95 Thesen für eine radikale Bankenreform: Die Rückkehr der Pflugscharen
In Wittenberg wollen Politiker, Künstler und Theologen den Umbau des Finanzmarkts anstoßen. Gewollt beziehen sie sich dabei auf Martin Luther.
„War es vor 500 Jahren die Käuflichkeit des Seelenheils der Gläubigen durch den Ablasshandel, die Ausdruck einer großen Krise war, ist es heute die Käuflichkeit der Politik und ihre Unterordnung unter die Vorgaben der Finanzmärkte“, schreiben die Autoren. Sie zitieren nicht Luther, sondern Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet.“
Also fordern sie eine Abkehr vom Finanzmarktkapitalismus. „Luther forderte vor fast 500 Jahren: ‚Man müsste dem Fugger und dergleichen Gesellschaft einen Zaum ins Maul legen.‘ “ Das gelte auch für die Ackermanns von heute. Brie und Co. schlagen vor, große Banken zu zerschlagen und eine öffentlich-rechtliche Einrichtung für den Zahlungsverkehr zu schaffen.
Die Idee zu den Thesen sei ihm schon vor einem Jahr gekommen, erläutert Brie. Er habe sich Sorgen gemacht wegen des Aufstiegs der AfD und sich gedacht: „Man muss den Menschen wieder Hoffnung geben und zeigen, dass es Alternativen gibt.“
Das Motto der Thesen ist ausgerechnet von der kirchlichen Oppositionsbewegung in der DDR entlehnt. Proklamierte diese einst „Schwerter zu Pflugscharen“ heißt es nun: „Banken zu Pflugscharen“. Etwas schräg – auch unter dem Gesichtspunkt, dass Brie bis 1989 als SED-Mitglied und Inoffizieller Mitarbeiter auf der anderen Seite stand.
Mitte-links geht doch, wenn man nur will?
„Kein Problem“, meint hingegen Hans Misselwitz, der zusammen mit seiner Frau, der Berliner Pfarrerin Ruth Misselwitz, in den 80er Jahren den Friedenskreis mitgründete und von der Staatssicherheit ausgiebig bespitzelt wurde. „Auf die biblische Losung Schwerter zu Pflugscharen gibt es kein Copyright, und das ist auch gut so.“ Misselwitz und seine Frau kennen Brie seit Langem und gehören ebenfalls zu den Erstunterzeichnern. „Es muss einen Konsens außerhalb der tagespolitischen Lager geben, wenn es darum geht, eine bestimmte Form des Kapitalismus zu begrenzen“, begründet Misselwitz seine Unterschrift. „Der kann vom Papst bis André Brie reichen.“
In Wittenberg werden die Thesen natürlich auch vorgestellt: An diesem Sonntag, fast 500 Jahre nachdem Luther die Kirchentür mit dem Hammer traktiert haben soll, will Gregor Gysi sich zusammen mit Grünen-Urgestein Frieder Otto Wolf und Willy Brandts Sohn Peter an der Tür einer Bank zu schaffen machen. Welcher, das will Gysi nicht verraten. Aber dass es heute keine Kirche mehr sein kann, sei folgerichtig: „Genauso wie Luther eine Reform der zu mächtigen katholischen Kirche forderte, brauchen wir eine Reform des sehr mächtigen Finanzsektors.“
Eine Art rot-rot-grüne APO wird sich in Wittenberg versammeln, und so liest sich auch die Liste der fast 95 Erstunterzeichner, die Brie zusammengetrommelt hat: neben aktiven Politikern wie Bodo Ramelow stehen auch Attac-Gründer Peter Wahl, Künstler wie Barbara Thalheim und viele Theologen darauf.
Ein Wink für die Bundestagswahl: Mitte-links geht doch, wenn man nur will? Durchaus, meint Brie. Ein solches Signal nebenbei auszusenden, sei ihnen wichtig gewesen. Und in These 95 heißt es dann auch: „Nur durch den Druck aus der Gesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird es möglich sein, die Reformblockade im politischen und gesellschaftlichen System zu überwinden.“
Einige Namen, die man auf der Liste vermuten könnte, fehlen allerdings: die Linke-Spitzenkandidatin und Wirtschaftsexpertin Sahra Wagenknecht kommt genauso wenig vor wie ihr Mann Oskar Lafontaine. Beide wurden gar nicht erst angeschrieben. Es sei ihm darum gegangen, ein möglichst breites Bündnis zu schmieden und einer parteipolitische Verengung vorzubeugen, sagt Brie.
Auch der einstige Pfarrer der Schlosskirche Wittenberg, Friedrich Schorlemmer, der 1983 die legendäre Aktion angeregt hatte, bei der ein Schwert zu einer Pflugschar umgeschmiedet wurde, hat sich nicht zur Unterschrift bewegen lassen. Ihm seien die geschichtliche Reformation und Luther zu nah gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“