Abgeordnetenhauswahl: Der Maschinist geht von Bord
Beim Abschiedspressegespräch des nicht mehr kandidierenden Grünen-Haushaltsexperten Jochen Esser kommt andächtige Stimmung auf

Bei Presseterminen mit Haushaltspolitikern gebe es immer nur Wasser und Brot, sagt Jochen Esser, und bei ihm habe es immer gar nichts gegeben. Dass das an diesem Dienstagmorgen im Raum 275 des Abgeordnetenhauses mit Schnittchen und Schoko-Croissants anders ist, liegt daran, dass der 64-jährige Grüne bald kein Haushaltspolitiker mehr ist. Und auch kein Abgeordneter, kein Schattenfinanzsenator und kein lautstarker Zwischenrufer in Plenarsitzungen: Esser kandidiert bei der Parlamentswahl im September nicht mehr, auch ein Regierungsamt will er nicht übernehmen, falls die Grünen danach im Senat sitzen.
Wenn er wüsste, dass er 90 werde, würde er vielleicht noch fünf Jahre weitermachen, auch nach jetzt schon 17 Jahren im Parlament. Aber wenn er nur 70 werde? Nein, er wolle noch mal was anderes machen. Weltreise? Vorsitz von irgendwas? Was macht dieser – im besten Sinne des Wortes – Politjunkie mit Freizeit nach all den langen Tagen zwischen Zahlen und Haushaltsposten? Es ist viel bescheidener: Immer habe die Politik keine oder zu wenig Zeit für seine andere große Liebe gelassen, die Literatur – „ich wünsche mir so sehr, dass es mal anders ist, ehe ich in die Kiste steige.“
Das ist dann der Moment, in dem es fast andächtig wird in Raum 275. Esser hat über die Jahre durchaus mal genervt mit arg langen Ausführungen, und auch an diesem Morgen schiebt ihm der Fraktionspressesprecher einen Zettel mit einem doppelt unterstrichenen „kurz“ rüber. Doch viel mehr hat er immer wieder mit seiner Klugheit und Kenntnis brilliert. Nie hatte Esser ein Regierungsamt, nur einmal waren die Grünen zu seiner Zeit kurz im Senat. Fraktionsvorsitz, das hätten andere besser gekonnt, sein Job sei im Maschinenraum der Politik, sagt er – „irgendwer muss den Kessel am Kochen halten.“ Mal schauen, wer das künftig macht.
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