11,5 Millionen Franzosen wählen Le Pen: Keine Kleinigkeit
Mit Marine Le Pen erhielt der Front National gut 34 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang. Ein neuer Rekord für die extreme Rechte.
E rleichtertes Aufatmen. Wenn Le Pen weniger als 40 Prozent erreicht, hat sie den zweiten Wahlgang verpatzt. Diese symbolische Hürde hatte sich am Ende durchgesetzt. Marine Le Pen hat sie nicht erreicht. Die Versuchung ist groß, am Abend des deutlichen Siegs von Emmanuel Macron (65 Prozent) in die Hände zu klatschen und das Glas halbvoll zu sehen.
Ja, Frankreich hat wieder Nein zu Familie Le Pen gesagt. Weniger vereint und weniger stark als noch 2002, aber doch mit einem Abstand, der sich nicht bestreiten lässt. Ja, es gab eine Art Aufschrecken der Demokraten. Ja, es ist normal, das Ergebnis zu genießen.
Ab morgen ist das Glas trotzdem halbleer. Mit gut 34 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl und mehr als 11,5 Millionen Wählern erreicht die extreme Rechte einen neuen Rekord. In der gleichen Art und Weise, wie sie wieder an ihre Grenzen stößt.
Innerhalb von zwei Wochen hat Marine Le Pen vier Millionen Stimmen dazugewonnen. Trotz ihres chaotischen Wahlkampfs zwischen den beiden Wahlgängen – in dem sie nicht ohne Erfolg versuchte, Mélenchons linke „La France insoumise“ anzubaggern, ohne dabei die rechte Bewegung „Sens commun“ zu verprellen – und trotz einer Debatte, bei der sie eine Art teuflischen Trump verkörpert hat. Damit hat sie den FN auf ein historisch hohes Niveau gehoben, obwohl der endgültige Sieg nie wirklich greifbar war.
Ihre Allianz mit dem rechts-konservativen Nicolas Dupont-Aignan, die sie nach dem ersten Wahlgang geknüpft hat, zielte vor allem auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl ab. Beide wollten sich positionieren, in einer Zeit, in der die Rechte einer starken Umorientierung nicht entkommen zu können scheint. Übrigens hat Marine Le Pen am Sonntag den größten Zuwachs aus dem Lager der „radikalisiertesten“ – wie Alain Juppé sagte – Anhänger des Konservativen François Fillons gewonnen.
Die taz und die französische Tageszeitung Libération machen journalistisch gemeinsame Sache. Wir arbeiten erst zur Wahl in Frankreich und dann zur Bundestagswahl zusammen. Dieser Beitrag ist Teil der Kooperation.
Seit einigen Tagen scheint die rechtsextreme Kandidatin für sich beschlossen zu haben, dass die wichtigste Herausforderung für sie ist, sich als Macrons stärkste Gegnerin zu profilieren. Ihr Platz in der zweiten Wahlrunde garantiert ihr diesen Titel, mit dem auch Mélenchon, Baroin und andere liebäugelten, auch wenn ihre Leistung während der Fernsehdebatte ihre Glaubwürdigkeit in dieser Rolle getrübt hat.
Bei der Parlamentswahl im Juni wird der FN höchstwahrscheinlich eine starke Rückkehr in den Palais Bourbon feiern können. Trotzdem wird er voraussichtlich nicht die stärkste Oppositionskraft gegen Macron sein. In vielen anderen Parteien müsste eine Kandidatin mit dieser Bilanz zurücktreten. Aber nicht beim Front National.
Übersetzung aus dem Französischen: Belinda Grasnick
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?