piwik no script img

2. Bikini- und Badehose Bicycle RideUngeschützter Verkehr

So nackt wie möglich demonstrieren Fahrradfahrer*innen in Berlin. Sie wollen zeigen, wie verletzlich sie und Fußgänger*innen sind.

Beim ersten Bikini- und Badehose Bicycle Ride im letzten Jahr Foto: Thomas Lebie/imago

Auch das ist ein Gefühl von Sommer: wenn die Sonnenstrahlen nicht nur die Nasenspitze kitzeln, sondern auch den Bauchnabel, wenn eine leichte Brise nicht nur die Haare zerzaust, sondern auch die Oberschenkel und Schultern umschmeichelt. Etwas von diesem Sommergefühl wollen die Veranstalter*innen des zweiten Berlin Bikini- und Badehose Bicycle Ride aus vom Badesee in die Stadt holen. Und dabei außerdem für mehr Sicherheit im Stadtverkehr und gegen Bodyshaming und die Vorherrschaft des Autos in der Stadt protestieren. Sie laden daher für Sonntag dazu ein, möglichst leicht bekleidet an ihrer Radtour durch Friedrichshain und Kreuzberg sowie Mitte teilzunehmen.

Die Fahrraddemo ist angelehnt an den World Naked Bike Ride, mit dem Aktivist*innen unter dem Motto „As bare as you dare – so nackt, wie du dich traust“ seit 2003 in Städten unter anderem in den USA, Kanada, Brasilien, Mexiko und Spanien für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und ein positives Körpergefühl demonstrieren.

Ganz nackig machen dürfen sich die Radler*innen in Berlin allerdings nicht, zum leichten Bedauern von Initiatorin Katja Täubert vom Verkehrsclub Deutschland. Denn anders als in anderen Städten erlauben es die hiesigen Versammlungsbehörden nicht, den Protest tatsächlich komplett nackt durchzuführen. Dies gilt in Deutschland als Belästigung der Allgemeinheit. Frauen dürfen bei der Demo etwa keine nackten Brüste zeigen.

„Ich hätte es schon begrüßt, wenn die Behörden im Sinne des Protests eine Ausnahme gemacht und es uns erlaubt hätten, ganz nackt zu fahren“, sagt Täubert. „Ich werde nun alle Männer bitten, aus Solidarität ein Bikini-Oberteil zu tragen. Oder sich zumindest eins aufzumalen. Dann ist es zumindest halbwegs gleichberechtigt.“ Trotzdem verfehlt die Demo auch mit Bikini und Badehose Täuberts Ansicht nach nicht ihr Ziel. „Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie verletzlich Fahrradfahrer*innen im Straßenverkehr sind“, so Täubert.

So nackt wie möglich

Der zweite Berlin Bikini- und Badehose Bicycle Ride beginnt am Sonntag am Frankfurter Tor: Dort bieten die Veranstalter*innen ab 15 Uhr Bodypainting an, um 16 Uhr startet die zweistündige Tour mit Musik von DJ Alma Linda. Die Route führt über Oberbaumbrücke, Kottbusser Tor, Yorckstraße und Hallesches Ufer zum Großen Stern; über Alt Moabit, Torstraße und Strausberger Platz geht es zurück zum Start.

Der Purple Ride für FLTI* startet an jedem zweiten Freitag im Monat um 20 Uhr am Mariannenplatz. (usch)

„Brauchen geschützte, sichere Infrastruktur“

„Mit Helm und gelber Weste wirken Radfahrer*innen gut gewappnet“, sagt auch Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities, dies sei im Alltag auf den Straßen aber ein Trugschluss. Der Verein ist aus dem Netzwerk hervorgegangen, das den Volksentscheid Fahrrad 2017 organisiert und das Mobilitätsgesetz mitverhandelt hatte und beteiligt sich ebenfalls an der Demo. „Als Radfahrer*innen und auch Fußgänger*innen fahren und laufen wir nur mit unserer Haut als äußerem Schutz herum. Deshalb brauchen wir eine geschützte, sichere – und komfortable – Infrastruktur.“

Mit dem Mobilitätsgesetz, das der Senat vor gut einem Jahr auf den Weg gebracht hatte, sei zwar der Rahmen gesetzt. „Aber es geht langsamer und ist viel mühsamer, als wir anfangs dachten“, sagt Sørensen. „Das Gesetz liegt vor, das Geld ist auch da. Nun müssen wir die Verkehrsplanung komplett neu denken.“ Sie wünsche sich ein klareres Bekenntnis vom Senat – und mehr Tempo. „Die Politik muss die Bürger*innen auf ihre Seite bringen. Einige glauben noch immer, dass sie ein Recht auf einen Parkplatz vor ihrer Tür haben“, sagt Sørensen.

Für Carolina Mazza vom Purple Ride ist noch ein anderer Aspekt bei der Fahrraddemo wichtig. „Als Frau überlege ich mir gut, ob ich eine kurze Hose oder einen kurzen Rock zum Radfahren anziehe. Selbst wenn ich das vielleicht viel bequemer oder angenehmer finde, laufe ich damit eventuell Gefahr, belästigt zu werden“, sagt sie.

Der Purple Ride versteht sich als feministische Critical Mass, die sich in erster Linie an Frauen, Lesben, Trans-, Non-Binary- und Inter-Personen richtet. Die Gruppe war zum ersten Mal zum Frauentag am 8. März mit nach eigenen Angaben rund 500 Teilnehmer*innen größer in Erscheinung getreten. Inzwischen fahren sie einmal im Monat vom Mariannenplatz aus mit 30 bis 50 Teilnehmer*innen durch Berlin.

„Es ist nicht egal, ob ich als Frau oder als Mann im Straßenverkehr unterwegs bin“, sagt Mazza. „Ich merke, dass ich andere, frauenfeindliche Schimpfwörter abbekomme, und habe auch schon erlebt, dass ich als Verkehrsteilnehmerin gar nicht richtig ernst genommen werde, zum Beispiel als sich der Autofahrer in einem Konflikt an meine männlichen Begleiter gewendet hat und über mich gesprochen hat, als sei ich gar nicht da oder nicht erfahren genug“, sagt sie. Daher wendet sich der Protest von Purple Ride auch ausdrücklich gegen Sexismus, gegen Machokultur und Mansplaining im Straßenverkehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich verstehe den Sinn des Bikini-Rides nicht.

    Einerseits bezieht man sich auf den World Naked Bike Ride, der natürlich mit der Nacktheit der Teilnehmer*innen etwas provokativ wirken soll und immerhin eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erreicht.

    Andererseits bleibt man in der Kleidung, die man im Sommer sowieso gelegentlich sieht, mindestens bei Radler*innen, die auf dem Weg zum Schwimmbad oder See sind oder im Park radeln. Damit fehlt aber jedes Minimum an Provokation, die das Event interessant machen könnten. Entsprechend berichtet außer der taz auch niemand darüber — warum auch?

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    "Denn anders als in anderen Städten erlauben es die hiesigen Versammlungsbehörden nicht, den Protest tatsächlich komplett nackt durchzuführen. Dies gilt in Deutschland als Belästigung der Allgemeinheit. Frauen dürfen bei der Demo etwa keine nackten Brüste zeigen."

    Das ist doch Unsinn. Schon in der 1968er-Zeiten gab es Nacktdemos in Berlin und es gab auch "Nacktblöcke" auf Hausbesetzerdemos 1981. Die Veranstalter sollten sich nicht von der Polizei verarschen lassen, sondern sich ihr Recht nehmen. Oder ist das Spießertum nicht nur bei der Polizei zu verorten, sondern vielleicht auch bei den Veranstaltern dieser traurigen Demo?

    Nebenbei: Eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen ist verfassungswidrig. Wenn Männer ihre Brüste zeigen dürfen, gilt das für Frauen und Diverse selbstredend auch.

    Noch ein Wort zur Geschichte: Der World Naked Bike Ride entstand ursprünglich aus dem "Ciclonudista" im spanischen Zaragosa. Dort hat man offenbar weniger Probleme mit Nackten als im "liberalen" Berlin. Auch in Mexico (Stadt) wurde beim Ciclonudista auf Bikini und Badehose verzichtet. Der größte WNBR findet heutzutage jedes Jahr in London statt. Die Engländer sind anscheinend nicht so verklemmt wie die Deutschen.

    • @90618 (Profil gelöscht):

      "Nebenbei: Eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen ist verfassungswidrig. Wenn Männer ihre Brüste zeigen dürfen, gilt das für Frauen und Diverse selbstredend auch."

      Da bin ich mir weniger sicher als Sie. Es wäre eine verfassungswidrige Diskriminierung, wenn es keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung gäbe. Nun gelten weibliche Brüste im Gegensatz zu männlichen als sekundäre Geschlechtsmerkmale. Da könnte man durchaus differenzieren.

      Ich bin dafür, dass Frauen wie Männer mit freiem Oberkörper rumlaufen dürfen - ich nur nicht der Meinung, dass die bisherige Handhabung verfassungswidrig ist.

      • 9G
        90618 (Profil gelöscht)
        @pitpit pat:

        @Pitpit Pat

        Wenn weibliche Brüste als "sekundäre Geschlechtsmerkmale" bedeckt werden müßten, wäre es eine Ungleichbehandlung, wenn das für andere "sekundäre Geschlechtsmerkmale" nicht angewandt würde: Brustbehaarung, Bart, Adamsapfel usw.

        Meines Wissens betrachten Biologen sowohl die männliche als auch weibliche Brust gleichermaßen als sekundäres Geschlechtsmerkmal, denn das "Merkmal" besteht im Unterschied. In unserer Gesellschaft wird aber das männliche als "normal" betrachtet, das weibliche als das "andere" oder "unnormale".

        Mindestens für Schweden hast Du jedenfalls recht. Da haben mal ein paar Frauen geklagt, weil ihnen "oben ohne" in einem Schwimmbad untersagt wurde. Meines Wissens haben sie verloren. Und vermutlich ginge es in Deutschland auch nicht besser aus.

        Wahrscheinlich wäre heutzutage auch keine Love-Parade mehr möglich, bei der auch immer Nackte mitliefen und -tanzten und es erst Beschwerden gab, als einige auf LKW-Bühnen kopulierten.

      • @pitpit pat:

        Früher ging das BVerfG sogar so weit, dass weibliche und männliche Homosexualität etwas Grundverschiedenes wäre. Dann kam die Zeit der Gleichberechtigung und die gleichen Rechte setzten sich durch. Ende der Neunziger ging dieses Zeitalter zu Ende. Dann ging es zunächst um einen Bruch der Gleichberechtigung, um Chancengleichheit zu erreichen und schließlich wurde auch die aufgegeben, um "Egalität" anzustreben. Wobei Egalität nicht mit Gleichheit verwechselt werden darf. Vielmehr wird unter Equality bei der UN einseitige Frauenförderung verstanden. Ein Programm, welches z.B. dafür sorgt, dass alle Mädchen und Jungen zur Schule gehen, fällt da nicht darunter. Wird dagegen nur der Schulbesuch von Mädchen gefördert, dann ist das dort ein Programm der Equality (SDG 5).



        Zeitgleich wurde die Gesellschaft wesentlich prüder. Während früher Feminist*innen für sexuelle Freiheit demonstrierten, demonstrieren sie jetzt für deren Einschränkung.



        Es geht also schon lange nicht mehr um "Gleichberechtigung". Es geht zum einen darum, Frauen besser zu stellen. Dafür spricht, dass solche Verbote unzulässig sind. Umgekehrt ist die Prüderie auf dem Vormarsch - in einer unheiligen Allianz mit vielen Feminist*innen.