Abgesagtes Theaterstück: Kulturkampf in Zwickau
Ein Theaterstück zu Sexualität und Queerness wurde nach rechter Hetze kurzfristig abgesagt. Lag es an den Kosten oder doch am politischen Druck?
„In der Schule habe ich etwas über Konsens gelernt, über diverse Genitalien, über Lust, über queeren Sex.“ So beginnt das Stück „LECKEN“ des freien Performancekollektivs „CHICKS*“. Die Performance soll Jugendliche ab 14 aufklären und sexuell weiterbilden. Dafür sitzen zwei Performer*innen mit dem Publikum in einem Stuhlkreis. Zuschauende halten grüne und rote Lichter in den Händen und beantworten damit die Fragen rund um Körper und Sexualität.
Zwischendurch laufen Popsongs über Oralsex, Menschen erzählen in Videos von ihren sexuellen Erfahrungen. Und konkret was zum Lernen gibt es auch: Die Performer*innen demonstrieren, wie man ein Lecktuch verwendet und führen es an ihren Armen oder am Hals aus.
Das Theaterstück wurde schon an vielen Orten aufgeführt, doch seit es inmitten einer Welle rechter Hetze kurzfristig für ein Festival abgesagt wurde, ist die Zukunft des Stücks fraglich. Eigentlich sollte es auf dem Theaterfestival „Wildwechsel“ für ostdeutsche Theaterkunst im September aufgeführt werden. Das Kollektiv war bereits im Frühjahr offiziell vom Festival eingeladen worden, welches dieses Jahr vom Theater Plauen-Zwickau ausgerichtet wird – dann zeichnete die Jugendjury die Inszenierung mit einem Ehrenpreis zum Festivalabschluss aus, obwohl sie gar nicht gezeigt wurde. Was war passiert?
Wenige Tage vor dem Festivalbeginn wurde dem Kollektiv abgesagt. Die Begründung des Theaters: Das Stück sei extrem kostenintensiv, es verursache einen Kostenunterschied von über fünfstelligen Beträgen im Vergleich zu anderen Produktionen und die Fördermittel seien vom Bund kurzfristig gestrichen worden. Auch andere Stücke wurden gestrichen, das Programm reduziert. Doch unklar ist, ob „LECKEN“ wirklich nur aus Kostengründen ausgeladen wurde, schließlich hatten rechte Kräfte schon länger gegen das Stück Stimmung gemacht.
Kontrovers diskutiert und ausverkauft
Von Beginn an wurde das Stück vor Ort kontrovers diskutiert, doch die Tickets für die drei geplanten Aufführungen waren schnell vergriffen. Nachdem aber das Festival sein Programm veröffentlicht hatte, tauchten immer mehr Hasskommentare auf der Facebook-Seite des Theaters und des Kollektivs auf. Rechtsextreme Gruppen wie die „Freien Sachsen“ und Der Dritte Weg riefen öffentlich dazu auf, Zuschauer*innen zu bedrängen und die Veranstaltung zu stören. Dabei wurden beispielsweise Begriffe wie „Frühsexualisierung“, „Regenbogenkult“ und „Schmutzdarbietungen“ verwendet.
Ein Zwickauer Stadtrat, zugleich Mitglied der rechtsextremen Freien Sachsen, stellte in einer Anfrage vom 23. 8. 23, die der taz vorliegt, der Oberbürgermeisterin Constance Arndt Fragen zur „Verwaltung von Steuergeldern und zum Jugendschutz“ im Zusammenhang mit dem Auftritt des queerfeministischen Kollektivs. Die Antwort der Oberbürgermeisterin, die der taz ebenfalls vorliegt, bezieht sich auf das pluralistische Kunstverständnis und den Schutzbereich der Kunstfreiheit laut Gesetzgebung, ohne ins Detail zu gehen. Auf Anfrage der taz betonte die Pressestelle der Stadt, sämtliche – auch verbale – Aggressionen würde sie entschieden verurteilen.
Wegen rechter Hetze ausgeladen?
Hat rechte Hetze zur Ausladung der queerfeministischen Gruppe geführt? Das Theater Plauen-Zwickau, das das Festival in diesem Jahr veranstaltet hat, verneint auf Anfrage.
„Das Theater hat sich erst im Frühjahr erfolgreich gegen ein Genderverbot durch den Zwickauer Stadtrat gewehrt, ist aktiv im Kampf gegen Rechts und wird sich zukünftig mit einem großen Projekt den Themen Queerness, Diversität, Empowerment und Antirassismus widmen.“ Rechtsradikale feiern die Streichung der Inszenierung trotzdem als ihren Erfolg. In der Telegram-Gruppe der „Freien Sachsen“, die über 150.000 Mitglieder hat, häufen sich Kommentare wie „Alles zum Schutz unserer Kinder.“ „Wir haben die Inszenierung von „LECKEN“ in jeder Form von Kommunikation verteidigt und ihre Wichtigkeit betont“, verteidigt sich indes das Theater Plauen-Zwickau.
Selbst unterfinanziert
Man sei selbst von Unterfinanzierung bedroht und bemühe sich seit Jahren, freie Theatergruppen zu unterstützen. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider, aus dessen Topf die Förderungen kommen, sagt auf Anfrage der taz, dass es keine inhaltlichen Gründe für die Kürzungen gebe, sondern dass die notwendigen Mittel „nicht rechtzeitig vor Projektbeginn sichergestellt werden“ konnten.
Karola Marsch, Mitglied des künstlerischen Leitungsteams der diesjährigen Festivalausgabe, bedauert die Absage und plädiert dafür, „Strukturen zu schaffen, die eine langfristige und wiederkehrende Förderung sichern“, um zukünftig ähnliche Situationen zu verhindern.
„Nicht ausreichend geschützt“
Für die Künstler*innen von CHICKS* spielt es letztlich keine Rolle, ob die Streichung aus formalen oder inhaltlichen Gründen im Haus oder aus Angst geschieht. „Das Ergebnis bleibt dasselbe“, so die Theaterschaffenden. „Eine angegriffene Gruppe wird nicht ausreichend geschützt. Ein fatales kulturpolitisches Zeichen.“ Bis heute sind sie in Verhandlungen mit dem Theater Plauen-Zwickau wegen der Aufarbeitung und den Ausfallhonoraren. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer.
Es finde eine „rechte Diskursverschiebung“ statt, sagen Anna Eitzeroth, Geschäftsführerin der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche ASSITEJ e. V. und Gabriela Mayungu, Diversitätsreferentin des Kinder- und Jugendtheaterzentrums KJTZ. „Geldgeber*innen sollten ihre Förderprogramme so gestalten, dass sie die gesellschaftspolitische Dimension von geförderten Projekten und Programmen berücksichtigen“, betonen sie.
CHICKS* ist ein Flinta-Kollektiv, das daran arbeitet, in der Schule vernachlässigte Fragen zu Sexualität, Queerness und Geschlecht zu beantworten. Und zwar nicht mit trockenen Schulbüchern, sondern mit performativem Theater. Sie selbst sagen dazu: „Lecken ist die Aufklärungsstunde unserer Träume.“
Doch die Absage ist ein Zeichen dafür, dass es um queere Kultur gerade in Sachsen schlecht bestellt ist. Mit Blick auf die große Zustimmung zur AfD dort könnte sich das Problem in Zukunft noch deutlich verschärfen.
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