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1.000 Euro für jedenGeld fürs Nichtstun?

Dass die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein das bedinungslose Grundeinkommen zumindest prüfen will belebt die Debatte pünktlich zur Bundestagswahl

Wer eine Maschine dafür hat muss das Grundeinkommen nicht mal selbst zählen Foto: Patrick Pleul (dpa)

HAMBURG taz| Tausend Euro ohne Vorbedingung, ohne etwas dafür tun zu müssen, und das für jeden – nach einem knappen Jahrzehnt Pause ist die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen wieder aufgeflammt. Die verführerische Idee hat Befürworter wie Kritiker in allen politischen Lagern.

CDU, FDP und Grüne in Schleswig-Holstein haben die Idee als Prüfauftrag in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Bei der Bundestagswahl am 24. September tritt mit dem „Bündnis Grundeinkommen“ eine Partei an, die sich ausschließlich für dieses Thema einsetzt. Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar hat im Februar mit „Radikal gerecht“ ein Buch zum Thema veröffentlicht und am Mittwoch hatte in Hamburg ein Film zum bedingungslosen Grundeinkommen Premiere: „Können und wollen statt müssen und sollen“ von Nicki A. Brock.

Vorarbeit ist in der Schweiz geleistet worden, wo sich im vergangenen Jahr bei einer Volksabstimmung 22 Prozent für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen haben. Umgerechnet knapp 2.300 Euro für jeden Erwachsenen schlug die Schweizer Volksinitiative vor. Daniel Häni, der Sprecher der Initiative, bewertete die magere Zustimmung im vergangenen Sommer als Erfolg: „Das bedeutet, die Debatte geht weiter, auch international.“

Der Kieler Koalitionsvertrag macht deutlich, dass unter dem Rubrum „Grundeinkommen“ bisweilen recht unterschiedliche Dinge verhandelt werden. „Wir werden ein Zukunftslabor mit den Akteurinnen und Akteuren der Arbeitsmarktpolitik und aus der Wissenschaft ins Leben rufen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Diskutiert werden sollen dort Dinge wie „ein Bürgergeld, ein Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme“.

In den Medien seien die Absichten der Kieler Koalitionäre mit dem Schlagwort „Grundeinkommen“ etwas zu plakativ dargestellt worden, sagt Arfst Wagner, Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein und Mitglied im Grünen-Netzwerk Grundeinkommen. „Was dabei herauskommt, kann man überhaupt nicht sagen.“ Ein „ Bürgergeld“, wie es die FDP vertritt, unterscheidet sich deutlich vom Grundeinkommen, wie es der Grüne propagiert.

Wagner beruft sich auf die Grundsätze des parteiunabhängigen Netzwerks Grundeinkommen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll demnach jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen; es soll einen individuellen Rechtsanspruch darstellen, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder andere Gegenleistungen garantiert werden.

Der Ökonom Straubhaar hält nach diesem Modell ein Grundeinkommen von 1.000 Euro für realistisch. Im Gegenzug würde der bisherige Sozialstaat abgeschafft. Jeder Euro, der über das Grundeinkommen hinaus verdient würde – ganz gleich, ob es sich um Einkommen aus Arbeit oder Kapital handelt – müsste mit 50 Prozent versteuert werden. Daraus würde sich, wie Straubhaar vorrechnet, praktisch eine progressive Einkommensteuer ergeben.

Ein Teilhabe sicherndes Grundeinkommen würde seinen Verfechtern zufolge die Grundlage dafür schaffen, dass Menschen gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten, sich weiterbilden und Risiken eingehen können, wenn sie etwas Neues schaffen, etwa ein Unternehmen gründen wollen.

Das von der FDP vorgeschlagene Bürgergeld dagegen bewegt sich auf Hartz-IV-Niveau. Es ist Bedürftigen vorbehalten und sieht Sanktionen gegen Missbrauch vor. Es geht nach wie vor davon aus, dass Menschen zur Leistung gezwungen werden müssen.

Mehr zum Thema Grundeinkommen lesen Sie am 9. September in der Wochenendausgabe von taz.nord, die es an jedem guten Kiosk von Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein gibt – oder im e-Paper.

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11 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Jeder Euro, der über das Grundeinkommen hinaus verdient würde – ganz gleich, ob es sich um Einkommen aus Arbeit oder Kapital handelt – müsste mit 50 Prozent versteuert werden. Daraus würde sich, wie Straubhaar vorrechnet, praktisch eine progressive Einkommensteuer ergeben."

     

    Die Rechnung bitte, Herr Ober!

    Kann man das irgendwo nachlesen?

    Für mich klingt das so als müßte jemand mit 1 Mrd. Euro Einkünften (Fam. Quandt) dann 500 Mio. Euro Steuern zahlen und jemand mit 1000 Euro Einkommen zahlt 500 Euro Steuern. Inwiefern wird das Modell progressiv?

     

    Dann bekommt die Familie Quandt also 500 Mio. pro Jahr von BMW "fürs Nichtstun" plus 1000 Euro für jedes Familienmitglied im Monat.

    Wir wollen ja schließlich keine Neiddebatte. Auch für die Quandts sei das Grundeinkommen steuerfrei.

  • „Geld fürs Nichtstun?“

     

    Eine Frage, die nur jemand stellen kann, der Leben mit Nichtstun verwechselt.

    • @Rainer B.:

      Danke.

      Biste mir zuvorgekommen.

      &

      Dieses ständige "Rad ab - oder ja?!"

      "Alle Tannen noch am Zaun der Nadeln?!" - als Dauergewürgel der taz!

      Schlicht peinlich!

  • wenn der sozialstaat sich zurückzieht, wird jeder sein eigener wolf gegen den anderen.

  • taz: "Geld fürs Nichtstun? Dass die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein das bedingungslose Grundeinkommen zumindest prüfen will belebt die Debatte pünktlich zur Bundestagswahl."

     

    Im Mai 2017 interviewte die Zeitung 'Der Tagesspiegel' den neuen BA-Chef Detlef Scheele. Auf die Frage, was er denn vom bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) hält, antwortete Detlef Scheele: "Nein, ich bin strikt dagegen. Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich. Der Staat würde sich freikaufen von seiner Verantwortung, sich um die Arbeitslosen zu kümmern. Es mag altruistische Akademiker geben, die gerne ein Leben mit Grundeinkommen führen würden. Aber die meisten Menschen, die arbeitslos sind oder in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen stecken, wollen lieber eine ordentlich bezahlte Arbeit."

     

    Detlef Scheele hätte natürlich auch sagen können, dass er gegen das bedingungslose Grundeinkommen ist, weil dann sein Job als Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) überflüssig wäre. Aber so altruistisch ist ein Ex-SPD-Senator dann wohl doch nicht, dass er die Wahrheit sagt und damit auf seinen Job und sein schönes Jahresgehalt von 300.000 Euro bei der BA verzichten würde.

     

    Dass Industrie 4.0 gerade das Verschwinden ganzer Berufssparten ermöglicht und das es in dieser hochtechnisierten Welt voller Maschinen, Computer und Automaten kaum noch echte Jobs gibt, von denen man als Mensch auch existieren kann, sollte doch wohl langsam jedem klar sein. Letztendlich wehren sich nur noch diejenigen Leute gegen das BGE, die an der Armut der Bürger und dem ausufernden Niedriglohnsektor viel Geld verdienen.

    • @Ricky-13:

      Bullshit.

      Gerade im ganzen Dienstleistungssektor der jetzt schon beschissen bezahlt wird hat die Automatisierung kaum Auswirkungen.

      Auch mit besserer KI und Robotern werden immer noch Menschen putzen, Haare schneiden, Kranke pflegen und Kinder erziehen.

      Das sind Arbeiten die ein Mensch besser erledigen kann.

      Dank 19% Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen und Sozialabgaben für Leistungen die trotzdem nicht über der Grundsicherung liegen bleibt allerdings nur ein geringer Nettolohn übrig.

      Im Bereich der Gebäudereinigung und des Frisörhandwerks sind es übrigens eher die noch billigeren Arbeitskräfte aus dem Ausland und nicht die Roboter die einem die Arbeit wegnehmen.

      Gleichzeitig entstehen mit steigender Automatisierung neue Arbeitsplätze. Den es sind Menschen nötig welche die Maschinen reparieren, warten und programmieren.

      Problematisch ist das ganze für alle die an der Fakultät für brotlose Künste studiert haben um später irgendwas mit Medien zu machen und solange Taxi fahren oder als unterbezahlte Praktikanten bei Zeitungen schuften.

      Das selbstfahrende Automobil wird in der Taxibranche große Umwälzungen verursachen.

      • @Alreech:

        "... alle die an der Fakultät für brotlose Künste studiert haben um später irgendwas mit Medien zu machen ..."

         

        Dass Deutschland immer mehr Akademiker, auch aus dem MINT-Bereich (Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Ingenieure (Techniker) = MINT), in der Arbeitslosigkeit stecken hat und das Arbeitslosigkeit nicht nur ein Problem der Ungebildeten und den Hochschulabsolventen ist, die, wie Sie ja sagen, "brotlose Künste" studiert haben, scheinen viele Leute in Deutschland immer noch nicht zu kapieren.

         

        Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gibt auf seiner Seite 20.000 arbeitslose studierte Ingenieure zu (Dunkelziffer wird wohl noch größer sein); von den hunderttausend arbeitslosen Naturwissenschaftlern rede ich erst gar nicht. Aber in Springerblattmanier werden immer wieder Philosophen, Germanisten und Kunsthistoriker als arbeitslose Akademiker herangezogen, damit man auch ja nicht die ungeschminkte Wahrheit sagen muss, dass Deutschland nicht einmal mehr genügend Jobs für Ingenieure und Naturwissenschaftlern hat. Warum hört man eigentlich nichts von den 20.000 arbeitslosen Ingenieuren? Das ist doch klar, wer möchte sich schon gerne mit Ingenieurtitel als Hartz IV Empfänger outen?

         

        Aber zum Glück geht es ja den 100.000 Mitarbeitern der BA gut, die einen Job haben um jeden Tag 5 Millionen Hartz IV Bezieher zu drangsalieren und für die Industrie Zwangsarbeiter mit § 10 SGB II bereitzustellen.

         

        Auch der Ex-SPD-Senator aus Hamburg (Detlef Scheele), der jetzt für 300.000 Euro im Jahr den BA-Chef spielen darf und das der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu verdanken hat, freut sich sicherlich über die Unwissenheit der deutschen Bürger, denn dann muss man kein BGE einführen.

        • @Ricky-13:

          Wenn Deutschland so scheiße ist, warum verlassen dann die arbeitslosen Ingenieure und Naturwissenschaftler nicht in Schaaren das Land um der Zwangsarbeit zu entgehen ?

          Von deutschen Handwerkern und Facharbeitern sind einige nach Dänemark und in die Schweiz ausgewandert, Hauptgrund sind die höheren Löhne die dort gezahlt werden.

          Und ja, den 100.000 Mitarbeitern der BA geht es gut. Schließlich sind sie im sozialen Bereich tätig und werden vom Staat bezahlt.

          • @Alreech:

            Ich bin auch Ingenieur - der aber zum Glück noch einen Job hat - und als Ingenieur weiß ich, dass auf der ganzen Welt sämtliche Arbeit, die man automatisieren kann, von der Halbleitertechnologie demnächst übernommen wird. Schon heute ist in einer automatisierten vernetzten Fabrik der Homo sapiens nur noch ein Störfaktor, den man auch mit einer noch so schönen Störgrößenaufschaltung - wie man so etwas in der Regelungstechnik nennt - nicht eliminieren kann; deshalb ist der Mensch in einer Fabrik auch eher störend. Der nächste Schritt zum Roboter, der selbständig denkt, wird nur noch dadurch aufgehalten, dass die benötigte Computeralgebra noch nicht zur Verfügung steht. Das ist aber nur eine Frage der Zeit und wird von Mathematikern und Informatikern sicherlich in absehbarer Zeit gelöst werden.

             

            Was wir zunächst brauchen ist eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche, wie sie seit Jahren der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bontrup fordert und danach das bedingungslose Grundeinkommen (BGE),

             

            Da Sie in Ihrem ersten Kommentar gleich mit "Bullshit" begonnen haben, gehe ich davon aus, dass Sie noch ein sehr junger Mensch sind und deshalb vielleicht noch nicht alles richtig überschauen können. Beschäftigen Sie sich doch einfach mal mit Halbleitertechnologie, Regelungstechnik und der daraus wachsenden Industrie 4.0 und dann können wir gerne weiter diskutieren.

             

            Noch etwas zum Schluss. Dass die Jobcenter keine Jobs mehr vermitteln von dem ein Mensch auch leben kann, das hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, aber dass Sie die Leute im Jobcenter in Schutz nehmen, bedeutet, dass Sie sich die Grundrechte, besonders Art. 1 GG, Art. 19 GG und Art. 20 Abs. 1 GG. noch nie angeschaut haben. Interessant ist auch § 10 SGB II, mit dem die BA aus einem arbeitslosen Dr.-Ing. einen Hilfsarbeiter machen kann.

             

            Nein, das BGE muss endlich kommen, sonst sind wir alle nur noch Sklaven der Oberen Zehntausend.

  • Geld fürs Nichtstun? In einem Sozialstaat?

     

    Das Geld in der Höhe reicht nur, um in etwa menschenwürdig leben zu können. Ein Auto und sonstige luxuriösen Sachen kann man bei so einem niedrigen Einkommen ja nicht haben. Es recht aber völlig, um zu überleben und leben wie ein Mensch.

     

    Nach Auskunft der Bundesregierung ist die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland in 2016 auf rund 335.000 gestiegen - ein Plus von 35 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010. Unter ihnen sind 29.000 Kinder. Wie ist die Lebenserwartung bei Obdachlosen Menschen im Vergleich zum Durchschnittsbürger (Obdachlose Menschen abgezogen)?

     

    Ist die Menschenwürde bei Obdachlosen Menschen noch unantastbar? Und hat unser Sozialstaat (gem. Sozialstaatsprinzip - verfassungsrechtlich) diese Menschen überhaupt noch auf dem Radar?

     

    Anscheinend funktioniert das jetzige Sozialsystem sowie die Umsetzung des EU Rechts nach unseren nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten nicht einwandfrei, und der Europäische Parlament prüft das nicht nach.

     

    Denn um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine SOZIALE UNTERSTÜTZUNG und eine Unterstützung für die Wohnung, die ALLEN, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein MENSCHENWÜRDIGES DASEIN (nichts tun/überleben/menschenwürdig leben) sicherstellen sollen,

     

    nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.

     

    Geld fürs Nichtstun? Nein Geld zum Überleben, weil wir alle Menschen sind! Und wenn Menschen überleben, dann tun sie etwas, sie überleben nämlich; nichts tun heißt: tot sein.

    • @Stefan Mustermann:

      Dem kleinen Arbeitnehmer, der sich über zu wenig Lohn und katastrophale Arbeitsbedingungen beschwert, dem zeigt man als Abschreckung die Hartz IV Empfänger, und schon ist der kleine "Arbeiter" ruhig und macht seinen schlechtbezahlten Job weiter.

       

      Dem Hartz IV Empfänger zeigt man die Obdachlosen, die in unseren Städten immer mehr werden, und schon ist der "Hartzer" brav und nimmt jeden Sklavenjob an.

       

      Da soll noch mal einer sagen, dass die SPD mit ihrer Agenda 2010 nicht die Gesellschaft verändert hat.