50 Jahre Bloody Sunday in Nordirland: Kämpferisches Gedenken in Derry

In nordirischen Derry erinnern Tausende an den 50. Jahrestag des Bloody Sunday 1972. Viele sind wütend, dass niemand zur Verantwortung gezogen wurde.

Viele Menschen stehen auf einem Platz mit einer Bühne.

Tausende waren aus ganz Irland angereist, um des Bloody Sunday zu gedenken Foto: Peter Morrison/ap

DERRY taz | Es war ein Heimspiel. Als der frühere Chef der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn, die Bühne in der Guildhall in Derry, Nordirlands zweitgrößter Stadt, betrat, wurde er mit minutenlangem Beifall empfangen. Am Ende seiner Rede zum 50. Jahrestag des Bloody Sunday bekam er stehende Ovationen.

Corbyn sagte, es sei ein Skandal, dass keiner der Soldaten des 1. Fallschirmjägerregiments, die am 30. Januar 1972 in eine Bürgerrechtsdemonstration feuerten und 14 Menschen ermordeten, jemals zur Rechenschaft gezogen wurde. Darüber hinaus prangerte er das geplante Amnestiegesetz an, das verhindern soll, dass britische Soldaten für Taten, die sie vor 1998 begangen haben, strafverfolgt werden.

Irlands Präsident Michael D. Higgins sagte in einer Online-Rede, die auch nach Derry übertragen wurde, dass der Bloody Sunday selbst nach 50 Jahren fest im Gedächtnis der Nation verankert sei. Das war in Derry am Wochenende zu spüren. In jedem Geschäft in der Innenstadt, auch in den Filialen britischer Ladenketten, hingen Plakate, die auf die Veranstaltungen zum Jahrestag hinwiesen. In den Läden und Pubs diskutierten auch jüngere Leute über das Massaker und die Gedenkfeiern.

Das Motto: One World, One Struggle

Fast jede Familie am Westufer des Foyle ist irgendwie mit dem Bloody Sunday verbunden, weil ein Familienmitglied an der Demonstration teilgenommen hat oder dabei gar verletzt worden ist. Der Fluss teilt die Stadt, die direkt an der Grenze zur Republik im Nordwesten der Insel liegt, in eine protestantisch-unio­­nis­tische und eine katholisch-­republikanische Hälfte – mit Ausnahme einer protestantischen Enklave auf der Westseite.

Derry ist von britischen Politikern vernachlässigt worden, weil die Stadt schon immer mehrheitlich katholisch war. Investitionen gingen in die protestantischen Gegenden. So nahm auch die Bürgerrechtsbewegung Ende der sechziger Jahre in Derry ihren Anfang.

Ihre Forderungen waren moderat: gerechte Job- und Wohnungsvergabe, Wahlrecht für alle. Bei Kommunalwahlen durften nämlich nur Hauseigentümer wählen, was bedeutete, dass manch protestantischer Ladenbesitzer bis zu 40 Stimmen hatte, während viele Katholiken leer ausgingen. Trotz einer Zweidrittelmehrheit von Katholiken wurde die Stadt mehr als ein halbes Jahrhundert lang von Protestanten regiert.

Das Wochenende stand unter dem Motto „One World, One Struggle“. Die Wut ist immer noch spürbar, vor allem, weil aus der Untersuchung einer Kommission, die 2010 zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Soldaten unrechtmäßig gehandelt haben, keine Anklagen oder wenigstens eine Entschuldigung des Fallschirmjägerregiments gefolgt sind.

Kay Duddy, die Schwester von Jackie Duddy, dem 17-Jährigen, der damals als Erster erschossen worden war, sagte, sie wünsche sich, dass der Soldat, der die Kugel abgefeuert hat, den Anstand aufbringen könne, es zuzugeben.

Jeremy Corbyn: Zeit für ein Referendum über Irlands Einheit

Am Sonntagmorgen nahm Kay Duddy an dem Gedenkmarsch der Verwandten der Ermordeten teil. Er folgte derselben Strecke, die der Demonstrationszug damals genommen hatte. Am Bloody Sunday Monument in der Rossville Street, wo die meisten der Opfer erschossen worden waren, legten sie einen Kranz nieder. Menschen aus allen Teilen Irlands waren in Sonderbussen angereist und säumten die Straße.

Auch Bernadette McAliskey, die 1969 als 21-jährige ins Londoner Unterhaus gewählt worden war, war gekommen. Am Tag nach dem Bloody Sunday hatte sie den damaligen britischen Innenminister Reginald Maudling im Unterhaus geohrfeigt. Im Januar 1981 wurden sie und ihr Mann durch Schüsse eines loyalistischen Mordkommandos in ihrem Haus, das unter Beobachtung der Armee stand, schwer verletzt. Sie ist überzeugt, dass der Anschlag von der britischen Regierung angeordnet worden war.

Jeremy Corbyn sagte in seiner Rede in der Guildhall, dass die britische Regierung endlich erläutern müsse, was die Voraussetzungen für ein Referendum über die Vereinigung Irlands seien. Im Belfaster Abkommen von 1998 heißt es schwammig, dass der britische Nordirlandminister ein solches Referendum anordnen könne, wenn er der Meinung sei, dass es eine Mehrheit für eine Vereinigung gebe.

Kurz nach Corbyns Rede meldete sich auch der britische Premier Boris Johnson zu Wort. „Der Bloody Sunday war ein tragischer Tag in unserer Geschichte“, twitterte er. „Wir müssen daraus lernen, versöhnen und für eine friedliche Zukunft für Nordirland sorgen.“

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