Abfallentsorgung in Deutschland: Wie bio ist die Ökotüte?
Die einen nennen es stolz einen neuen „biourbanen Kunststoff“. Die anderen sehen die Ökotüte und ihre Entsorgung in der Biotonne eher skeptisch.
BERLIN dpa | Die EU-Norm EN 13432 wird das Leben von Millionen Verbrauchern in Deutschland erleichtern. Meinen zumindest die Hersteller von neuartigen Biokunststoff-Mülltüten. Da ab Anfang 2015 Biomüll bundesweit getrennt gesammelt werden muss, versprechen diese Ökobeutel ein lukratives Millionengeschäft. Die EU-Norm legt fest, wie weit Ökomülltüten sich zersetzen und kompostierbar sein müssen. Die Beutel sollen helfen bei einer unkomplizierten Entsorgung von Apfel- und Möhrenschalen, Essensresten oder vergammelten Tomaten.
Und sie verhindern Geruch oder Schimmelbildung, heißt es. Aber sie entwickeln sich zum Streitpunkt zwischen Unternehmen wie BASF und der Entsorgungsbranche. Bisher wird das Marktvolumen für kompostierbare Biobeutel in Deutschland auf unter 10.000 Tonnen im Jahr geschätzt.
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht vor, dass Bioabfälle „spätestens ab dem 1. Januar 2015 getrennt zu sammeln“ sind. Laut Bundesumweltministerium haben von den rund 400 Stadt- und Landkreisen etwa 60 Kreise noch keine Biotonne eingeführt. Zudem landeten bisher 70 Kilo an Gemüse-, Obst- und Essensresten pro Einwohner und Jahr noch im Hausmüll, schätzt Michael Kern vom Witzenhausen-Institut für Abfall, Umwelt und Energie. Das seien vier bis fünf Millionen Tonnen. Er schätzt, dass in der Realität bisher ohnehin nur rund „die Hälfte aller Einwohner der Bundesrepublik an eine Biotonne angeschlossen sind.“ Da schlummert also ein gewaltiges Potenzial.
Jens Hamprecht von BASF als einem der größten Biotüten-Produzenten spricht vom neuen „biourbanen Kunststoff“. Der Nutzen des Produkts sei zum Beispiel, dass zwei Kilo Speiseabfall, die sonst im Restmüll landen, gesammelt und wiederverwertet werden können. Sozusagen eine positive Lenkung des Verbraucherverhaltens – zur stärkeren Verwertung dieser Abfälle in Biogasanlagen oder für den Gartenbau. Hauptsächlich werden die Biotonneninhalte zu Dünger verarbeitet.
20 Prozent mehr Bioabfälle
Und: So landen keine Plastikbeutel mehr in der Tonne, die mühsam rausgesucht werden müssen. BASF hat in Ludwigshafen eine Anlage mit einer Jahreskapazität von 74.000 Tonnen kompostierbaren Kunststoffen. In Berlin wurden bei einem Modellversuch an 21.000 Haushalte solche Beutel verteilt, schon seien 20 Prozent mehr Bioabfälle eingesammelt worden, so Hamprecht.
Baumzweige, Blumen, Grasschnitt, Brotreste, Eierschalen, Fischreste, Gemüsereste, Kartoffelschalen, Salatreste, Käsereste, Kaffee-Filtertüten, Kaffeesatz, Milchproduktreste (keine Milch), Nussschalen, Obstschalen, Speisereste (roh, gekocht, verdorben), Teebeutel, Verpackungen aus gekennzeichneten biologisch abbaubaren Kunststoffen, Federn, Haare, Holzwolle und Sägespäne, aber nur von unbehandeltem Holz. Nicht hinein dürfen in die Tonne unter anderem Asche, Blumentöpfe, Plastikbeutel, Papier und Staubsaugerbeutel (Angaben gemäß der deutschen Bioabfallverordnung).
In Prenzlauer Berg soll der Plastiktütenanteil in der Biotonne dank der Ökobeutel von 19 auf sieben Prozent gesunken sein. Wie es sich gehört, gibt es nun auch einen Lobbyverband für die Biotüte. Man setze sich dafür ein, „dass die Bioabfallsammlung in Deutschland flächendeckend umgesetzt und durch kompostierbare Bioabfallbeutel erleichtert wird“, so der Vorsitzende Jens Boggel.
Für die Herstellung wird biologisch abbaubarer Polyester verwandt, gemischt mit Maisstärke, Zellulose und Polymilchsäure. Die EU-Norm fordert eine Zersetzung von 90 Prozent der Tüte in Bestandteile, die kleiner als zwei Millimeter sind, binnen zwölf Wochen. „Das hat nur logistische Vorteile“, betont hingegen Helge Wendenburg, Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft im Bundesumweltministerium mit Blick auf den Mieter in der Großstadt, der fünf Stockwerke den Müll runter zur Tonne tragen muss. Aber zur Wiederverwertung von Bioabfällen etwa als Dünger würden die Biokunststoffe keinen positiven Beitrag leisten.
Kein einwandfreier Kompost
Besonders kritisch sieht zum Beispiel Aloys Oechtering, Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft Kompost, die Biokunststofftüten. Er arbeitet für das Entsorgungsunternehmen Remondis und sagt zu der angeblichen guten Kompostierbarkeit und ökologisch einwandfreien Zersetzung: „Das ist die Theorie.“ Oft finde sich noch ein Rest im Kompost, man habe aber eine Produktverantwortung für einwandfreien Dünger. „Wenn es nicht abgebaut wird, müssen wir es raussuchen. Der Entsorgungsweg Biotonne ist für diese Stoffe nicht der richtige Weg“, erläuterte er jüngst beim Forum Technikjournalismus (FTJ) in Berlin.
In Deutschland ist Bio zum Synonym für gut geworden – doch es gibt Zweifel, ob Biokunststoffe wirklich die Umwelt schützen. Rewe nahm 2012 angeblich biologisch abbaubare Tüten aus dem Sortiment. Die Umwelthilfe kritisierte, die überteuerten Tüten seien mit gängigen Verfahren nicht kompostierbar. Zudem wird vor neuen Mais-Einöden wegen des Stärkebedarfs gewarnt.
Wendenburg betont mit Blick auf Biokunststoffmüllbeutel, dass sich die Stoffe ohnehin nur bei einer bestimmten Wärmeentwicklung in Kompostieranlagen und einer längeren Verweildauer zersetzen. „Wenn Sie die Tüte in den Wald oder ins Meer schmeißen, passiert gar nichts“, sagt er. „Das verrottet nicht.“
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