50 Jahre TürkInnen in Deutschland: Aufstieg als Auftrag

Buntes ist besser und lebendiger: Der Rückzug in Parallelgesellschaften nützt weder Einheimischen noch Einwanderern.

Wer ohne sie leben will, geht in die Provinz. Aber spätestens an der Dönerbude sind sie wieder: die Einwanderer oder eines ihrer Kinder. Bild: dpa

Das Verblüffende an dem Furor, den der einstige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin voriges Jahr mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" hervorrief, war vor allem die nicht einmal notdürftig ummäntelte Unfreundlichkeit, mit der er seine Haltung zu Türken und Arabern formulierte. So hatte man sich einen aus den bürgerlichen Kreisen nicht vorgestellt. Nicht aus jenen Zirkeln, die doch seit so vielen Jahren über Takt und Ton, über Etikette und Manieren reden. Und diese den Unterschichten absprechen.

Kaum noch überraschte dann, als man auf Lesungen und in Internetforen die Fans von Sarrazin kennenlernte: Überwiegend ekelerfüllt und naserümpfend sprachen sie über jene Einwanderer, von denen ihr Held behauptete, mit ihnen sei keine gemeinsame Zukunft möglich.

Meine persönliche Erfahrung legt mir nahe, zu sagen: Wer einen wie Sarrazin gut findet, hat mit real existierenden Einwanderern, die keine Gastarbeiter mehr sind, keinen Kontakt. Lebt ohne sie und nicht mit ihnen. Er und sie kennen jene, die sie als Ausländer verstehen, nur aus der Ferne - wenn überhaupt.

Wohin das alles führt, hat niemand geahnt. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das am 1. September 1961 in Kraft getreten ist, hat die Republik grundlegend verändert. Die Türken kamen, viele blieben. Und heute? Sind sie Deutschland, genau wie der Rest. Betrachtet man diese Entwicklung einmal ganz unaufgeregt, kann man zu dem Schluss kommen: Die Einwanderung aus der Türkei ist eine Erfolgsgeschichte.

Natürlich gibt es Probleme. Wie sollte sich eine so tiefgreifende Veränderung auch ohne vollziehen? Aber verengen wir den Blick einmal nicht auf sie, wie es die Sarrazins dieser Welt so gerne tun. Dann sehen wir: Das Zusammenleben klappt vielerorts erstaunlich gut. Registrieren wir also endlich: Vieles wird besser. Die Anzahl der türkischstämmigen Abiturienten und der binationalen Ehen steigt, die Mittelschicht wächst, selbst die Anzahl der Einbürgerungennimmt wieder zu. Türkischstämmige Abgeordnete sitzen in vielen Parlamenten, sie werden Grünen-Chef und niedersächsische Sozialministerin.

Fatih Akin steht für den deutschen Film, Feridun Zaimoglu für die deutsche Literatur, Mesut Özil für den deutschen Fußball. Sie alle sind ein Gewinn. Und sie zeigen: Es kann klappen mit dem Aufstieg - und dem Mitmischen. Wir setzen auf ein Happy End. (Sabine am Orde, stellvertretende Chefredakteurin)

Ein amerikanischer Freund sagte vor 20 Jahren, als er das erste Mal nach Deutschland kam, es sähe hier aus wie in jenem Lebensborn, von dem die Nazis träumten: alles blond, alles urdeutsch. Man möchte ihm sagen: Das hat sich geändert, das wird sich weiter ändern, das nimmt als Wandlung überhaupt kein Ende mehr. Wer unter Hellhäutig-Blonden leben will, muss in die Provinz gehen, sonst gibt's das nirgends mehr - und selbst dort, spätestens an der Dönerbude, sind sie wieder: die Einwanderer oder eines ihrer Kinder.

Wer Ödes will, riskiert, abgehängt zu werden

Multikulti, ließe sich sagen, ist eine Frage des Interesses. Buntes ist grundsätzlich besser und lebendiger. Dass sich dieses Land gewandelt hat, ist keine Frage mehr. Allen, denen das nicht recht ist, muss man sagen: Ohne das Durchmischte, Andere, Fremde gibt es für euch keine Zukunft. Wer Ödes, Einfarbiges will, riskiert, abgehängt zu werden.

Mag sein, dass viele Deutsche türkischer Herkunft sich in Parallelgesellschaften abgeschottet haben. Auch sie haben in diesen keine Perspektiven: Wer was werden will in diesem Land, muss das eigene Milieu verlassen. Deutschland wird, oberflächlich gesehen, in den nächsten Jahrzehnten ausländischer. Gründlicher betrachtet: Was mit knochenharter Arbeit auf Werften, in Putzkolonnen, Eisenhütten und Bergwerken begann, nimmt sich für die Kinder der Gastarbeiter wie ein stolzer Auftrag aus. Den, gesellschaftlich aufzusteigen.

Sie, die Einwanderer, haben den Urdeutschen seit den frühen sechziger Jahren das Gros aller Drecksarbeiten abgenommen. Sie werden nun mehr werden wollen. In diesem Land. Als Deutsche. Das wird interessant werden, zu sehen, wie jene, die die Gehässigkeiten des Thilo Sarrazin gut fanden, damit umgehen: dass aus Gastarbeiterkindern höchst Ehrgeizige werden. Aufsteiger also. Es sind genau jene, die ein modernes Land brauchen kann. Das wird spannend.

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