80. Jahrestag des Weltkriegsendes: Japans Regierung will sich nicht mehr entschuldigen
Der Regierungschef tut sich auch 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Pazifik mit Japans Kriegsschuld schwer.

Damit bricht der Regierungschef mit der vor 30 Jahren begonnenen Praxis, dass das Kabinett zu jedem zehnten Jahrestag ein Statement veröffentlicht. 1995 hatte sich Tomiichi Murayama gegen viele Widerstände als erster japanischer Regierungschef „für Kolonialherrschaft und Aggression von ganzem Herzen entschuldigt“ und „tiefe Reue“ ausgedrückt.
Ishibas Verzicht überrascht, weil Japan sich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu ausgerichtet hat. Er hätte dies anlässlich des 80. Jahrestags erklären können. Immerhin hat sich die Inselnation de facto von ihrer pazifistischen Außenpolitik, die sie als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg darstellte, verabschiedet. Die Ausgaben für Verteidigung steigen bis 2027 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung.
Tokio weichte auch das selbstauferlegte Verbot von Waffenexporten auf. Anfang August sicherte sich Mitsubishi Heavy Industries Japans ersten Rüstungsgroßauftrag seit dem Krieg und stach dabei die deutsche ThyssenKrupp Marine Systems aus. Der Konzern baut für umgerechnet 5,6 Milliarden Euro elf Fregatten für die australische Marine.
Rücksicht auf die Parteirechte
Mit seinem Schweigen nimmt Ishiba Rücksicht auf die Konservativen in der Regierungspartei LDP, um nach der verlorenen Oberhauswahl im Juli seine Posten als Regierungs- und Parteichef nicht zu gefährden. Die LDP-Rechten meinen, mit dem Statement von Shinzō Abe 2015 hätte Japan alles Notwendige zum Kriegsende gesagt.
Am 70. Jahrestag hatte Abe die Entschuldigungen seiner Vorgänger von Murayama 1995 und Junichiro Koizumi 2005 bekräftigt, aber weitere Abbitten abgelehnt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kinder, Enkel und sogar die noch künftigen Generationen, die mit diesem Krieg nichts zu tun hatten, durchgehend gezwungen sind, sich zu entschuldigen“, sagte Abe.
Darin erkennt der Historiker Torsten Weber vom Deutschen Institut für Japanstudien eine „Schlussstrichmentalität“. „Aus deutscher Sicht wirkt sie wie eine Flucht vor der Verantwortung oder gar eine Leugnung der Schuld“, sagt Weber. Aber im ostasiatischen Kontext lasse sich diese Haltung durchaus nachvollziehen.
Viele Japaner sähen sich als Opfer überzogener Kritik aus China und Südkorea, die ihre Geschichte „nationalistisch und antijapanisch instrumentalisierten“. Eine Auseinandersetzung mit den Kriegsursachen und den eigenen Kriegsverbrechen würde auch zu einer kritischen Hinterfragung der Rolle des Tennos führen – ein Tabubruch für die breite Öffentlichkeit, so Weber.
Kritik an Premierminister Ishiba
Ishiba sagte vorige Woche im Parlament, er müsste etwas veröffentlichen, egal in welcher Form, damit „die Erinnerungen an den Krieg nicht verblassen und wir nie wieder einen Krieg beginnen“.
Doch die liberale Zeitung Asahi kritisierte ihn dafür, aus Angst vor einer Anti-Ishiba-Bewegung in der LDP an dem historischen Datum zu schweigen. „Mit Murayama hatte Japan einen Premierminister, der bereit war, sein Amt zu riskieren, um eine solche Erklärung abzugeben“, schrieb die Zeitung. „Heute hat Japan einen Premierminister, der auf eine Erklärung verzichtet, um nicht aus dem Amt gedrängt zu werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Russland und Ukraine
Ukrainische Gebietsabtretungen im Tausch für Frieden?
E-Autos versus Verbrenner
Der gefühlte Freiheitsverlust
Umgang der Union mit der „Elsa“-Studie
Totschweigen durch Nina Warken
4 Jahre Taliban-Herrschaft
Verbotene Klassenzimmer und eingeschränkte Geschäfte
Trump setzt Museen Frist
Vorbei mit der Freiheit
100 Tage Merz-Regierung
Kein Rezept gegen rechts