Misstrauensvotum in Griechenland: Eine Sache der Demokratie

Die linke Opposition hat ein Misstrauensvotum gegen Griechenlands Ministerpräsidenten beantragt. Es gilt als sicher, dass die Mehrheit verfehlt wird.

Alexis Tsipras spricht vor dem Parlament

Alexis Tsipras spricht am Mittwoch im Parlament in Athen Foto: Louiza Vradi/reuters

ATHEN taz | Seine Intervention am Mittwochabend in der „Boule der Hellenen“, dem ehrwürdigen griechischen Parlament, dauerte genau 38 Minuten – und sie gipfelte in folgenden denkwürdigen Satz: „Das Parlament ist aufgerufen, eine Entscheidung zu treffen: Entweder ist es mit der Demokratie oder mit der Abkehr von ihr.“ Das sagte der Ex-Premier Alexis Tsipras, 48, Chef des Bündnisses der Radikalen Linken (Syriza). Seit Juli 2019 ist Tsipras der Athener Oppositionschef und mit diesen pathetischen Worten begründete er seinen Schritt, einen Misstrauensantrag gegen die konservative Regierung unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis zu stellen.

Der Anlass für Tsipras' Initiative ist der ominöse Athener Abhörskandal. Schon im Frühjahr des vorigen Jahres war zunächst der Fall eines Athener Wirtschaftsjournalisten bekannt geworden. Unterdessen haben griechische Investigativmedien nach und nach enthüllt, dass der griechische Geheimdienst EYP in der Ära Mitsotakis Lauschangriffe auf mehr als einhundert einheimische Politiker, Unternehmer, Medienschaffende, Kulturschaffende und Militärangehörige durchgeführt haben soll.

Das birgt enorme politische Brisanz. Premier Mitsotakis, 54, hatte die EYP in einer seiner Amtshandlungen unter seine direkte Kontrolle gestellt. Dennoch streitet er bis heute ab, irgendetwas von den Lauschangriffen gewusst zu haben. An einer Aufklärung hat Mitsotakis offenkundig keinerlei Interesse. Im Gegenteil: Mitsotakis und Co. blockieren, vertuschen, verwischen Spuren – zuallererst digitale Spuren.

Doch Tsipras ließ nicht locker. Er besuchte am Dienstag Christos Rammos, den Chef der unabhängigen Athener Datenschutzbehörde ADAE. Rammos hatte zuvor vergeblich versucht, im Abhörskandal das Athener Parlament über die Ergebnisse seiner Nachforschungen bei den Mobilfunkanbietern in Kenntnis zu setzen. Mitsotakis' Partei Nea Dimokratia (ND) hatte dies verhindert.

Zahl der amtlich bestätigten Lauschangriffe steigt auf zehn

Das 300 Abgeordnete umfassende griechische Parlament begann bereits am Mittwochabend mit der dreitägigen Debatte über das Misstrauensvotum, am Freitag findet dann die Abstimmung statt. Bereits im Januar vorigen Jahres war Tsipras mit einem Misstrauensvotum gegen die Regierung Mitsotakis gescheitert. Es gilt als sicher, dass er auch diesmal die Mehrheit von 151 Stimmen verfehlt, um die Regierung Mitsotakis zu stürzen.

Das weiß auch Tsipras. Zwar dürften alle fünf Athener Oppositionsparteien geschlossen dafür votieren, die Regierungspartei ND mit ihren 156 Abgeordneten aber dagegen. Tsipras' Kalkül ist es jedoch, im Endspurt vor den nächsten Wahlen das Interesse noch stärker auf Mitsotakis' „parastaatliche Machenschaften“ zu lenken.

Tsipras gab am Mittwochabend in seiner Parlamentsrede die ADAE-Ergebnisse bekannt. Ihm sei persönlich in schriftlicher Form bestätigt worden, dass der Geheimdienst EYP nachweislich Arbeitsminister Kostis Chatzidakis sowie fünf hochrangige Militärangehörige, darunter den Chef des Generalstabs der griechischen Streitkräfte, Konstantinos Floros, abgehört habe.

Nicht nur für Tsipras ist das ein handfester Skandal. Bereits zuvor hatte die ADAE das Abhören von vier Personen (zwei Athener Investigativreporter sowie zwei griechische Europaabgeordnete) nachweisen können. Damit hat sich die Zahl der amtlich bestätigten Lauschangriffe auf zehn erhöht.

Die Konservativen führen immer noch mit fünf Prozent

Premier Mitsotakis sieht das anders. Als Tsipras in Athen agierte, befand sich Mitsotakis demonstrativ auf Kreta und inspizierte Bauprojekte. Mitsotakis' Botschaft: „Lauschangriffe? Kein Thema! Mit mir geht es bergauf in Griechenland.“ Dem unter Mitsotakis blühenden Klientelismus, der ausufernden Vetternwirtschaft, Korruption, der sich häufenden Bereicherung von ND-Politikern sowie der Teuerung zum Trotz: Die ND führt laut Umfragen immer noch mit 5 Prozentpunkten und mehr vor Syriza. Für Mitsotakis und Co. ist das Wind in ihren Segeln.

Doch Tsipras gibt nicht auf. Seine Hoffnung ruht auf dem bei der nächsten Wahl geltenden Verhältniswahlrecht. Ein Bonus für den Erstplatzierten wie bei den letzten Urnengängen entfällt. Für die ND ist so das erneute Erreichen der absoluten Mehrheit der Mandate in weite Ferne gerückt. Das weiß auch Mitsotakis. Daher setzt er nicht auf den ersten, sondern auf einen möglichen zweiten Wahlgang. Denn dann gilt wieder ein Mandate-Bonus für den Erstplatzierten, der ihm ein alleiniges Weiterregieren zu Füßen der Akropolis ermöglichen könnte. Das ist Mitsotakis' erklärtes Ziel.

Dem will Tsipras einen Riegel vorschieben. Er setzt alles auf eine Regierungsbildung bereits nach der ersten Wahl. Der von Tsipras ausersehene Koalitionspartner sind die ehemals omnipotenten Pasok-Sozialisten. Ein von seinen politischen Gegnern gerne als Horrorszenario kolportiertes Bündnis mit der Linkspartei Mera25 unter Ex-Finanzminister Janis Varoufakis oder der Kommunistischen Partei (KKE) ist für Tsipras hingegen keine Option. Tsipras blickt gezielt auf die Mitte des politischen Spektrums, um in Athen abermals an die Macht zu kommen. Ihm kommt dabei zupass, dass einer der früh bestätigten Opfer im Athener Abhörskandal der Europaabgeordnete und Pasok-Chef Nikos Androulakis ist, ein erklärter Widersacher von Mitsotakis.

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