100 Jahre Oktoberrevolution: Kommunismus mit Millionären

Chinas KP hat großen Zulauf von Akademikern, Unternehmern und Millionären. Den Arbeitern nutzt der Kommunismus bisher kaum.

Ein Anstecker auf einem Gewand

Kommunistischer Chic in China. Die neue Elite feiert proletarisch Foto: Reuters

PEKING taz | Über den Begriff Kommunismus kann Zhu nur lachen. Seit über 30 Jahren schuftet er auf dem Bau, schleppt Betonplatten, baut Straßen, Schienentrassen und Brücken. Zhu zeigt auf seine rechte Schulter. Sie hängt schief. Vor vier Jahren war er vom Gerüst gefallen, hatte sich die Rippen gebrochen. Die Knochen wuchsen schief zusammen. Krankengeld? Gab es nicht. Sobald er wieder auf den Füßen war, musste er wieder zurück auf den Bau.

Derzeit gehört der 56-Jährige zu einem Bautrupp, der das Pekinger Viertel Sanlitun aufhübscht, zwei Straßenzüge mit Luxusgeschäften, Bars und Restaurants im wohlhabenden Ostteil der chinesischen Hauptstadt. Frauen in hochhackigen Lackschuhen flanieren auf den von Zhu zuvor gefertigten Gehwegen. „Wenn bunte Blumen vor dem Parteitag Kommunismus bedeuten, ja, dann haben wir ihn“, sagt Zhu. „Mir persönlich hat er aber nichts gebracht.“

Für den 19. Parteikongress der Kommunistischen Partei (KP), der am Mittwoch begonnen hat, hat sich Peking herausgeputzt. In der gesamten Innenstadt wurden Stauden gepflanzt, Kübel mit lilafarbenen und roten Blumen aufgestellt. Insgesamt 2.287 Abgesandte aus allen Landesteilen sind nach Peking gekommen, um die Führung sowie die politischen Schwerpunkte der nächsten fünf Jahre zu bestimmen.

Extreme Armut, extremer Reichtum

Seit nunmehr 68 Jahren regiert die KP das bevölkerungsreichste Land der Welt, das global die zweitgrößte Volkswirtschaft ist. Offiziell definiert sich die Volksrepublik auch weiterhin als Arbeiter- und Bauernstaat. Zugleich zählt Peking die meisten Milliardäre der Welt mit mehr Superreichen als London oder New York. Während vor einem Luxuseinkaufszentrum in Sanlitun Ferraris, Bentleys und Teslas parken, werden auf einer großen digitalen Leinwand salutierende Soldaten der Volksbefreiungsarmee gezeigt, die den Errungenschaften der KP huldigen. Unter der Leinwand wiederum sitzt eine bettelnde Frau in zerschlissenen Klamotten mit ihrem behinderten Sohn und hofft, dass einer der aufgetakelten Passanten ein paar Yuan-Scheine für sie übrighat. Kommunistische Parolen, Armut und glitzernder Raubtierkapitalismus – wie passt all das zusammen?

Eine Antwort hat Wang Yiwei. Der 45-Jährige ist Direktor des Zentrums für Europäische Studien an der renommierten Pekinger Renmin-Universität. Trotz der vielen Daimlers, Audis und BMWs auf Pekings Straßen auf der einen und der vielen weitgehend mittellosen Wanderarbeiter auf der anderen Seite ist er zutiefst überzeugt, dass sich sein Land weiter auf dem sozialistischen Pfad befindet. China habe den Kommunismus nur noch nicht erreicht. Das Ziel werde aber weiter verfolgt. Die vielen Luxuskarossen? Darin sieht er kein Problem. „Schließlich muss erst einmal ein gewisser Wohlstand geschaffen werden, um überhaupt umverteilen zu können.“

Auch in Pekings Buchläden werden in diesen Tagen zahlreiche Werke präsentiert, die sich um Antworten bemühen. Die meisten davon haben Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping auf dem Titelbild. Besonders auffällig platziert: das vor einigen Wochen vom Parteiverlag extra für den 19. Parteikongress herausgegebene Buch, in dem Xis Vorstellungen über den sozialistischen Aufbau aufgeführt sind. Eines der bereits zum Teil erreichten Ziele, das gern aufgeführt wird: die Bekämpfung der Armut. Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze lebten, lag in China vor 30 Jahren noch bei über einer halben Milliarde. Derzeit müssen rund 43 Millionen mit weniger 1, 20 Dollar am Tag auskommen. Bis 2021, dem 100. Geburtstag der KP, soll es niemanden mehr geben, der in China hungert, lautet das Ziel. Kommunismus eben.

„Schließlich muss erst einmal ein gewisser Wohlstand geschaffen werden, um überhaupt umverteilen zu können.“

Zugleich steigen die Löhne weiter kräftig, die Mittelklasse wächst, die Vermögen ebenso – Letztere um das Sechsfache in den vergangenen sieben Jahren. Chinas KP hat Schlüsseltechnologien definiert, die mit Milliarden gezielt gefördert werden: Raumfahrt, Elektromobilität, Flugzeugindustrie, Digitaltechnologie. Planwirtschaft wie aus dem Bilderbuch – nur dass diese Industrien in China technisch auf dem modernsten Stand sind.

Die zahlreichen internationalen Unternehmen, die in den vergangenen 30 Jahren massiv in China investiert haben, leiden zugleich unter dem wieder zunehmenden Einfluss der KP. So schreibt sie vor, dass Parteisekretäre künftig wieder stärker das Sagen haben. Auch ausländische Unternehmen, die in China tätig sind, müssen Parteizellen einrichten. „Xi will den Zugriff auf ökonomische Stellschrauben behalten, weil sie ein Machtfaktor sind“, sagt Akio Takahara, Politologe und China-Experte an der University of Tokyo. Das klingt weniger kommunistisch als chauvinistisch.

Spätestens 2049, zum 100. Gründungsjubiläum der Volksrepublik, so heißt es in dem Werk über Xis Ziele, soll es China zur politischen, militärischen und wirtschaftlichen Supermacht geschafft haben. Dafür würde Vater Staat schon sorgen, getreu dem Motto, den Xi schon vor fünf Jahren kurz nach Amtsantritt ausgerufen hatte: „Wir erfüllen euch euren Traum, den chinesischen Traum.“

Millionäre drängen in die Kommunistische Partei

Zumindest oberflächlich scheinen das Erreichte und die künftigen Versprechen bei vielen Menschen in China anzukommen. Die KP erlebt einen enormen Mitgliederzuwachs. Einer Studie des China-Instituts Merics zufolge haben sich in den vergangenen Jahren durchschnittlich 20 Millionen Menschen pro Jahr um eine Mitgliedschaft beworben. Allein seit 2005 sei die Partei um 26 Prozent gewachsen. Knapp 90 Millionen Mitglieder zählt die KPCh inzwischen.

Doch handelt es sich bei den vielen Neuzugängen um Kommunisten? Um die moderne Gesellschaft widerzuspiegeln, hatte die Führung vor gut zehn Jahren die Partei geöffnet, für Akademiker, Privatunternehmer, Millionäre und Großgrundbesitzer. Diese machen nun weit mehr als die Hälfte aus. Der Anteil der Bauern und Arbeiter geht beständig zurück und liegt bei nur noch ein Drittel.

Die Merics-Studie stellt denn auch fest, dass die meisten Parteikader nicht aus Überzeugung, sondern aus Karrieregründen der Partei beigetreten sind. Zu den Parteisitzungen würden sie nur unregelmäßig erscheinen. Gegenüber ideologischen Vorgaben zeigten sie sich gleichgültig. Viel wichtiger seien für sie die Beziehungsnetze, „die sich in Chinas Verwaltung und Wirtschaft für Parteimitglieder erschließen“. Die Partei – eine Kaderschmiede für die Elite?

Klar ist: Unter dem derzeitigen Staats- und Parteichef Xi Jinping verändert sich Chinas Kommunismus. Der 64-Jährige konzentriert die Macht entschlossen und rücksichtslos auf seine Person. Seine Rivalen hat er allesamt unter dem Vorwurf der Korruption in Haft setzen lassen.

China wird wieder autokratischer.

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