20. Geburtstag von „Monika Enterprise“: Punkige Vögel, hypnotische Sequenzer

Das Label der Musikerin und Managerin Gudrun Gut wird 20. Auf dem Album „Monika Werkstatt“ gibt sie dem Nachwuchs den Vorzug.

Ein schwarz-weiß Foto, auf dem zwei Frauen mit Sonnenbrillen zu sehen sind

Gudrun Gut und Beate Bartel Foto: Andrew Coblin

„Darum ging es: Man sollte es möglichst nicht können. Das Neue schöpft man aus dem Nichtkönnen“, sagt Gudrun Gut. Die Berliner Musikerin und DJ hat Ende der siebziger Jahre als Teil der Westberliner Punk-Szene eine der wichtigsten emanzipativen Bewegungen von Rock mitgeprägt.

Als die Mauer fiel, wurde Gudrun Gut Technoproduzentin und Labelinhaberin. Ihr Label Monika Enterprise, das vor allem Produzentinnen fördert, feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum.

Nachdem sich Gudrun Gut in London das Eruptieren der ersten Punk-Bands angeschaut hat, gründet sie ihre erste eigene „Mädchen-Band“: „Das hat schon was mit Punk zu tun, dass ich den Mut hatte, was Neues zu machen. Das, was an Musik um einen rum war, hat nicht mit einem kommuniziert. Im Radio war totale Langeweile. Dann war ich in London – und diese Punk-Sache hat mich sofort angesprochen. Ich war eher schüchtern, damit habe ich mich fast neu erfunden.“

Guts erste Band heißt Din A4. Bevor es zu einem Auftritt kommt, gibt es schon die nächste Band: Din A Testbild mit Mark Eins. Nachdem sie bei Din A4 und Din A Testbild Bass und Stylophone, eine elektronische Miniorgel, gespielt hat, steigt Gudrun Gut bei Mania D ein – es ist das erste Mal, dass sie mit Beate Bartel im Proberaum steht: „Beate hat mich gefragt, ob ich bei Mania D mitmachen will. Und ich wollte unbedingt Schlagzeug spielen, weil ich ein großer Neu!- und Mittagspause-Fan war und das Schlagzeug da so toll war. Das war anders als was es sonst gab. Und dann macht man das einfach.“

Stadt und Land als zwei parallele Fluchtpunkte

Eine Einstellung, die Gut bis heute hat: „Diese Haltung ist mir nach wie vor wichtig – und eben punkig: Wenn etwas nicht gehen soll, das glaube ich dann immer nicht.“ Das Produkt der ersten Zusammenarbeit mit Beate Bartel, Karin Luner, Eva-Maria Gößling und Bettina Köster – Mania D – ist eine dunkle, wavige Art von Punk, die durch Bettina Kösters Saxofon einen starken Free-Jazz-Einschlag bekommt, ihr Sound ist betörend experimentell. „Queens of Noise“ nannte sie der britische Radio-DJ John Peel.

Mit Beate Bartel kollaboriert Gudrun Gut auch auf der aktuellen Veröffentlichung der kanadischen Spoken-Word-Künstlerin Myra Davies. Bereits Anfang der 90er arbeiteten Davies und Gut als Miasma zusammen. Auf „Sirens“ ist nun Gut mit Bartel für die Instrumentals verantwortlich: Düstere elektronische Soundbetten aus Synthesizern und Schlagwerk schrauben sich zu Davies’klarer Erzählstimme hinauf.

Das Experimentieren mit elektronischer Klangerzeugung war bereits in der Avantgarde der Westberliner Punkszene zentral

Das gesampelte Schließen der Berliner S-Bahn-Türen und Rauschen der Züge verortet das Album zwischen zwei Welten. Stadt und Land als zwei parallele Fluchtpunkte, zu denen Sirenen rufen. Im Song „Sirens Call“ kann man kaum entscheiden, ob die Stadtgeräusche zur hypnotischen Musik gehören oder durch das offene Fenster hineindringen.

Auch wenn Bartel und Gut jede für sich an einzelnen Stücken geschrieben haben, sei am Ende kaum auseinanderzuhalten, wer für welchen Track verantwortlich sei, meint Gut. Es sei verblüffend, wie ähnlich sich die beiden auch 40 Jahre nach der ersten Zusammenarbeit seien.

Der Mauerfall sprengte die festgefahrene Szene

Das Experimentieren mit elektronischer Klangerzeugung war bereits in der vielfach untereinander vernetzten Avantgarde der Westberliner Punkszene zentral. Gut arbeitete schon Ende der 70er mit einem MS20-Synthesizer von Korg. Mit solchen kleinen, verhältnismäßig günstigen Geräten vollzog sich damals eine Art Paradigmenwechsel, plötzlich wurde elektronische Musikproduktion für immer mehr Menschen zugänglich. Und auch Mania D hatten mit Bass, Schlagzeug und Blasinstrumenten bereits zu Tapes mit ätherischen Soundschleifen improvisiert.

1980 verhalfen Gut und Bartel der Genialen-Dilletanten-Band Einstürzende Neubauten zur Gründung. Sänger Blixa Bargeld gehörte zur Stammkundschaft des Ladens Eisengrau, den Gut mit Bettina Köster in Schöneberg betrieb: „Das war mehr ein Treffpunkt. Geld verdienen war so gar nicht auf unserer Agenda. Ich hab Bafög gekriegt und ab und zu Geld für ein Konzert. Ich weiß wirklich nicht mehr, wovon wir damals die Miete gezahlt haben.“

Ein Jahr später wird aus Mania D die Band Malaria!, bestehend aus Gut, Köster und Manon Pepita Duursma. Malaria! sollte sich auch über den Atlantik hinaus verbreiten, später mit Nina Hagen im New Yorker Studio 54 spielen und Siouxsie And The Bashees oder The Birthday Party auf Tour begleiten. 2001 verneigten sich Chicks On Speed noch einmal vor Malaria! und verschafften ihrem Song „Kaltes Klares Wasser“ die erste Chartsplatzierung.

Allerdings ohne Beate Bartel, die mit Chrislo Haas, der zuvor bei DAF Gitarre gespielt hatte, nach Düsseldorf umsiedelte und Liaisons Dangereuses gründete – ein Projekt, dessen Sequenzer-Elektropop besonders in den USA großen Anklang fand, als Blaupause für Acidhouse gilt.

Mit dem Ende der 1980er wird Berlins Avantgarde düsterer, die Szene machomäßiger. Gudrun Gut packte schon die Koffer, als die Mauer fiel und im wahrsten Sinne des Wortes die festgefahrene Szene sprengte. Clubs wie der Tresor und das E-Werk bringen plötzlich Produzenten aus Detroit nach Berlin, deren Inspiration wiederum bis zu westdeutschen Gruppen wie Kraftwerk und eben Liaisons Dangereuses reicht.

Zerstören, bevor man was Neues aufbaut

„Techno war damals die Hoffnung und hatte die Kraft, sich mit einer Anders-Welt zu identifizieren. In dieser Zeit, 1990 bis 1995. wurde die DDR entkernt, da hat die Treuhand das ehemalige Volkseigentum verbrannt und verscherbelt“, wird Produzent Harald Blüchel alias Cosmic Baby in der Techno-Oral-History „Der Klang der Familie“ zitiert. Neue Freiräume entstehen auf den Ruinen der DDR und in Kellern im ehemaligen Mauerstreifen.

Die Person: Aufgewachsen ist Gudrun Gut, die ihren bürgerlichen Namen ebenso wenig wie ihr Alter in der Zeitung lesen will, in der Lüneburger Heide. Zum Abitur zieht Gut 1975 nach Westberlin. Heute pendelt sie zwischen Berlin und der Uckermark.

Die Musikerin: Din A4, Din A Testbild, Mania D, Einstürzende Neubauten, Malaria! und Miasma heißen die Bands von Gudrun Gut. Mitte der 90er lässt Gut das Bandleben hinter sich, gründet aber sofort das nächste Kollektiv. „Members Of The Ocean Club“ heißt ihr Solodebütalbum. Sie vereint elf ehemalige WeggefährtInnen darauf, der Titel wird später Partyreihe und Radiosendung.

Die Labels: Seit 1990 ist Moabit Musik Plattform für die Platten von Guts Bands Mania D und Malaria!. 1997 kommt Monika Enterprise als Label für elektronische Musik hinzu, auf dem Künstlerinnen wie Barbara Morgenstern, Quarks, Michaela Melián oder Greie Gut Fraktion veröffentlichen.

Aktuelle Alben: Verschiedene Künstlerinnen: „Monika Werkstatt“ (Monika Enterprise/Indigo);Myra Davies: „Sirens“ (Music by Beate Bartel/Gudrun Gut), (Moabit Musik/Indigo)Gudrun Gut: „Vogelmixe. Gudrun Gut Remixes Heimatlieder aus Deutschland“ (Run United/Indigo)

Man müsse erst etwas zerstören, bevor man etwas Neues aufbauen könne, so beschreibt auch Gudrun Gut das destruktive Credo des Punk, das im Aufkeimen des Techno wieder Anwendung findet. Der Übergang von Berlins Punk-Avantgarde zur komplett elektronisch erzeugten Musik wird so eher zur logischen Folge denn zum Bruch. Als nach der Wende Berlin zur Stadt der tausend Möglichkeiten wird, wird Techno zum utopischen Fluchtpunkt und Gudrun Gut zur gefragten Produzentin. Das Bedürfnis, Berlin zu verlassen, stellt sich bei Gudrun Gut erst 20 Jahre später wieder ein.

Heute lebt sie teils in der Uckermark, teils in Charlottenburg, dem Berliner Viertel, in dem sie 1975 erstmals Wurzeln geschlagen hat. Mit ihren Labels Monika Enterprise und Moabit Musik gibt sie nicht nur ihren eigenen Veröffentlichungen ein Zuhause, sondern etablierte mit Künstlerinnen wie Barbara Morgenstern oder Pilocka Krach einen offeneren, weniger kühlen Elektroniksound.

Auch zum nun anstehenden 20. Labeljubiläum von Monika Enterprise geht es für Gudrun Gut in die Uckermark. In ihrem Gästehaus Gut Sternhagen, das sie zusammen mit Partner (und dem Musikerkollegen) Thomas Fehlmann betreibt, trafen sich zehn Künstlerinnen ihrer Labels Moabit Musik und Monika Enterprise, lernten sich kennen, arbeiteten zusammen. Die gemeinsamen Sessions wurden dann von jeder zu Hause fertig gestellt.

Instinktives Verständnis für diese Musik

Das Ergebnis klingt erstaunlich homogen. Irgendwo zwischen Album und Sampler lässt sich die eigene Handschrift der einzelnen Musikerinnen heraushören, doch haben die Stücke alle einen erforschenden Charakter gemein: Über Klackern, Surren und andere, fast wie Arbeitsgeräusche anmutende Klänge sowie einzelne Sprachsamples legen sich ruhige elektronische Beats und Synthesizerflächen, weniger technoid, eher gebrochen und warm. „Monika Werkstatt“ ist das 90. Release von Guts Label.

Auch Guts aktuellste eigene Veröffentlichung setzt sich auf besondere Weise mit dem Werk anderer auseinander. „Vogelmixe“ heißt ihr Remixalbum des Projekts „Heimatlieder aus Deutschland“. In Deutschland lebende Künstlerinnen und Künstler vereinen Sounds aus der ganzen Welt: Gnawa-Musik aus Marokko, Fado aus Portugal, russische Vokaltradition. Auch wenn man nicht alle Sprachen verstehe oder zu allen Klangwelten Zugang habe, habe man sofort ein instinktives Verständnis für diese Musik, sagt Gudrun Gut: „Man entwickelt sofort ein Gefühl für diese spezifische Heimat.“

Auch die Sängerin Heide, die aus einer Familie von Siebenbürger Sachsen kommt, einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien, ist in der Reihe zu finden. „E kli vält Fijeltchen“ („Ein kleines Wildvögelchen“) heißt Heides Song auf der Heimatlieder-Kompilation – ein Stück mit punkiger Haltung, so Gudrun Gut, denn der tierische Protagonist verbiege sich für kein Geld der Welt, singe nur, wann und wo es ihm gefällt.

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