ARD-Film über das Loveparade-Unglück: Fack ju Festlegung
Jella Haase wurde als prollige Chantal aus „Fack ju Göhte“ berühmt. Nun zeigt sie im ARD-Drama „Das Leben danach“, dass sie mehr kann.
Als sich im Juli 2010 das Duisburger Loveparade-Unglück ereignete, war die Berliner Schauspielerin Jella Haase 17 Jahre alt. Sie war mit ihren Eltern, ihrem Großvater und ihrer Schwester im Urlaub in Österreich. Die Nachricht kam über den Fernseher in die Ferienidylle. Menschenmassen, Gedränge, 21 Tote, mehr als 600 Verletzte. „Furchtbar“ fand Jella Haase das, was sie sah.
„Aber es besteht immer eine Ambivalenz darin, sich solche Berichte anzusehen. Man möchte informiert werden, gerät aber auch schnell in die Rolle des Voyeurs. Ich saß im Trockenen, und auf der anderen Seite starben Menschen, die einfach eine gute Zeit haben wollten. Diesen Widerspruch und das ganze Leid konnte ich irgendwann nicht mehr aushalten.“
Jetzt, sieben Jahre später, ist sie in dem ARD-Fernsehfilm „Das Leben danach“ (Mi., 20.15 Uhr) als junge Frau zu sehen, die die Loveparade überlebt hat und seitdem durch ein Trauma zerstört ist. Jella Haase spielt die fiktive Rolle der Duisburgerin Antonia Schneider, die mit dem kleinen Bruder ihrer besten Freundin zur Loveparade gegangen ist und diesen im Chaos verlor.
Der Junge kam zu Tode, und Antonia kann kein normales Leben mehr führen. Sie leidet an Panikattacken, macht sich Vorwürfe, neigt zur Selbstzerstörung und verhält sich ihrer Umwelt gegenüber feindselig. Ihr Vater (Martin Brambach) und ihre Stiefmutter (Christina Große) sind ratlos, die Selbsthilfegruppe bringt ihr nichts. Durch Zufall lernt Antonia den einfühlsamen Taxifahrer Sascha Reinhardt (Carlo Ljubek) kennen. Er behauptet, dass auch er bei der Loveparade um sein Leben rang, aber schnell findet Antonia heraus, dass er lügt.
Zum Interview hat Jella Haase ihr zerfleddertes Drehbuch mitgebracht. Unzählige bunte Lesezeichen sind darin eingeklebt, überall stehen Notizen, zahlreiche Passagen hat sie mit Textmarker angestrichen. Fast wirkt es so, als wolle sie mit diesem Drehbuch zusätzlich beweisen, wie ernst sie diese Rolle genommen hat.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Dabei wäre das nicht wirklich nötig gewesen, das hätte man ihr auch so geglaubt. Denn Jella Haase spielt ihre komplexe Rolle stark. Die Wut, die Ohnmacht, die Hilflosigkeit, die permanente Angespanntheit ihrer Figur. Den Hass auf ihre Mitmenschen, die um die Toten trauern und die Überlebenden für ihre Schwäche verachten.
Man möchte Mitleid empfinden mit dieser Antonia, aber das fällt nicht leicht. Im Umgang mit Freunden und Fremden ist sie ungerecht und aggressiv. In manchen Szenen ist das geradezu abstoßend. Aber immer schimmert da auch der Kern der liebevollen Persönlichkeit durch, die sie vor dem Trauma einmal gewesen sein muss und die sie in raren Momenten immer noch ist.
Die Herausforderung der Panikattacke
„Diese Rolle war eine gewaltige Aufgabe für mich“, sagt Jella Haase. „Zum einen, weil mir diese Figur so fremd ist und ich keine mir bekannten Gefühle abrufen konnte. Wie spielt man Panikattacken? Dann aber auch, weil ich mit meiner Darstellung den Menschen gerecht werden will, die damals dabei waren und unter ihren Erlebnissen leiden. Ich möchte, dass sie sich durch meine Darstellung gehört und respektiert fühlen.“
Um diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, informierte sie sich unter anderem bei der Gesprächstherapeutin Sybille Jatzko über Traumata: „Sie erklärte mir, dass einem traumatisierten Menschen die Sicherheit auf der Welt verloren gegangen ist. Ich musste begreifen, was das wirklich bedeutet, und anschließend lernen, das schauspielerisch umzusetzen.“
Vermutlich werden viele ZuschauerInnen überrascht sein, ausgerechnet Haase in so einer dramatischen Rolle zu sehen. Schließlich wird sie den meisten durch ihre Darstellung der prollig-bescheuerten Schülerin Chantal in den erfolgreichen Teenie-Klamotten „Fack ju Göhte“ (2013) und „Fack ju Göhte 2“ (2015) bekannt geworden sein. Bei beiden Teilen strömten mehr als sieben Millionen Besucher in die Kinos. Seitdem wird Haase vor allem von vielen jungen Mädchen verehrt. Der dritte Teil startet im Oktober. Der Werbeaufwand ist gigantisch. Dann werden sie ihr auf der Straße wieder „Hey, Chantal!“ hinterherrufen.
Dabei ist Chantal die Ausnahme in ihrer Filmbiografie. Meist spielte sie Mädchen und junge Frauen in seelischen Grenzsituationen. In ihrem Debüt, dem Kurzfilm „Der letzte Rest“, war sie 2009 als Außenseiterin zu sehen, die sich durch eine Gang-Bang-Party Anerkennung verschaffen will. In „Kriegerin“ (2011) glänzte sie in einer eindrucksvollen Nebenrolle als ostdeutsches Kleinstadtmädchen, das in Nazikreise abrutscht. In den Dramen „4 Könige“ (2015) und „Looping“ (2016) verkörperte sie jeweils eine Patientin in der Psychiatrie.
Es ist also eher erstaunlich, dass sie für „Fack ju Göhte“ mit einer komischen Rolle betraut wurde. Noch erstaunlicher ist es, dass sie seitdem nicht darauf festgelegt ist. Wenn etwas kommerziell so gut läuft, dürfen Schauspieler oft nur noch Variationen der immer gleichen Rolle spielen.
Rollenangebote und Körpergewicht
„Natürlich bekam ich Angebote für weitere Komödien“, sagt Haase. „Aber ich hatte keine Lust auf einen Chantal-Abklatsch und habe solche Rollen deshalb abgelehnt. Ich bin ja ein freier Mensch, und das war eine bewusste Entscheidung. Die wurde mir allerdings auch leicht gemacht, weil ich ausreichend tolle Angebote bekommen habe, die überhaupt nichts mit Chantal zu tun hatten.“
Jella Haase weiß, was sie will. Und sie ist nicht bereit, für die Karriere ihre Seele herzugeben. Oder auf gutes Essen zu verzichten. Wiederholt wurde sie von Entscheidungsträgern darauf angesprochen, ob sie nicht etwas abnehmen könne, aber da haben sie sich die Falsche ausgesucht: „In der Filmbranche herrscht bisweilen ein großer Anpassungsdruck, auch was die Körper der Schauspieler betrifft.
Vielleicht würde ich noch mehr Rollenangebote bekommen, wenn ich fünf Kilo weniger wiegen würde, das weiß ich nicht. Aber ich habe da halt überhaupt keinen Bock drauf. Ich mag es nicht, wenn man mich gegen meinen Willen zur Einhaltung irgendwelcher Normen drängen will. Ich liebe meinen Beruf, aber ich lasse mich nicht verbiegen.“
Eine Haltung, die sie auch an ihre Fans weitergeben will: „Ich nutze Facebook und Instagram, um jungen Mädchen zu vermitteln: Bleibt, wie ihr seid! Ihr müsst diesen ganzen Körperwahn nicht mitmachen, nicht irgendwelchen Vorgaben aus Frauenzeitschriften, Werbung und Filmen nacheifern. Lebt so, wie es sich für euch richtig anfühlt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!