Abgeordnetenhaus: Nicht alles klar bei Rot-Rot-Grün
Linke und Grüne verweigern dem Fraktionschef der SPD zeitweise den Applaus. Den bekommt Raed Saleh stattdessen von der Opposition – auch von der AfD
Eine zeitgemäße Videoüberwachung fordert der Redner im Abgeordnetenhaus vom Senat. Gefährder müssten sofort abgeschoben werden. Radikale Gruppen dürften in der Stadt nicht unbehelligt bleiben, sagt der Mann – „wir müssen diese Brutzellen des Terrors verbieten, und zwar besser heute als morgen“. Und wenn an einem Ort täglich Dutzende Intensivtäter zusammenkämen, sei das nicht hinzunehmen. Viel Applaus erhält er dafür von CDU, AfD und FDP, etwas weniger von der SPD – und keinen von Linken und Grünen. Dabei redet da dem Parteibuch nach kein Rechter: All das sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh.
Der, den man instinktiv eher hinter diesen Worten vermutet hätte, tritt erst nach Saleh ans Mikro: Bei 90 Prozent der Rede habe er den Beifall der Linken vermisst, sagt AfD-Fraktionschef Georg Pazderski, „da sehe ich erste Spaltungstendenzen“. Es gibt zwar auch Stellen, an denen die rot-rot-grüne Koalition Saleh geschlossen beklatscht, aber im Kern ist Pazderskis Einschätzung nicht falsch. Es liegen Welten zwischen dem, was von Saleh zu hören ist, und dem, was Linksfraktionschefin Carola Bluhm wenig später sagt.
Man könne nicht so tun, als ob Flüchtlingspolitik nichts mit Sicherheitspolitik zu tun habe, findet Saleh. Er will differenzieren, zwischen wenigen unter den Flüchtlingen, die hiesige Werte missachten würden, und „den vielen Anständigen“. Aber er spricht auch von „offensichtlichem Kontrollverlust“ und dass „wir doch wissen müssen, wer sich in unserem Land aufhält“. Bluhm hingegen sagt: „Eine Verschärfung der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist mit uns nicht zu machen.“
Richtlinien der Politik
Der Tagesordnung nach geht es an diesem Vormittag um die Richtlinien der künftigen Senatspolitik, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) laut Landesverfassung hier vom Parlament absegnen lassen muss. Doch was der zum Auftakt der dreistündigen Debatte sagte, gerät weitgehend in Vergessenheit nach Salehs Worten. In eher ruhiger als mitreißender Weise hat Müller Schulsanierung und Wohnungsbau als Schwerpunkte genannt, hat aber auch das in der Senatsklausur am Montag beschlossene und nun von Saleh attackierte Sicherheitspaket verteidigt. Der Beschluss bietet aus Müllers Sicht sehr wohl vielfältige Möglichkeiten zeitweiliger Videoüberwachung.
Der Regierungschef müht sich vorauseilend darum, den Vorwurf zu widerlegen, Rot-Rot-Grün bediene vor allem Minderheiten und die eigene Klientel: Die Koalition werde zwar nur von der Hälfte der Berliner getragen, „es ist aber unser Anspruch, auch für die anderen 50 Prozent da zu sein“. Der Senat habe alle im Blick, sagt Müller, Busfahrer, Krankenschwestern, Polizisten, die er als „Leistungsträger der Stadt“ zusammenfasst, „aber auch die, die Zuwendung brauchen“.
AfD-Chef Pazderski wirft der Koalition tatsächlich wie von Müller erwartet vor, Randgruppen zu bevorzugen. „Wir haben nichts gegen Transgender-Personen, Vegetarier, Veganer oder gar Radfahrer“, sagt der AfD-Mann, „aber wir haben etwas dagegen, wenn Minderheiten der Mehrheit ihre Lebensweise diktieren wollen.“ Zumindest bei den Radfahrern hat er da Saleh an seiner Seite: „Die SPD-Fraktion wird einer Politik entgegen tehen, die sich gegen Autofahrer richtet“, versichert der.
CDU-Fraktionschef Florian Graf geht in eine ähnliche Richtung wie Pazderski, wirft dem rot-rot-grünen Senat gleichfalls vor, sich nicht mit den zentralen Themen zu beschäftigen. In Anspielung auf eine der ersten Vorlagen aus der seit Dezember grün-geführten Senatsverwaltung für Justiz sagt er: „Sie werden mit Unisex-Toiletten im Kampf gegen den Terror nicht bestehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden