Abgeschaffte Verbeamtung in Berlin: Lehrer geben R2G Nachhilfe in Realität
Berlin ist das einzige Bundesland, das LehrerInnen nicht verbeamtet. Jetzt drohen Hunderte Lehrkräfte damit, davonlaufen.
Initiiert hatte die Unterschriftenaktion das Kollegium einer Grundschule im Stadtteil Schöneberg, andere Schulen griffen die Aktion auf. Eigentlich, betonten die Lehrerinnen bei der Übergabe, wollten sie ja gar nicht gehen. „Aber ich will mich verbeamten lassen, damit ich die gleichen Vorteile habe wie meine Kollegen in anderen Bundesländern“, sagte Lehrerin Maren Peters-Choi.
Alle anderen Länder verbeamten ihre PädagogInnen, Berlin nicht. Ein Wettbewerbsnachteil, sagt SPD-Bildungssenatorin Scheeres. Ihre Partei hatte zwar 2004 gemeinsam mit den Linken die Verbeamtung abgeschafft. Doch „nach Abwägung aller Vor- und Nachteile halte ich die Verbeamtung für sinnvoll, um voll ausgebildete Lehrkräfte halten zu können“, erklärt sie jetzt. Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte der taz: „Wir müssen einfach kapitulieren.“
Damit bringt die Berliner SPD die Koalitionspartner und die Gewerkschaften gegen sich auf. Die Verbeamtung sei „zutiefst unsolidarisch“, sagt Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. Immerhin entziehe man eine große Gruppe von GutverdienerInnen dem Solidarsystem. Die Gewerkschaft GEW warnt vor hohen Pensionslasten, die am Ende der Steuerzahler trägt: „Nach etwa 30 Jahren Dienstzeit und 20 Jahren Versorgungszeit kostet die verbeamtete Lehrkraft gegenüber einer tarifbeschäftigten Lehrkraft rund 200.000 Euro mehr“, sagt Tarifexperte Udo Mertens.
„Neue Gerechtigkeitslücke“
Die Linke sieht derweil eine „neue Gerechtigkeitslücke“. Denn von den rund 17.000 angestellten LehrerInnen können nach Schätzungen der GEW mindestens 6.000 nicht verbeamtet werden, weil sie entweder zu alt sind, zu krank oder QuereinsteigerInnen.
Ein starkes Argument ist aber der Fachkräftemangel. 80 Prozent der Berliner ReferendarInnen bewerben sich zwar auch für den Schuldienst in der Hauptstadt. Das heißt aber auch: 20 Prozent gehen weg, der Anteil der Quereinsteigenden wächst mit jeder Einstellungsrunde. Die Senatorin ist unter Druck: Die Verbeamtung ist die letzte Karte, die sie ziehen kann – tut sie es nicht, ist das den Berliner Eltern schwer zu vermitteln.
Raed Saleh, SPD-Fraktionschef
In Sachsen, lange Zeit auf einem Kurs mit Berlin, wird seit Februar wieder verbeamtet. Das dortige Kultusministerium teilt mit: Auch deshalb sei man wieder „konkurrenzfähig“. Allerdings stehen 124 Versetzungsanträgen aus anderen Bundesländern (davon immerhin vier aus Berlin) zum Schuljahresstart im August 42 Anträge von LehrerInnen gegenüber, die aus Sachsen wegwollen. Trotz Verbeamtung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?