piwik no script img

Ab ins HeimDoch wieder Kinderknast

Nach einem Jahr Pause wird wieder ein Jugendlicher aus Hamburg in Brandenburg geschlossen untergebracht. Verantwortlich ist das Familieninterventionsteam.

Hof einer geschlossenen Unterbringung in Niedersachsen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Hamburg hat wieder einen Jungen in einem geschlossenen Heim untergebracht, das geht aus einer Anfrage der Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) hervor. Es habe im Jahr 2015 „bisher eine Unterbringung in einer Einrichtung des Trägers EJF – Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk“ gegeben, schreibt der Senat. Noch im Januar hatte der Senat auf eine Frage der FDP, wie viele Minderjährige in ein geschlossenes Heim kamen, für 2014 und 2015 mit Null geantwortet.

Das EJF ist eine gemeinnützige AG, die verschiedenste soziale Einrichtungen in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Polen und Tschechien betreibt. "Wir haben in der Uckermark eine Einrichtung, in der auch Verschluss möglich ist", sagte Sprecherin Julie von Stülpnagel. Auch in Bayern gebe es eine. Es gebe dort keine Zäune und Mauern, das Konzept sehe aber vor, dass man Jugendliche zeitweise einschließt, sagte die Sprecherin. Auch gebe es einen Time-Out-Raum.

Der Träger hatte laut einem Bericht der Evangelischen Presseagentur (epd) im Oktober 2013 die Erweiterung einer bestehenden geschlossenen Einrichtung in Brandenburg geplant, als sich die Schließung der dortigen Haasenburg-Heime abzeichnete. Diese Erweiterungspläne wurden allerdings nicht realisiert, wie der Sprecher des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, Florian Engels, berichtet.

Bei der bestehenden Einrichtung handelt es sich um „intensivpädagogisch-therapeutische Wohngruppen“ für männliche Jugendliche ab 14 Jahren, schrieb epd. Dort würden junge Menschen, die sich selbst oder andere gefährdeten, durch geschlossene Türen und Fenster sowie „Festhalten“ daran gehindert, sich der Betreuung zu entziehen, sagte seinerzeit EJF-Vorstandsmitglied Norbert Schweers. Dies sei aber nur die Ultima Ratio: „Die Anwendung dieser Maßnahmen erfolgt so kurz wie möglich.“ In der Einrichtung sei es möglich, die Freiheit „vorübergehend einzuschränken, wenn die Situation es erfordert“, sagte auch Behördensprecher Marcel Schweitzer.

Zu viele leben auswärts

Auch die offene Unterbringung außerhalb der Stadt steht in der Kritik. Denn die Hälfte aller Hamburger Kinder und Jugendlichen, die nicht bei ihren Familien sind, leben in anderen Bundesländern.

Der Plan des früheren Senats, diesen Anteil zu senken, schlug fehl. Lebten 2008 noch rund 1.000 Kinder außerhalb der Stadt, sind es 2015 schon 1.247.

Auswärtige Unterbringung sei im Einzelfall geeignet, als Regel aber problematisch, kritisiert die Linke und fordert, dass die Stadt mehr Immobilien für Wohngruppen zur Verfügung stellt.

Die Sozialbehörde versichert, der Ausbau von Plätzen in Hamburg werde "mit hoher Priorität vorangetrieben". Die Notwendigkeit, unbegleitete jugendliche Flüchtlinge unterzubringen, mache aber die Sache nicht leichter.

Sabine Boeddinghaus erfüllt diese neue Einweisung mit Sorge. „Aus unserer Sicht ist jede Maßnahme dieser Art eine zu viel. Sie ist keine Lösung.“

Auch die Grünen lehnen geschlossene Heime ab. Sie einigten sich bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD darauf, dass Hamburg Gespräche mit anderen Bundesländern über eine geschlossene Einrichtung „mit kleiner einstelliger Platzzahl“ führt. Zugleich soll die seit April 2014 eingerichtete Koordinierungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zur Vermeidung von geschlossener Unterbringung finanziell und personell verstärkt werden. „Das sollte der Senat nun zügig tun“, mahnte Boeddinghaus.

Außerdem beantragt die Linke im Jugendhilfeausschuss Harburg jetzt eine Anhörung, um über die „erfolgreiche Arbeit der Koordinierungsstelle zu berichten“, wie der Bezirkspolitiker Florian Muhl sagte. Besagte Stelle hat bisher 24 Fälle beraten, und bereits für 14 Jugendliche eine alternative Lösung gefunden.

Der Fall des nun in Brandenburg untergebrachten Jungen, bei dem es sich nicht um einen Flüchtling handelt, wurde laut Behörde dort nicht besprochen. Der Junge wird vom Familieninterventionsteam (FIT) betreut, einem Jugendamt, das 2003 speziell für delinquente Jugendliche eingerichtet wurde und schon für viele Heimeinweisungen verantwortlich war.

*Dieser Text wurde aktualisiert. In einer ersten Version fehlte im dritten Absatz die Aussage des Bildungsministeriums.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare