7. Berlin Biennale: Künstler wie Journalisten
Die Berlin Biennale übt eine neue Semantik. Die belgische Politologin Chantal Mouffe verteidigt die Sarrazin-Sammelstelle-Kunstaktion des Künstlers Martin Zet.
Abgabepunkte. Die neutrale Vokabel, mit der die Berlin Biennale zwischenzeitlich das Wort "Sammelstelle" ersetzt hat, zeigt: Der Vorwurf, die Kunstaktion "Deutschland schafft es ab" des tschechischen Künstlers Martin Zet für die 7. Ausgabe der Biennale erinnere an die "Bücherverbrennung" der Nazis, hat sie doch stärker getroffen. Attraktiver hat die neue Semantik das Projekt aber nicht gemacht.
Thilo Sarrazins umstrittenen Bestseller massenhaft zum Altpapiercontainer zu tragen wie ein abgelaufenes Telefonbuch, formuliert nämlich keine Antwort auf den selbst ernannten Rassentheoretiker, die über formale Ablehnung hinausginge. Da ist es ein wenig schleierhaft, warum Chantal Mouffe diese lahme Geste zur "visuellen" Reaktion einer "kritischen Kunstpraxis" nobilitiert. So hat die belgische Politologin dieser Tage das Projekt auf der Biennale-Website verteidigt. Artur Zmijewski, ihr gleichfalls in die Schusslinie geratener Kurator, musste sich offenbar intellektuelle Schützenhilfe organisieren.
Die wird er brauchen können: Der Arbeit seines Gastes gebricht es nämlich deutlich an Fantasie. Mit Musik, Malerei, Performance, Theater, Video oder Film Sarrazins krude Mixtur aus Rassismus und Eugenik zu konterkarieren, könnte eine der spannendsten ästhetischen Herausforderungen unserer Zeit sein. Doch Zet entledigt sich ihrer mit Hilfe des Komposthaufens.
Auch die "radikale und provokative Institutionenkritik", als die manche Häuser Zets Aktion sehen, pumpt das Paradebeispiel eines hilflosen Antirassismus zu unverdienter Größe auf. Verglichen mit dem Pissoir, mit dem Marcel Duchamp die Institution Museum hinterfragte, wird die intellektuelle Fallhöhe deutlich. Seine Epigonen haben die Frage, was Kunst-Institutionen zulassen dürfen, ebenso zum Kleingeld des internationalen Kunstbetriebs entwertet wie Zmijewskis erklärter Versuch, "Kunst und Kultur zu politisieren".
Walter Benjamins schöne Idee mutierte in den letzten 15 Jahren auf den meisten Biennalen zum Fiebertraum einer Politkunst, die so schmissig ist wie die "Randale" der Petersburger Kunstaktivisten von "Woina", die Zmijewski zu Co-Kuratoren der Berlin Biennale gemacht hat.
Die fackeln gern mal eine Polizeiwanne ab. Und dass ein Künstler als Kurator eines Tages "Politisierung" so definieren würde, dass "Künstler sich wie Journalisten einmischen können" (Zmijewski), hätte sich der Passagen-Mann sicher auch nicht träumen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“