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ARD-Serie „Marzahn, mon amour“Auf Augenhöhe mit dem Hornhauthobel

Den Bestseller-Roman „Marzahn, mon amour“ gibt es jetzt als Serie. Im Zentrum steht die Fußpflegerin Kathi in der Berliner Plattenbausiedung Marzahn.

Die Drei Ladys aus dem Beauty Salon Foto: Foto: Oliver Vaccaro/UFA Fiction/ARD

Fußpflege, echt jetzt? Schriftstellerin Kathi Grabowski (Jördis Triebel) steckt in einer Lebenskrise. Ihr Mann hat sie und die fast erwachsene Tochter verlassen; in ihrer Wohnung sind Lücken zu sehen, denn er hat Möbelstücke mitgekommen. Und Kathis Karriere stagniert, die Mittvierzigerin wagt deshalb einen Neuanfang. Sie schult um und heuert in der „Beauty Oase Marzahn“ an. In dem Ortsteil im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf lebt sie auch.

Heute ist Marzahn, einst die größte Großsiedlung der DDR (und damals noch ein eigenständiger Stadtbezirk) zum Klischee geronnen. Marzahn hat keinen guten Ruf: alles Platte, alles Beton, keine Lebensqualität. Die ARD-Serie „Marzahn, mon amour“ räumt damit auf. Regie-Shootingstar Clara Zoë My-Linh von Arnim, bekannt durch die Grimme-Preis gewürdigte Erfolgsserie „Die Zweiflers“ (in der ARD-Mediathek), hat den autofiktionalen Bestseller von Katja Oskamp verfilmt.

Der Schönheitssalon mit Pedi- und Maniküre wird von der pragmatischen Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) und der künstlerisch veranlagten Lulu Moll (Deborah Kaufmann) geschmissen. Schnell ist Kathi klar, dass es hier um mehr geht als um Nägel schneiden und Hornhaut hobeln. Es geht um die Leute, die zu DDR-Zeiten in ihren jungen Jahren hergezogen sind. Lange her. Nun sind sie alle alt – und spezielle Charaktere.

Gleich in der ersten Folge wird Kathi auf die Probe gestellt, denn sie kennt den Stammkunden Herrn Schimke von früher und hat keine guten Erinnerungen an den Nachbarn von einst. Der alte Zausel tritt in Stasi-Manier und arg herablassend auf, Hermann Beyer spielt den alten SED-Parteibonzen grandios. Doch Kathi überwindet sich, behandelt seine Füße und sozusagen den gesamten Menschen, weil sie zuhört, nachfragt, ja geradezu nachbohrt, und Empathie zeigt, dabei authentisch in all ihrer Skepsis bleibt. Gesunder Menschenverstand eben. So kommt heraus, dass Herr Schimke eine durch die Wende gebrochene Biografie hat (wie so viele Ostler) und einsam ist.

Die einzelnen Erzählsequenzen innerhalb der knapp 25-minütigen Folgen werden von sekundenlangen Miniaturen unterbrochen. Sie zeigen die Vielfalt Marzahns: Da sitzen zwei alte Herren im Freien bei einer Partie Schach unter einem Baum und trinken ein Bier dabei. Da singt ein Straßenmusiker zur Titelmelodie von „Titanic“ vor einem großen Einkaufscenter. Ein paar coole Jungs rappen und nehmen ein Tiktok-Video auf, Mädchen tanzen auf einem Dach in einer Choreografie. Und immer wieder sind menschenleere große Plätze oder weitläufige Wiesen und viele Bäume zu sehen. Ja, Marzahn ist ein sehr grüner Ortsteil von Berlin mit viel Abstand zwischen den Hochhäusern. Zur Erinnerung: Bauland war in der DDR spottbillig, man konnte luftig planen und bauen.

Jede der sechs Folgen wird von einer anderen Geschichte getragen. Oft geht es traurig zu, manchmal amüsant, und oft lebensklug. Auch Kathis Sorgen und Nöte und die ihrer vietnamesischstämmigen Chefin sind Teil der Story. Immer wieder geht es zum Beispiel ums Geld, nur selten um die Liebe. Und immer wieder wird mit Versatzstücken kollektiver Erinnerungen Made in GDR gearbeitet. Ach, und die Riege von alten, bekannten Ost­schau­spie­le­r:in­nen ist famos.

Die Schicksale der alten Menschen berühren, weil Kathi mit ihrer einfühlsamen Art hinter deren Fassade blicken kann und sie berührt – ja auch im wahrsten Sinne – und sie zum Reden bringt. Das wird mittels eines einfachen wie genialen Tricks visuell verdeutlicht: Die Damen und Herren sitzen für die Pediküre auf einem bequemen Sessel, der sich hoch- und runterfahren lässt. So muss sie sich nicht nach den Füßen bücken. Man könnte aber auch sagen, dass die Fußpflegerin den Menschen in Marzahn auf Augenhöhe begegnet.

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2 Kommentare

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  • Ich habe das Buch gelesen und jetzt alle Folgen angesehen. Einfühlsame Erzählung, gut gespielt mit ruhiger Kameraführung. Die Schicksale sind aber nicht typisch Marzahn (bis auf den Stasi-Ex vielleicht) sondern gibt es überall. Einfach toll, diese tollen, wichtigen und vergleichsweise schlechten bezahlten Berufe (Frisör:innen gehören auch dazu) so im Virdergrund zu sehen.

  • Danke für diese sehr schöne Kritik. Ich finde diese filmische Umsetzung auch sehr gut, sehr berührend: Es gelingt hier, an jene Augenblicke im Alltag zu erinnern, in denen Menschen sich von ihrer verletzlichen, gefühlsbegabten Seite zeigen. Wenn Hermann Beyer, Kunde in der "Pediküre", den Bruch mit der Turnkollegin, Kundin in der "Maniküre", durch Schließung der Tür zum kleinen "Maniküre"-Zimmer bekräftigt, hat das den Ernst einer echten Krise. Aber dann öffnet er ja wieder die Tür zur Turnhalle und die Gruppe betätigt ebenso gemeinsam wie individuell auch jene Körperzonen, die in der "Beauty Oase" Gegenstand der Pflege sind. Diese wunderbaren Schauspieler*innen, die grandiose Regisseurin und Katja Oskamp würden sogar einen Weg finden, Buxtehudes "Membra Jesu nostri" in diese Erzählung einzuflechten, der Pedi-/Maniküre noch die Kopf- und Kniepflege hinzuzufügen und einen frohen Abgesang auf alle Heilsversprechen anzustimmen. Diese mit den Nebenkosten kämpfende, in der Autowaschanlage weinende Inhaberin (Yvonne Yung Hee Bormann) jedenfalls steht sehr glaubhaft einem ganz profanen "Paradies" vor, in dem kein Mensch ohne Trost bleibt.