nicht verschwiegen! Und so geschah es als ein Sachse - nein nicht Landpfleger im Herzogtum Lauenburg - aber Deutschpauker an der Lauenburgischen Gelehrtenschule Ratzeburg war!



      Abithemen wurden nur 1x verlesen! 🙀



      Er las:“Der Greis und seine Bedeutung in der Gesellschaft!“

      kurz - “Staunend liests der anbetroffne Chef.“

      unterm——wie in - is das denn! Woll



      Gendern oder Gendering (von englisch gender „[soziales] Geschlecht“: etwa „Vergeschlechtlichung“ oder „Vergeschlechtlichen“) ist eine eingedeutschte Wortbildung aus dem englischen Sprachraum und bezeichnet im allgemeinen Sinne die Berücksichtigung oder Analyse des Geschlechter-Aspekts in Bezug auf eine Grundgesamtheit von Personen oder Daten, etwa in Wissenschaft, Statistik und Lehre. Beispielsweise werden statistische Daten unterschieden in Angaben zu Frauen und zu Männern (vergleiche Gender-Data-Gap). Im besonderen Sinne steht das Gendern im Deutschen für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, der eine Gleichbehandlung der Geschlechter in der schriftlichen und gesprochenen Sprache zum Ausdruck bringen will. Dabei wird unterschieden zwischen zweigeschlechtlichen, binären Formen und mehrgeschlechtlichen Kurzformen mit Genderzeichen, die neben männlichen und weiblichen auch nichtbinäre, diversgeschlechtliche Personen ansprechen und einbeziehen wollen.

      Korf erwidert darauf kurz und rund:



      »Einer hohen Direktion



      stellt sich, laut persönlichem Befund,

      untig angefertigte Person



      als nichtexistent im Eigen-Sinn



      bürgerlicher Konvention

      vor und aus und zeichnet, wennschonhin



      mitbedauernd nebigen Betreff,



      Korf. (An die Bezirksbehörde in –)«

      Janning Korf Geschichte👎

    • @Jesus:

      ich tippe mal auf nen Rechtschreibfehler.



      Darf ich gendern oder nicht?

      Und bei Wörtern wie "Gendern" oder "gendern" frage ich mich oft, ob das jetzt als Teil des Satzes gesehen wird oder als Sachbegriff.



      Als Sachbegriff muss ich es dann natürlich gross schreiben.

      Ich selbst verwende gelegentlich das Sternchen im Schriftdeusch.



      (Hätte ich jetzt statt dessen " im schriftlichen oder im Schriftlichen" schreiben sollen?)

      Und mein Apell:

      Die Sprache braucht einfach mehr Offenheit.

      Gelegentlich kann man mit gewollten Schriftabweichungen etwas betonen oder entsprechend weniger hervorheben.

      Was mir persönlich viel mehr auf die Nerven geht sind so Sachen wie die falsche Verwendung des Dativs statt des Genitivs.

      Also "von dem Dativ" z.B.



      Oder diese mittlerweile kaum noch wegzubekommenden Unsitte der "vollsten" Zufriedenheit.

      Voll kann man nicht steigern, denn dann läuft es einfach über - und bleibt voll.

      • @Friderike Graebert:

        Aber die Rechtschreibfehler häufen sich galoppierend, bei den laufenden Texten unter Nachrichten z. B. schaut wohl keiner mehr genauer oder gar ein zweites Mal hin.

      • @Friderike Graebert:

        In Tippe auch auf Rechtschreibfehler? Bei einem Text zu Sprache aber irgendwie doof.



        Klar kann man das Gendern als Nomen verwenden, wird es aber in diesem Fall nicht.



        Gläser können schon unterschiedlich voll sein ohne überzulaufen.