ARD-Serie „The Next Level“: Ein Level zu weit
Eine US-amerikanische Touristin stirbt im Berliner Club Berghain an einer Überdosis. Eine wahre Geschichte, die jetzt fiktionalisiert wurde.
Journalist_innen sind witzlose Menschen. Sie gucken geplagt, sagen Dinge wie „Die Story lässt mich nicht los“, rauchen Kette, schreiben den Namen eines Protagonisten fett auf Papier, umkringeln ihn dreimal und starren ihn mit Kopf in den Händen an, als könnte er einem verraten, wie die Recherche bloß weitergeht. Das wollen Darstellungen in Film und Fernsehen einem zumindest weismachen.
Dieses mystifizierte Ideal der gequälten Journalistin findet sich auch in der neuen ARD-Serie „The Next Level“. Rosa Bernhard (Lisa Vicari) ist Reporterin und auf der Suche nach dem Kern ihrer Geschichte. Die handelt von Josh (Ben Lloyd-Hughes) und Zofia (Jenny Walser) aus New York, die am Ende ihrer Hochzeitsweltreise in Berlin landen, um in einem Technoclub namens „Reaktor“ zu feiern.
Um dort das „next Level“, die nächste Stufe zu erreichen. Als Zofia ein Level zu weit geht und statt einer gleich zwei Ecstasy-Pillen nimmt, dauert es nicht lang, bis sie mit Schaum vorm Mund und schwitzend irgendwo Backstage landet und mit dem Tod ringt. Ein paar Stunden später stirbt sie im Krankenhaus. Zufällig ist Rosa auch dort, trifft Josh und begleitet ihn in den nächsten Tagen in Berlin. Sie will über den Tod berichten.
Wahre Begebenheiten, die der Journalist Alexander Osang 2018 in einer Spiegel-Reportage aufschrieb, inspirierten die Serie. Die Unterschiede zur obigen Zusammenfassung: Josh und Zofia waren bereits vier Jahre verheiratet, heißen eigentlich Carlo und Jenifer und der Club nicht „Reaktor“, sondern „Berghain“.
Manches detailgetreu, manches pure Fiktion
Osang schrieb nicht nur für den Spiegel darüber, sondern auch das Drehbuch für die Serie (zum Teil zusammen mit Ipek Zübert), Rosa ist sein Alter-Ego. Fiktion ist dabei der Immobilienmogul Bodo Brenner (Jens Harzer), der paradoxerweise der guten alten DDR hinterhertrauert, ähnlich wie Rosas suizidale Mutter (Michaela Winterstein). Beide verstricken sich in Rosas Leben und in ihre Recherche.
Die Serie übernimmt auch viele Details, die sich tatsächlich genau so abgespielt haben; etwa das Foto, das das Paar noch aus der Berghain-Schlange an einen Freund schickt, um ihr „bestes gelangweiltes Gesicht“ unter Beweis zu stellen – das soll die Chancen beim Türsteher erhöhen. Oder wie der ihnen das Ecstasy abnahm und im Club dann neues besorgt werden musste.
Ein Spiegel-Autor, der fiktionale Elemente zu seinen Geschichten dazu erfindet? Das gibt es nicht zum ersten Mal. Und ist bei einer Serie natürlich vollkommen in Ordnung. Denkt man allerdings an den realen Witwer, wirken manche Dazudichtungen unangemessen.
Etwa als Joshs Eltern zu faul sind, um für Zofias Einäscherung nach Deutschland zu kommen (in echt kamen sie); oder auch dann, wenn an der Liebe zwischen ihm und seiner Frau gezweifelt wird, ja sogar eine heimliche Affäre impliziert wird.
Mal wieder ein erfundenes Berlin
Das macht auch der Disclaimer zu Beginn, dass es sich um eine „fiktionale Geschichte“ handle, nicht wieder gut. Auf den Disclaimer beruft sich auch die Produktionsfirma auf Anfrage der taz: „Alle Figuren sind erfunden, alles, was sie sagen und tun, ist Fiktion.“
Etwas Fiktionales hat auch die Stadt. Denn Berlin wird in der Serie zu einer zweifachen Projektionsfläche. Einerseits für diejenigen, die sich dort vergessen wollen; für sie ist Berlin ein hedonistischer Mikrokosmos, der „Tanz auf dem Vulkan“, schreibt Osang.
Andererseits für DDR-Nostalgiker, die daran hängen, was vom Osten übrigblieb und bisher nicht weggentrifiziert wurde. Und die Realität? Verdreckte Straßen, heruntergekommene Häuser, kleine vollgestellte Wohnungen, ranzige Hostels, verqualmte Eckkneipen.
Und dann ist da natürlich noch die Metaprojektion für Zuschauende: die der enigmatischen Reporterin. Trotz oder wegen alldem ist „The Next Level“ eine gelungene Serie, mit Cliffhangern, die ihren Zweck erfüllen, tollen Szenen eines verruchten Berlins und einem super Soundtrack. Und nebenbei auch wirklich spannend.
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