Abhörskandal in Griechenland: Der Premier, dem niemand glaubt

Der Skandal um abgehörte Smartphones wird zum Desaster für Griechenlands Regierungschef Mitsotakis. Spätestens im Frühjahr stehen Wahlen an.

Portrait von Kyriakos Mitsotakis

Will nichts gewusst haben: Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis

ATHEN taz | Der seit Monaten schwelende Abhörskandal zieht in Griechenland immer weitere Kreise. Am Montag votierte das Parlament mit 142 Stimmen für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Alle fünf Oppositionsparteien – von der Kommunistischen Partei (KKE) über die linkssozialistische „Mera25“ unter Ex-Finanzminister Janis Varoufakis, die linke Syriza und die Pasok bis hin zu der nationalkonservativen „Griechischen Lösung“ – stimmten geschlossen dafür.

Der Hintergrund: Im Frühjahr war zunächst der Fall des Athener Wirtschaftsjournalisten Thanassis Koukakis bekannt geworden. Auf seinem Smartphone wurde die berühmt-berüchtigte Schnüffelsoftware Predator gefunden.

Den Vorwurf, hinter der Überwachung zu stecken, ließ die Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia (ND) lange an sich abperlen. Doch schließlich musste Geheimdienstchef Kontoleon vor einem Ausschuss des Parlaments schließlich einräumen, dass Koukakis’ Smartphone im Jahr 2020 tatsächlich von seiner Behörde überwacht worden sei.

Politisch wirklich ernst ist die Sache aber erst, seit die Regierung zugeben musste, dass auch das Smartphone des Europa-Abgeordneten und Chefs der oppositionellen Pasok-Sozialisten, Nikos Androulakis, überwacht worden war. Konkret sei Androulakis vom 14. September bis 14. Dezember 2021 ausgespäht worden.

Skandal verschiebt die politischen Sympathien

Griechenlands Regierungschef Mitsotakis musste sich am Freitag im Athener Parlament zu der heiklen Causa in einer von Syriza initiierten Debatte äußern. Mitsotakis mauerte. Wie schon zuvor behauptete er, von dem Lauschangriff auf Androulakis „nichts gewusst zu haben“. Doch das glaubt in Griechenland niemand. Schließlich hatte Mitsotakis den Geheimdienst EYP in einer seiner ersten Amtshandlungen unter seine direkte Kontrolle gestellt. Kontoleon wiederum war von Mitsotakis persönlich zum EYP-Chef ernannt worden.

Der Syriza-Europaabgeordnete Dimitris Papadimoulis will von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Anfrage nun wissen, „weshalb es von der Präsidentin der EU-Kommission bisher kein Statement dazu gibt, wie dies bereits von der Präsidentin des Europaparlaments erfolgt“ sei.

Papadimoulis weiß, dass der Lauschangriff auf seinen Kollegen eine gewaltige europäische Dimension birgt. Androulakis hat in Brüssel eine Fülle leitender Funktionen inne, unter anderem als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des Europaparlaments. Via Smartphone dürfte er mit vielen Kollegen im Europaparlament und der EU-Kommission eine intensive und vertrauliche Kommunikation geführt haben.

Den Lauschangriff auf sich will Androulakis allerdings zuerst parlamentarisch und in der Justiz in Griechenland ausrollen, um so bis zu den Wahlen im nächsten Jahr politisch den maximalen Nutzen daraus ziehen zu können. Denn der Skandal ist schon jetzt ein schwerer Schlag für Mitsotakis. Coronapandemie, Inflation oder Ukrai­nekrieg: Die Mega-Krisen seit Anfang 2020 kamen von außen und blieben innenpolitisch beherrschbar. Der Abhörskandal hingegen ist die erste hausgemachte Krise der Regierung Mitsotakis.

Schlechte Voraussetzungen für die Wahlen

Spätestens im Frühjahr 2023 haben in Hellas Neuwahlen stattzufinden. Politisch klug will die Pasok keine vorgezogenen Neuwahlen in Athen – im Gegensatz zu Syriza-Chef Tsipras, für den der Abhörskandal ein gefundenes Fressen ist.

In zwei jüngsten Umfragen in Athen erhält die ND in der Sonntagsfrage 32 beziehungsweise 31,4 Prozent. Im Vergleich zu den letzten Umfragen würde dies nur geringe Stimmenverluste für sie bedeuten. Ihr Stimmenanteil läge aber rund acht Prozentpunkte unter dem Ergebnis beim Wahltriumph im Juli 2019. Syriza könnte mit 23,5 beziehungsweise 25,1 Prozent rechnen.

Die Pasok käme auf einen Stimmenanteil von 12,3 beziehungsweise 12,1 Prozent – meilenweit entfernt von den 44 Prozent, die sie noch 2009 auf sich vereinen konnte. Der Abhörskandal gibt ihr ein wenig Rückenwind.

Für Mitsotakis ist die heikle Causa indes der Super-GAU. Denn von einer Koalition mit der ND will die Pasok samt ihrem Chef spätestens nach dem unsäglichen Lauschangriff nichts wissen. Bisher liebäugelte Mitsotakis primär mit der Pasok als künftigem Koalitionspartner, zumal eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze beim nächsten Urnengang wegen des dann geltenden Verhältniswahlrechts in weite Ferne gerückt ist. Tsipras und seine Syriza ist für Mitsotakis tabu.

Auch in der ND rumort es zusehends. Die Ex-Premiers Kostas Karamanlis und Antonis Samaras blieben der teils stürmischen Parlamentsdebatte am Freitag demonstrativ fern. Obendrein lassen derweil einzelne ND-Abgeordnete öffentlich kein gutes Haar am Mitsotakis’ Krisenmanagement im Abhörskandal.

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