25 Jahre Osloer Friedensabkommen: Zonen-Grenzen in Palästina
Das Westjordanland ist in Zonen eingeteilt, Überbleibsel der Friedensbemühungen. Eine Reise nach A, B und C, zu Palästinensern und Israelis.
Es geht steil bergab in die jüdäische Wüste. Schon nach wenigen Minuten steigen die Temperaturen. Das Land ist dünn besiedelt. Alle paar Kilometer kommt eine israelische Siedlung, alle paar Kilometer Zelte und Baracken palästinensischer Beduinen. Ein „kleines, aber jüdisches Israel“ wollte Israels Regierungschef Jitzchak Rabin schaffen, als er am 13. September 1993, heute vor 25 Jahren, mit sichtbarem Widerwillen dem Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat die Hand reichte. Frieden schließt man mit Feinden, nicht mit seinen Freunden, rechtfertigte er den in Israel heftig umstrittenen Schritt, den er zwei Jahre später mit seinem Leben bezahlte.
Die Osloer Prinzipienerklärung hielt einen stufenweisen Abzug aus den besetzten Gebieten fest. Am Ende des auf fünf Jahre festgelegten Prozesses sollte die Gründung des Staates Palästina stehen. Dazu ist es nie gekommen. Aber Gaza und Jericho waren die ersten Städte, aus denen sich Israel wenige Monate nach Unterzeichnung des Abkommens zurückzog. Nach dem Rückzug aus Ramallah, Jenin, Nablus und Bethlehem entstanden im Westjordanland schließlich drei Zonen: Zone A mit kompletter Autonomie der Palästinenser, B mit einer Teilautonomie unter israelischer Sicherheitskontrolle und C unter voller Verwaltung des israelischen Militärs.
Dabei ist es bis heute geblieben. Die vor 25 Jahren angestrebte Zweistaatenlösung erscheint weit von der Realität entfernt. Wie aber lebt es sich in den Zonen A, B und C?
In der A-Zone – 18 Prozent des Westjordanlands
„A-Zone – Weiterfahrt für israelische Staatsbürger verboten“, steht auf einem knallroten Schild an der Stadteinfahrt von Jericho, aber kontrolliert wird hier nicht. Der palästinensische Checkpoint ist unbemannt.
Hibba Ibrahim wohnt mit ihrem Mann Malek (Namen geändert) und vier Kindern in einem Neubaukomplex am Stadtrand von Jericho. „Chamudi, mach die Tür zu“, ruft die Mutter ihrem Jüngsten zu, als von draußen eine heiße Brise hereinweht. Nur das Wohnzimmer ist klimatisiert. Im Fernseher läuft eine Zeichentrickserie. Die Israelis aus Palästina vertreiben, davon hat Hibba in ihrer Jugend geträumt. „Als Arafat kam, hofften wir, dass wir wenigstens einen kleinen Staat bekommen würden.“ Doch das, was sich heute Autonomie nennt, sei „reine Fiktion“, meint sie. Hibba ist Mitte 40, groß, etwas füllig, mit markanten hohen Wangenknochen, vollen Lippen und dunklen, ausdrucksstarken Augen. Malek ist im gleichen Alter, etwas kleiner als seine Frau und sehr drahtig. Sie arbeitet als Krankenschwester in der Stadt, er ist Bauunternehmer und darf in Israel arbeiten. Die Familie ist privilegiert.
Im Sommer 1994 war es, da zogen Tausende Palästinenser mit Olivenzweigen in den Händen auf die Straße und verteilten Süßigkeiten unter den israelischen Soldaten. Der Abzug stand bevor. „Einer sagte zu mir: ‚Ihr werdet euch noch nach uns zurücksehnen‘“, erinnert sich Hibba. „Wir haben gelacht und gerufen: ‚Haut ab!‘ Inzwischen verstehen wir, dass er recht hatte.“ Über Nacht wechselte das Personal in der Polizeistation, wo fortan Arabisch gesprochen wurde.
Malek Ibrahim aus Jericho
„Wenn die israelischen Soldaten kommen, stoppt sie keiner. Unsere Polizei verzieht sich.“ Die Eheleute Ibrahim fallen sich gegenseitig ins Wort, reden sich in Rage über ihre „machtlose Führung“, über ihren Präsidenten Mahmud Abbas, der „korrupt“ sei und „ein Lügner“, über die Autonomiebehörde und den Sicherheitsapparat, der „die Juden schützt, aber nicht uns“. Hibba berichtet über Geheimpolizisten, die ins Krankenhaus kämen, um Medikamente für politische Häftlinge zu besorgen, vermutlich Anhänger der islamistischen Hamas. „Damit stellen sie die Leute ruhig.“ Von Ärzten in ihrer Klinik wisse sie, dass es immer wieder zu Misshandlungen komme.
Zur Zeit der israelischen Besatzung „hatten wir einen Feind, gegen den wir kämpfen konnten“, sagt Hibba, und Malek erklärt sichtlich erbost: „Heute sind unsere eigenen Leute an der Regierung. Es sind palästinensische Polizisten, die uns drangsalieren.“
Mit dem Sonnenuntergang lässt die drückende Hitze in der Wüstenoase etwas nach. Hibba legt sich ein Tuch um den Kopf. Der Muezzin ruft fromme Muslime zum Gebet. Malek geht mit seinen Söhnen zur Moschee, Hibba mit der Tochter zum Markt. Nüsse, Bananen und Datteln gehören zu den Spezialitäten Jerichos. Rund um den Platz vor dem Rathaus drängeln sich Fußgänger, Radfahrer und Autos. Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee und gegrilltem Fleisch hängt in der Luft.
Seit ein paar Jahren kursieren Drogen in Jericho. „Wir sind machtlos dagegen“, sagt Hibba und erzählt von einem bekannten Dealer, den die Polizei nur für ein paar Tage festnahm. „Er saß fröhlich vor seinem Haus, legte die Beine übereinander und rauchte Schischa“, lacht sie bitter. Wer die rechten Kontakte zur Führung hat, müsse die Polizei nicht fürchten. Und wer zur Führung gehört, ließe es sich gutgehen. Die Ibrahims wollten ihr Erspartes in ein Stück Land investieren. Hibba fuhr mit einem Makler durch die Gegend. „Alle paar Meter sagte er: ‚Nein, das gehört Naame‘ oder ‚es gehört Ali Erikat‘.“ Die Frau und der Sohn des palästinensischen Unterhändlers bei früheren Friedensverhandlungen seien auch die Eigentümer eines riesigen Einkaufszentrums, das noch im Bau ist. Hibba schüttelt den Kopf. Abbas und seine Leute sollen „zur Hölle gehen“, sagt sie. „Dafür bete ich jeden Tag.“
In der C-Zone – 60 Prozent des Westjordanlands
Keine zehn Kilometer südlich von Jericho liegt das Tote Meer. Am Strand Neve Midbar herrscht fast das ganze Jahr über lebhafter Betrieb. Umgerechnet 20 Euro kostet der Eintritt zum Strandbad, in dem Israelis und Palästinenser Seite an Seite ihre Körper mit Fango einschmieren oder ins salzige Nass gleiten lassen. Cornelia Barghoorn ist seit über 30 Jahren Mitglied im Kibbuz Kalia und managt die Badestelle. Die blonde, braungebrannte Mönchengladbacherin kam als Pazifistin nach Israel und blieb. „Ich war immer sehr links“, sagt sie über sich. „Frieden schaffen ohne Waffen“, das sei damals ihr Motto gewesen. Die Bezeichnung Siedlerin empfindet sie als einen Affront. „Das hier ist Israel proper.“ Niemals wäre sie ins besetzte Westjordanland gezogen. „Dieses Gebiet war komplett unbewohnt und gehörte ursprünglich zu Jordanien, bis Hussein es freigegeben hat.“ Tatsächlich verkündete der damalige König 1988 die Trennung Ostjordaniens von seinem Westteil. „Er wollte es nicht mehr haben“, sagt Barghoorn, räumt indes ein, dass „man sich über Ansprüche streiten kann“.
Anfangs habe der Osloer Friedensprozess im Kibbuz zu Verunsicherung geführt. „Wir wussten nicht, ob wir hier wegmüssen. Die Rede war damals von einem möglichen Umzug an die nördliche Mittelmeerküste.“ Heute beschäftige das niemanden mehr. Barghoorn beharrt darauf, dass „das besetzte Gebiet erst kurz vor Jericho anfängt“. Das Wort „besetzt“ gefällt ihr ohnehin nicht, schließlich sei das Gebiet „ja längst nicht mehr besetzt, sondern autonom“.
Für den Betrieb im Strandbad und für den Kibbuz habe der Vertrag von Oslo wenig verändert, nur sei der Kontakt zu den Palästinensern früher enger gewesen. „Wir fuhren zu Hochzeiten nach Jericho, und die Palästinenser sind zu Familienfeiern zu uns gekommen.“ Seit Oslo treffe man sich nur noch am Arbeitsplatz. Israel verhängte nach Beginn der zweiten Intifada im September 2000 ein Einreisesperre in die palästinensische A-Zone. „Die Palästinenser dürfen zu uns kommen, aber wir dürfen nicht mehr zu ihnen fahren“, sagt Barghoorn und übersieht dabei konsequent, dass Kalia mitten im palästinensischen Gebiet liegt. Gut 20 Palästinenser sind im Strandbad angestellt. Sie werden nach israelischem Tarif bezahlt und sind sozialversichert. Auch beim Betriebsausflug nach Jordanien im letzten Jahr seien alle dabei gewesen.
Cornelia Barghoorn aus Kalia
Die palästinensische Führung in Ramallah zürnt, dass sie die C-Zone für die Entwicklung des Landes nicht nutzen darf. Die Siedlungen mit rund 350.000 Israelis gehören dazu, außerdem leben geschätzt bis zu 300.000 Palästinenser in kleinen Dörfern, in Beduinenzelten, Baracken oder Höhlen in der C-Zone. Israels Militärverwaltung verhindert hier jede Entwicklung und konfisziert palästinensisches Land für eigene Zwecke, für den Bau von Grenzanlagen und militärischen Übungsplätzen, Naturschutzgebieten und für die Siedler. Selbst auf Privatland dürfen Palästinenser in der Regel nicht bauen. Wer es doch tut, riskiert den Abriss, für den er selbst die Kosten tragen muss.
Khan al-Ahmar liegt rechts an der Hauptstraße, wenn man vom Toten Meer zurück nach Jerusalem fährt. Die hier lebenden Beduinen rechnen täglich mit ihrer Vertreibung. Am Mittwoch voriger Woche entschied der Oberste Gerichtshof gegen das Gesuch der Palästinenser, das Dorf zu legalisieren. Israel will die knapp 200 Bewohner in die Kleinstadt Abu Dis umsiedeln. „Wo soll ich da meine Tiere unterbringen?“, fragt Eid Dschahalin. Rund 1.600 Schafe, Ziegen und Kamele gehören zur Herde seiner Gemeinde. Sie sind die Haupteinnahmequelle der Beduinen, die die Milch der Tiere zu Käse verarbeiten und auf dem Markt in Jerusalem verkaufen.
Die Dschahalins sollen Platz machen für die Erweiterung der benachbarten jüdisch-israelischen Siedlungen Kfar Adumim, Alon und Nofei Prat.
In der B-Zone – 22 Prozent des Westjordanlands
Beit Ummar liegt knapp 30 Kilometer südlich von Jerusalem und ist berüchtigt für heftige Straßenkämpfe. An der Einfahrt lassen ein vielleicht zehn Meter hoher massiver Wachtturm, Betonblöcke und die Stationierung israelischer Soldaten rund um die Uhr den Eindruck entstehen, man nähere sich einem Hochsicherheitstrakt. 20.000 Palästinenser wohnen in Beit Ummar. Die Stadt ist teilautonom. Für die Verwaltung ist die palästinensische Autonomiebehörde zuständig. „Baugenehmigungen erteilt die Stadtverwaltung“, sagt Khaled Abu Awwad, der mit seiner Frau und zehn Kindern in der Kleinstadt lebt. „Theoretisch jedenfalls. Praktisch ist durch das Näherrücken der Siedlungen und die Begrenzung der B-Zone für Neubauten heute schon kaum noch Platz.“ Problematisch sei auch die Wasserversorgung, die von Israel kontrolliert werde. Abu Awwad sagt: „Bei den Siedlern fließt 24 Stunden täglich Wasser aus dem Hahn. Bei uns nur einmal die Woche.“
Der Palästinenser hat einen hohen Preis für den Kampf gegen die Besatzung zahlen müssen. Zwei seiner Brüder sind von Soldaten erschossen worden, er selbst, einer seiner Söhne und sogar seine Mutter saßen wiederholt hinter Gittern. Dass es in Beit Ummar zu Unruhen kommt, ist seiner Meinung nach ein Zeichen dafür, „dass hier Leute leben, die für sich kämpfen, für ihr Recht und ihre Freiheit, Leute, die vorankommen und eine bessere Zukunft wollen“.
Nichtsdestotrotz engagiert sich der 50-jährige Unternehmer heute für eine friedliche Koexistenz mit den israelischen Nachbarn. Alle paar Wochen fährt er nach Kfar Etzion, um ausgerechnet mit Siedlern über Wege zur Versöhnung zu reden. „Entweder wir erreichen einen Frieden oder wir landen alle in der Hölle“, so seine Erkenntnis. Er plädiert für eine demografische Trennung. Geografisch sei die Zweistaatenlösung, so wie sie vor 25 geplant war, „heute nicht mehr möglich“. Trotzdem sollten Israelis und Palästinenser jeweils ihren eigenen Staat bekommen.
Wieder in der A-Zone – 18 Prozent des Westjordanlands
Unter den Siedlern gewinnt die Idee einer Konföderation zweier Staaten auf geteiltem Raum an Popularität. „Es kann keine Not gelindert werden, indem man neue Not schafft“, sagt Elias Cohen, Abu Awwads jüdischer Gesprächspartner aus der Siedlung Kfar Etzion. Die Evakuierung von Siedlungen ist für den frommen Juden tabu. Gleichzeitig könne Israel die Kontrolle über das andere Volk nicht ewig fortsetzen. „Dies ist unsere Heimat, aber es ist ebenso ihre.“ Der Mittvierziger trägt eine Kippa auf seinen wilden Locken. „Ich war radikal gegen Oslo.“ Der Friedensprozess habe die „Stabilität und Sicherheit“ erschüttert.
Seine Siedlung Kfar Etzion wurde vor vier Jahren zum Schauplatz eines Terrorüberfalls, als drei Studenten der örtlichen Jeschiwa entführt und kurz darauf tot aufgefunden wurden. „Der Mord war super schwierig für uns“, sagt Cohen. „An der Haltestelle, an der die drei Jungen entführt wurden, stehen meine Kinder, wenn sie nach Jerusalem trampen wollen.“
Cohen und Abu Awwad gehen kleine Schritte, um ihre Völker einander ein wenig näher zu bringen. Jede Woche treffen sich ein paar Dutzend Jugendliche aus den arabischen Dörfern und den israelischen Siedlungen, organisieren Umweltprojekte, besuchen gemeinsam Bedürftige, schreiben einander Feiertagsgrüße. Ein dreisprachiges Plakat, das an der Hauptstraße zwischen Jerusalem und Hebron vor dem Gebrauch von Handys am Steuer warnt, ist Produkt ihrer Zusammenarbeit. „Schoraschim“, so nennt sich die Initiative, „Wurzeln“.
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