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Abgesagte Reise nach IstanbulIstanbul kämpft ohne Kai Wegner

Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters hat Berlins Regierungschef seine Reise abgesagt. War das richtig? Die Berliner CHP meint: Nein.

Ekrem İmamoğlu und Kai Wegner beim Festakt der Städtepartnerschaft im Roten Rathaus Foto: IMAGO/Frank Gaeth

Berlin taz | Während die Bundespolitik herumdruckst, setzt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ein Zeichen. So jedenfalls ist die Presseerklärung zu lesen, die die Senatskanzlei am Mittwoch verschickt hat. „Angesichts der andauernden Inhaftierung meines Amtskollegen werde ich meine für Anfang April geplante Reise absagen“, kündigte Wegner an. Die Erklärung endet: „Solidarität mit Ekrem İmamoğlu“.

Ursprünglich wollte Wegner vom 7. bis zum 10. April mit einer Wirtschaftsdelegation nach Istanbul reisen. Mit der Metropole am Bosporus verbindet Berlin seit 1989 eine Städtepartnerschaft. Der vergangene Woche inhaftierte und kurz darauf abgesetzte Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der oppositionellen CHP hatte Berlin zuletzt im November besucht. Zuvor hatte er sich im Juni 2024 ins Goldene Buch der Stadt im Roten Rathaus eingetragen. Anlass war das 35-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft.

Dem Festakt war ein Neustart in den Beziehungen vorausgegangen. Denn in den Jahren vor İmamoğlu, als in Istanbul noch die AKP regierte, war die offizielle Partnerschaft fast eingeschlafen. „İmamoğlu aber hat sich von Anfang an um ein gutes Verhältnis zu seiner Geschwisterstadt Berlin, gekümmert“, sagt Christiane Zieger.

Zieger ist die Vorsitzende des Städtepartnervereins „Kadıköy e.V.“ und organisiert seit 1998 Begegnungen zwischen den Partnerbezirken Friedrichshain-Kreuzberg und dem auf der asiatischen Seite des Bosporus gelegenen Stadtteil Kadıköy in Istanbul. Eine ähnliche Partnerschaft unterhält Friedrichshain-Kreuzberg mit Stettin und dem Kyjiwer Stadtteil Darnyzja am linken Ufer des Dnipro.

Istanbul bleibt in CHP Hand

Aber ist die Absage politisch richtig? Am selben Tag, an dem das Rote Rathaus die Reise storniert hat, wählte der 314-köpfige Stadtrat von Istanbul einen Interimsbürgermeister. Als Sieger ging mit 177 Stimmen der CHP-Politiker Nuri Aslan hervor. Mit der Wahl wollte der Stadtrat der Gefahr einer Zwangsverwaltung durch die AKP zuvorkommen. In Städten im Osten der Türkei hat der türkische Präsident Erdoğan bereits mehrere gewählte Bürgermeister durch eigene Leute ersetzen lassen.

Eine Anfrage der taz zu dieser neuen Sachlage ließ das Rote Rathaus bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Christiane Zieger will die Absage der Reise dennoch nicht bewerten. Anders sieht das die Berliner CHP: „Mein Verein und ich erwarten von Kai Wegner, dass er sich seine Reisepläne noch einmal überlegt“, sagt Ziya Akçetin vom Verein „CHP Bund in Berlin“. Wegner habe sich bei İmamoğlus Besuch im letzten Jahr „äußerst gastfreundlich und kollegial“ gezeigt.

„Dass die Solidarität bei einer Presserklärung bleibt, ist nicht okay“, sagt Akçetin der taz. In der Türkei müsse gezeigt werden, dass Europa angesichts der Diktatur nicht schweigt. Dafür hätte Wegner auf seiner Reise ein Zeichen setzen können.

Ähnlich kritisch äußert sich Kenan Kolat. „Ob mit oder ohne Wirtschaftsdelegation, Kai Wegner hätte nach Istanbul fahren sollen“, sagt der ehemalige Vorsitzende des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Dort hätte man mit den Vertretern der CHP, der Opposition und der Regierung sprechen können. „Wir brauchen mehr klare Bekenntnisse von der deutschen Politik“, sagt Kolat. Ein weiteres Zeichen der Solidarität könne die Anstrahlung des Brandenburger Tors sein: „Freiheit für Ekrem İmamoğlu“ solle dort stehen. „Auch ein Besuch İmamoğlus im Gefängnis wäre ein starkes Signal gewesen“, so Kolat.

Am Donnerstag hat sich auch das Abgeordnetenhaus mit den Vorgängen in Berlins Partnerstadt beschäftigt. Zu Beginn des Plenums forderte Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) die sofortige Freilassung von Ekrem İmamoğlu. Seine Verhaftung erschüttere sie zutiefst. „Für mich ist ganz klar, Herr Ekrem İmamoğlu hat unsere volle Solidarität verdient.“

Als Parlamentspräsidentin wollte Seibeld Kai Wegner bei seiner Reise nach Istanbul begleiten. Die Absage der Reise begründete sie auch persönlich: „Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, die Städtepartnerschaft zu begehen, während der oberste demokratisch gewählte Repräsentant der Stadt wenige Kilometer entfernt in Haft sitzt“, so die Parlamentspräsidentin. „Ich hoffe aber inständig, dass dieses Treffen alsbald nachgeholt werden kann.“

Am Abend wollte das Parlament eine Resolution verabschieden. „Das Berliner Abgeordnetenhaus fordert eine umfassende und rechtsstaatliche Überprüfung der Anschuldigungen sowie der gesamten Vorgehensweise der türkischen Behörden“, heißt es darin. Grüne und Linke, die in einem eigenen Antrag zunächst die „Freilassung“ İmamoğlus gefordert haben, haben sich dem Antrag der Regierungsfraktionen CDU und SPD angeschlossen.

Dennoch will der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Carsten Schatz, mehr Druck machen. „Die Absage der Reise ist zwar richtig“, sagt Schatz. „Aber genauso wichtig ist es, die Kontakte mit der nach wie vor demokratisch gewählten Stadtregierung und der Zivilgesellschaft zu intensivieren.“

Auch Schatz fordert: „Eine Delegation aus Berlin kann İmamoğlu auch im Knast besuchen.“

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1 Kommentar

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  • „Eine Delegation aus Berlin kann İmamoğlu auch im Knast besuchen.“

    Kann ich mir nicht vorstellen.

    Nennt mich einen Pessimisten, aber ich glaube nicht, dass Erdoğan damit einverstanden ist.